M: Was haben Bruce Springsteen, der Glacier-Express und Goldparmänen gemeinsam, liebe Alexandra? Sie verschönern meine Nächte!
Es ist nämlich so, dass ich seit ein paar Jahren oft nicht einschlafen kann, auch (oder gerade?) nach einem stressigen Tag. Das Alter vermutlich, aber egal. Eine Zeitlang hab ich mich dann im Bett gewälzt und erbittert nachgerechnet, wieviele Stunden mir noch bis zum Weckerklingeln bleiben. Dann hab ich viele Ratschläge befolgt, von heißem Bad (brachte gar nix) über Baldriantropfen (dito) bis zur letzten Mahlzeit um 18 Uhr (half auch nix, vermutlich konnte ich vor lauter Hunger nicht schlafen).
Inzwischen mach ich es anders: Ich lege mich mit meiner gemütlichen Decke aufs Sofa und durchforste TV-Programm und Streaming-Dienste nach allem, was mich interessieren könnte. Erstaunlicherweise finde ich um die Uhrzeit viel mehr als im normalen Abendprogramm, das mich zum größten Teil langweilt. Heute Nacht habe ich zum Beispiel eine spannende Doku über Alexander den Großen gesehen, davor „Springsteen on Broadway“ (großartig!), ich bin mit dem Glacier-Express virtuell von Zermatt nach St. Moritz gefahren und hab in einem Garten-Magazin alles über alte Apfelsorten gelernt. Ich bin ganz begeistert, was es alles Spannendes gibt. Und gehe danach wieder mit dem Gefühl ins Bett, dass ich, wenn schon nicht geschlafen, meine Zeit doch nicht verschwendet hab.
Was machst Du, wenn Du nicht schlafen kannst?
A: Ich hab da auch schon so einiges hinter mir: Von ganz schön dämlich bis furchtbar peinlich. Was mir wirklich hilft: Weiteratmen. Mit dieser gruseligen Darth-Vader-Atmung, wie die Amerikaner sie nennen. Im Yoga heißt sie auch Ujjayi, die Siegreiche. Wenn man es charmant ausdrückt, klingt es wie Brandungswellen, die kommen und gehen. Wenn man sagt, wie es wirklich ist, hört es sich an wie eine Art Schnarchgeräusch. Das aber durchaus gleichmäßig und nicht unterbrochen von diesen unangemeldeteten Grunzeinlagen oder Atemaussetzern, die ja gar nicht gesund sein sollen! Was auch hilft und weniger Lärm macht: Hände aufs Zwerchfell. Bauchdecke hebt sich und senkt sich. Schlicht und ergreifend. Was mich aber während meiner Atemtherapie zum Verzweifeln bringt: Der Mann neben mir schläft. Einfach so! Ich bin zukünftig also nicht nur neidisch auf ihn, sondern auch auf alles das, was du schon gesehen hast! Wie soll ich da bitte schlafen können?
M: Oh, wie gut ich das kenne! Sich erbittert und zunehmend verzweifelt hin und her wälzen – und der Mensch daneben atmet gleichmäßig und friedlich vor sich hin! Neid ist da noch das harmloseste Gefühl. Und ich muss dann immer an diesen blöden Spruch denken: Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Mit anderen Worten: Ich hab keins. Kissen schon, aber kein gutes Gewissen.
Wir haben ja einen gemeinsamen…. sagen wir, ähem… Bekannten, mit dem zu fliegen ich mehrfach das Vergnügen hatte. Der setzte sich auf seinen Platz, zog die Mütze übers Gesicht und schlief bis zur Landung. Und da ich weder im Flugzeug noch im Zug noch im Auto schlafen kann, saß ich natürlich auch wieder grün vor Neid neben ihm. Und hab dann vor lauter Frust nicht nur mein, sondern auch sein Bordmenü (ja, das gab es damals noch, sogar auf kurzen Strecken!) in mich hineingestopft und mindestens zwei Bier getrunken. Und dazu geraucht (daran siehst Du, wie lange das her ist!)
Die Menschen reagieren ja ganz unterschiedlich auf fehlenden Schlaf. Meine Kinder zum Beispiel: Der eine wird wortkarg und mürrisch, die andere übersensibel, sie beginnt dann, bei der leisesten Kritik zu weinen. Ich hingegen bin dann einfach nur – müde.
A: Ich kann gut im Auto schlafen. Vorausgesetzt der Fahrer ist vertrauenswürdig. Der Älteste toppt aber eindeutig alles bei uns an außergewöhnlichen Schlafplätzen: Vom Zug über Auto und Flieger bis zur New Yorker Subway, in der es ja recht zugeht. Er soll angeblich auch während einer Klausur eingeschlafen sein. Ich hab da nicht näher nachgefragt. War wohl im Abi.
Wirklich froh bin ich darüber, dass ich nicht mehr so oft schlafwandle. Das geht nämlich auch auf das Konto Schlafentzug, obwohl man ja nicht wach ist, sondern in so einem Dazwischen. Also nicht im Tiefschlaf, was dann im Unterbewusstsein wäre, und auch nicht im Wachzustand, was dann im Bewusstsein wäre. Als Kind habe ich damit Eltern und Nachbarschaft bei Laune gehalten. Mittlerweile geh ich nicht mehr auf Wanderschaft, sondern beame mich schlafend in ein anderes Zimmer. Das führt dann unweigerlich zu Komplikationen, wenn ich ganz dringend mal raus muss, weil die Tür ja woanders ist, in diesem Dazwischen–Zimmer.
M: Wie lustig, dass Du auch schlafgewandelt bist – ich nämlich auch! Ich muss so vier, fünf gewesen sein damals. Meine Mutter erzählte des öfteren zum Gaudium der Zuhörer, dass ich bei einer Abendeinladung bei uns daheim plötzlich erschienen sei – splitterfasernackt! Ich sei vor allen Gästen einmal wortlos durchs Zimmer gewandert und dann wieder im Bett verschwunden. Mir war es immer sehr peinlich, wenn sie das lachend berichtet hat.
Ich hab mal gegoogelt, wie oft das vorkommt bei Kindern: Gar nicht so selten! Bis zu 15 Prozent von Kindern bis zu 12 Jahren tun das, hängt offenbar mit der Entwicklung des Gehirns zusammen.
Kannst Du Dich denn an die Schlafwandel-Phasen erinnern? Klingt so! Also ich hab davon selbst nie was mitgekriegt…
A: Mit der Zeit verschwimmt ja die eigene Erinnerung mit der Erzählung anderer. Ich habe Bilder im Kopf: Die schummrig erleuchtete Küche unseres Nachbarn, der mir am Tisch gegenübersitzt und in meditativem Tonfall (ein Lehrer!) souffliert, dass alles in Ordnung ist, seine Tochter zu dieser nachtschlafenden Zeit nur nicht mit mir spielen kann und er deshalb meine Mutter angerufen hat, die mich gleich abholt. Nach dieser Aktion war dann noch ein zusätzliches Schloss vor der Haustür. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, beim nächsten Mal in den nahegelegenen Wald zu gehen. Barfuß, aber immerhin im Pölter, was im Westfälischen der Schlafanzug ist.
Und da ich diese nächtlichen Ausflüge allesamt eher spannend als gruselig fand, schlage ich vor, dass wir demnächst statt fernzusehen und zu atmen, einfach auf Wanderschaft im nächtlichen oder morgendämmrigen München gehen. Ich hab nämlich noch eine Freundin mit ähnlicher Symptomatik. Die stünde dann ab 5.00 morgens zur Verfügung. Angezogen.
M: Da bin ich sofort dabei! Egal, ob im Englischen Garten oder mitten in der Stadt – der Sonnenaufgang ist jedes Mal ein Erlebnis! Einen schöneren Tagesbeginn kann ich mir nicht vorstellen. Mir geht immer das Herz auf, wenn der Himmel erst so hellgrau wird und sich dann langsam verfärbt, gold und rosa, ganz durchsichtig. Mag ich viel lieber als den Sonnenuntergang. Also: Das machen wir! Und frühstücken danach irgendwo nett, nicht in einem der Hipster-Cafés, die überhaupt erst um 10 aufmachen, sondern da, wo die Leute hingehen, die morgens schon arbeiten (müssen). Und dann gehen wir beschwingt heim, und es wird ein wunderbarer Tag, egal, wie müde wir sind.