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Gibt’s nicht mehr…

M: Was ich gerade erst mitbekommen habe: Der Kaugummi meines bisherigen Lebens existiert nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in der mir bekannten Verpackung, angeblich schon seit mehreren Monaten! Es gibt ihn jetzt nur noch in eigenartig geformten Plastikdosen mit je 50 Stück zu kaufen, dafür in mehr Sorten (von denen Experten behaupten, sie schmeckten alle nach Klostein).
Früher gab’s davon nur zwei, wenn ich mich recht erinnere: Spearmint und Juicy Fruit, die eine Sorte weiß, die andere, beliebt besonders bei Mädels, gelb. Die Packungen enthielten, wenn mich nicht alles täuscht, am Anfang nur fünf Stück, später wurden es dann mehr (7? 8?).
Vor allem die weiße Sorte war jahrzehntelang mein ständiger Begleiter, zwei, drei Streifen hab ich mindestens verbraucht pro Tag. Die sie umhüllenden Alu-Papiere habe ich oft sorgfältig schmal gefaltet und als Lesezeichen benutzt, das Buch roch dann immer so schön nach Pfefferminz. Zugegeben: Die Verpackung löste sich in Hosen- und Jackentaschen recht leicht auf und vermischte sich dann gerne mit Tabak- und sonstigen Krümeln, was nicht so appetitlich war; davor schützt eine Plastikdose sicher zuverlässig. Und trotzdem: ich hätte gern die alte Verpackung zurück!

A: Es gab doch auch noch „Doublemint“, diese komisch grünen aus der W-Familie, die ich ziemlich eklig fand, weil die nach nasser Pappe schmeckten. Ich habe den Dingern schon vor Jahren wegen des hohen Zuckergehalts abgeschworen. Irgendwann hatte ich kein gutes Gefühl mehr, diese zähe Zucker-Spucke-Masse in meinem Mundraum zu bewegen und sie in meine Zähne einzuarbeiten. Aber die Verpackung war sensationell! Ein bis zwei halbe Streifen konnte man immer in die engsten Jeans friemeln, auch wenn ich sie dort regelmäßig vergessen habe und nach dem Waschen den klebrigen Schleim entfernen musste. Manchmal waren sie sogar noch essbar, auch wenn sie nach Waschpulver und aufgeweichtem Alupapier schmeckten.
So ein Notkaugummi hat mir aber so manchen Abend gerettet, an dem ich heimlich geraucht hatte und die Pfefferminz-Waschpulver-Mischung der außergewöhnlich guten Nase meiner Mutter einen nikotinfreien Atem vorgaukelte.

M: Gibt es eigentlich diese roten Kaugummi-Automaten noch? Die, in die man oben ein Zehnerl reinsteckte, an einem Hebel drehte und dann eine runde bunte Kaugummi-Kugel bekam und – wenn man ganz großes Glück hatte! – auch eine Zugabe in Form einer Plastikfigur oder eines „Schmuckstücks“. Ich weiß nicht, wieviele Geldstücke ich da im Lauf meiner Kindheit versenkt hab, denn ich wollte natürlich, wie alle anderen Kinder auch, wenigstens einmal ein Goodie kriegen. Und ich schaffte es auch, tatsächlich aber nur einmal! Mit einer gelben Kugel (weiß ich noch wie heute) klapperte ein Ring aus dem Schacht, relativ groß und golden. Ich habe ihn vielleicht zwei Tage lang stolz getragen, dann löste sich das vermeintliche Gold, das in Wahrheit ein billigster Überzug war, vom Plastik, und der Ring sah sehr schäbig aus. Ich fühlte mich sehr betrogen und musste auch noch meiner Großmutter Recht geben, die die Herausgabe der benötigten Zehn-Pfennig-Münzen immer mit dem Hinweis verweigerte, die ersehnten Zugaben seien „Glump“. Diese schmerzliche Erfahrung hat mich, zumindest für eine Weile, von der Benutzung dieser Automaten abgehalten – ich stieg dann eben um auf die erwähnten Streifen, die „richtigen“ Kaugummis.
Kannst du dich noch an die Zigaretten-Automaten von früher erinnern? Die mit den Schubladen, in denen man sich so wunderbar die Finger einklemmen konnte!

A: Bei besagten Schubladen habe ich nicht nur meine Finger böse eingeklemmt, sondern auch die falsch gewählte, aber schon rausgezogene Zigarettenmarkenschachtel beim Zurückschieben völlig verknautscht. Umso ärgerlicher, dass dann auch einige Zigaretten natürlich einen Kopf kürzer waren.
Die Kaugummi-Kugeln aus den feuerwehrroten Automaten hinter schmuddligen, fast blinden Plastikscheiben, waren nicht selten steinhart, brüchig und krümelig und hielten geschmacklich absolut nichts von dem, was sie in den grellsten und glänzendsten Farbstofffarben versprachen. Auch die Zufalls-Beigaben waren allesamt Schrott und doch standen wir – wie du – immer wieder davor, drehten den Hebel und schlossen – unserem Gehör vertrauend – Wetten darüber ab, ob mehr als das Plastikkaugummi in den Schacht gefallen war, bevor wir ihn voller Hoffnung öffneten. Heutzutage begegnen mir diese kostenlosen „Beigaben“ überall als Werbe- und Lockmittel. Im Getränkemarkt meines Vaters gibt es zu jedem Kasten Bier eine Tüte Chips, Nüsse oder Süßkram, weshalb er niemals woanders hingehen würde. Und immer, wenn ich in Westfalen bin, öffne ich die linke untere Tür unserer Wohnzimmervitrine und staune über die Berge, die sich da stapeln. Mittlerweile ist einiges von dem Zeugs natürlich schon längst abgelaufen. Das wird dann aber zuerst gegessen, was bedeutet, dass die im aktuellen Jahr noch haltbaren Sachen dann erst in ein paar Jahren dran sind, wenn sie auf jeden Fall auch abgelaufen sind. Ich überschreite Mindesthaltbarkeitsdaten ja ebenfalls gern völlig sorglos um viele Wochen oder gar Monate, aber nach 5 Jahren schmecken einfach alle Nüsse muffig und ranzig und Schokolade hat diese merkwürdigen Flecken, die ich auch auf den Automatenkaugummis entdeckt habe…

M: Bei mir würden diese Zugaben aus dem Getränkemarkt deines Vaters definitiv kein langes Leben haben, ich esse solches Zeug ja leider für mein Leben gern! Gut, dass ich fast nie in einem Getränkemarkt gehe, und wenn doch mal, dann krieg ich dort nie was geschenkt. Vermutlich muss man Stammkunde sein? Seit ich kaum noch Alkohol trinke und beim Wasser schon immer auf das gute alte „Kranenburger“ zurückgegriffen habe – das Münchner Wasser ist ja auch wirklich gut! – , suche ich Getränkemärkte eigentlich nur noch auf, wenn ich was für Gäste brauche.
Was die Mindesthaltbarkeitsdaten betrifft, so geht es mir wie dir: Ich ignoriere die komplett und verlasse mich ganz auf meine Nase und die Augen; bisher bin ich damit immer gut gefahren. Meine Tochter hingegen hielt sich als Kind sklavisch an die auf der Packung aufgedruckten Ablaufdaten und weigerte sich schlichtweg, auch nur ein Fitzelchen des Käses zu essen, der seit nicht mal 24 Stunden abgelaufen war. Wir hatten darüber immer wieder ebenso ausufernde wie ergebnislose Diskussionen.
Neulich las ich übrigens, dass ein Fruchtjoghurt einer bekannten Schweizer Marke 16 (!) Jahre (!!!) nach Ablauf des MHD geöffnet und in einem Labor getestet wurde – mit dem Ergebnis: Er war in jeder Hinsicht noch tadellos und absolut genießbar! Was bei mir sofort die Frage aufwarf, was zum Teufel die Firma da alles an Konservierungsstoffen reingepackt hatte…

A: Die Frage nach den Konservierungsstoffen führt mich direkt zu den Kaugummis meiner Kindheit. Bei meiner Sekunden-Internet-Recherche öffnet sich bei unserem damaligen Dauerbrenner „Hubba Bubba“ gleich eine ganze Seite mit diesen ominösen E-Nummern, also dreiziffrigen, mega ungesunden Lebensmittelzusatzstoffen. Für diese dickwulstigen Kaugummis, die schon nach einer Minute kauen nach nichts mehr schmeckten, sind wir in der großen Pause extra zu „Rüsing“ gelaufen, um die letzten Pfennige unseres Taschengeldes auf den Kopp zu hauen. Am Ende des Monats haben wir manchmal auch heimlich welche in die Tasche gesteckt. Mundraub war ja damals kein schweres Vergehen und fast so harmlos wie beim Bauer Steiling Äpfel und Birnen direkt vom Baum zu klauen – das redeten wir uns zumindest ein. Mit den dicken, anfangs nur rosafarbenen Kaugummis, konnte man die fettesten Blasen machen. Wenn die platzten, verteilte sich der Kaugummi-Blasenfilm schon mal im ganzen Gesicht. Blöd war, wenn er in den Haaren hängenblieb, da musste dann die Schere ran. Unsere Lehrer haben Kaugummis natürlich gehasst, weil sie ständig unter den Schulbänken oder – noch ekliger – direkt unterm Lehrerpult klebten. Wenn man einer neuen wissenschaftlichen Studie trauen kann, werden sie aber irgendwann vielleicht rehabilitiert oder sogar erlaubt, weil sie angeblich die Konzentration fördern, da das Kauen für eine bessere Durchblutung des Gehirns sorgen soll…

M: Wenn das wirklich stimmt, hätte ich zumindest in meiner Jugend ein Super-Brain haben müssen, denn da hab ich fast ununterbrochen Kaugummi gekaut, auch in der Schule, wo das eigentlich verboten war. Ich habe aber damals eine gewisse Geschicklichkeit entwickelt, in dem Moment, in dem die Lehrerin oder der Lehrer mich angeschaut hat, den Gummi in die Backentasche zu schieben, so dass ich selten erwischt wurde. Woher dieses Bedürfnis, ständig zu kauen, kam, kann ich nicht sagen. Meine Eltern hat es schon gestört, was ich damals nicht verstehen konnte, heute aber schon, denn der Gesichtsausdruck eines ständig rhythmisch Kauenden erinnert ja schon sehr an eine Kuh.
Meinen Kindern habe ich diese Leidenschaft zu meiner Erleichterung nicht vererbt, und ich selber benutze Kaugummi eigentlich nur noch, wenn ich – mal wieder! – mit dem Rauchen aufhöre und mir als Unterstützung Nikotin-Kaugummis reinpfeife, die auch tatsächlich helfen. Sie schmecken auch nicht schlecht, aber nach ein paar Minuten möchte ich sie doch gerne wieder ausspucken.
„Hubba Bubba“ mochte ich übrigens nie, was sicher auch daran lag, dass ich, als ich den ersten probierte, eine derart üppige Blase produziert habe, dass sie in meinem Pony – ja, den hatte ich damals! – kleben blieb. Ich meine mich zu erinnern, dass es trotz Einsatz von viel Shampoo und Babyöl Tage gedauert hat, bis ich den letzten Rest aus den Haaren entfernt hatte. Schön sah das nicht aus!

A: Mit sowas haben unsere Jungs keine Probleme, nicht nur wegen der kurzen Haare, sondern vor allem, weil dieses „Blasenmachen“ anscheinend aus der Mode gekommen ist. Ich sehe zumindest niemanden mehr mit der Zungenspitze gegen den Kaugummi drücken und dann mit spitzem Mund Luft in die Klebemasse blasen. Als eingefleischter Fußballfan sehe ich aber immer noch Sir Alex Ferguson, den Mann mit dem Kaugummi, am Spielfeldrand stehen. 40 Jahre lang hat er hektisch an der Seitenlinie sein Kaugummi durchgeknetet – auf diversen Bildern ist es übrigens unverkennbar ein Streifenkaugummi, das er sich – trocken und frisch – in den Mund schiebt. Sein letztes gebrauchtes! Kaugummi ist ja angeblich für eine knappe Million Euro bei Ebay versteigert worden. Der Erlös ging wohl an eine Foundation, die benachteiligten Jugendlichen in der Region Manchester hilft, wo er knapp 27 Jahre Trainer war.

M: Weißt du auch, wer Fergusons Kaugummi ersteigert hat? Das kann ja eigentlich nur ein Mega-Fußball-Fan gewesen sein! Was macht der wohl mit diesem unansehnlichen und hart gewordenen Klumpen, den wird sich ja wohl kaum einer daheim in die Vitrine stellen und stolz Besuchern vorführen. Zumal man dem teuren Teil ja noch nicht mal ansieht, welcher Prominente ihn dereinst im Mund gehabt hat. Immerhin: Falls das gute Stück mal geklaut werden sollte, lässt es sich leicht selber ersetzen – und keiner merkt’s!
Übrigens hat, so las ich im Internet, die Corona-Pandemie dem Absatz von Kaugummis schwer zugesetzt, knapp 30 Prozent ist der Verkauf zurückgegangen. Das liegt angeblich vor allem daran, dass er nicht mehr so häufig im Kassenbereich der Supermärkte liegt, wo die Käufer, auch beim Warten, spontan zugreifen. „Der Kaugummi lebt vom Impulsmarkt“, zitiert die SZ einen Manager. Und natürlich fehlten während Corona auch viele Anlässe, vor denen man sich schnell mal einen reinpfeift, des frischen Atems wegen: Meetings und – ganz wichtig! – Dates! Das haben wir ja früher schon gemacht: Wenn sich eine Knutscherei anbahnte, haben wir uns schnell noch einen Kaugummi reingezogen…

A: Oh ja! Und manchmal vergaß ich, ihn vorher elegant zu entsorgen, weil die Lippen des anderen schneller auf meinen lagen, als ich vermutet hatte. Wohin also so damit? Niemals hätte ich „Warte mal kurz“ gesagt, weil ich diesen intimen Moment dann ja zerstört hätte. Also hab ich den Kaugummi meist oben rechts zwischen hinterstem Backenzahn und innerer Wange deponiert. Hoffentlich lesen das nicht allzu viele von denen, die ich geküsst habe, um jetzt festzustellen: Ihr wart nicht allein in meinem Mund. Und gruselig die Vorstellung, wenn mir der Kaugummi in den Mundraum gefallen wäre. Irgendwie finde ich, es ist ein Riesenunterschied, ob ich jemanden küsse und sich dabei so allerlei austauscht oder ob ich einen gebrauchten Kaugummi von dem gleichen Menschen übernehme. Ich glaube, das habe ich nur mit einem einzigen Mann gemacht. Wir hatten in der Zeit, in der wie buchstäblich aneinanderklebten, auch mal dieselbe Zahnbürste, weswegen unser Zahnarzt regelrecht ausgeflippt ist.

M: Da waren wir doch wesentlich schmerzfreier – einen Kaugummi samt Speichel von einem Mund in den anderen wandern zu lassen, war überhaupt kein Problem. Unhygienisch? Scheißegal! Wir haben auch ohne Hemmungen Flüssigkeiten wie Bier oder Cola hin- und hergetauscht, auch unter Freund*innen. Auf Partys war das sogar ein beliebtes Spiel: Welches Paar – musste, wie gesagt, nicht liiert sein! – hat nach fünfmaligem Austausch eines Getränks noch am meisten übrig? Heute schaudert es mich bei dem Gedanken daran, aber damals, in den 70-er Jahren, waren wir noch nicht so hoaklig.
Was ich aber schon damals nicht mochte, war der Gebrauch meiner Zahnbürste durch andere. Als ein Freund die mal versehentlich benutzte, hab ich sie sofort entsorgt – was mich aber nicht davon abhielt, schon Minuten später wieder mit ihm zu knutschen. Total inkonsequent, wusste ich auch seinerzeit schon. Und trotzdem konnte ich nicht anders.

A: Ich mag das sehr, wenn man einfach nicht anders kann und alle Zweifel und Bedenken wenigstens für diesen Augenblick weit wegschiebt. Beim Kauf meiner neu entdeckten Kaugummis „gum & paper“ hatte ich null Bedenken, was die Umweltfreundlichkeit betrifft, weil nicht nur der Inhalt, sondern auch die Verpackung plastikfrei ist. Leider schmecken die Dinger auch nach Papier, was mich beim nächsten Mal wieder zur altbewährten Marke greifen lässt, auch wenn es die nicht in Streifen gibt. Aber die komplett umweltfreundlichen waren einfach viel zu weit weg von ich-kann-nicht-anders…

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