M: Vor zwei Tagen war ich mit einem Kollegen bei gemeinsamen Freunden eingeladen. Auf dem Weg dorthin haben wir eine kleine Wette abgeschlossen: Ich habe darauf getippt, dass es garantiert Kürbissuppe zu essen geben würde. Und ich habe gewonnen!
Ich esse sehr gerne Kürbissuppe, wenn sie gut gemacht ist (leider nicht immer der Fall), aber ab Oktober bis über den ganzen Winter wird sie bei fast jeder Einladung serviert. Und es gibt kaum ein Restaurant, bei dem sie nicht auf der Speisekarte steht, das wird mir dann doch eindeutig zu viel. Mit anderen Worten: Ich habe Kürbissuppe inzwischen über!
Ich kann mich noch gut erinnern, wann ich sie zum ersten Mal gegessen habe, nämlich 1997; da brachte mein Sohn das Rezept aus der Schule mit, ich habe es nachgekocht und war begeistert. Kurz danach ging der Hype los und hat sich bis heute hartnäckig gehalten, so ähnlich wie der kometenhafte Aufstieg von Tiramisu etwa 15 Jahre früher, das gab es damals auch bei jedem, wirklich jedem Essen, jeder Party, bei jedem Italiener.
Das neueste Mode-Essen ist meiner bescheidenen Erfahrung nach alles, was mit Bärlauch zu tun hat. Sobald im April die ersten Blätter sprießen und der ganze Englische Garten danach riecht, kann man sich nicht mehr retten: Pesto, Pasta, Suppe, Butter, Risotto – alles mit Bärlauch! Bloß ein Dessert mit Bärlauch gibt es meines Wissens noch nicht… oder doch?
A: Ich kann es gar nicht glauben, habe aber tatsächlich Rezepte für eine Bärlauch-Panna Cotta, einen Bärlauchkuchen und eine Bärlauch-Frischkäsetorte gefunden. Die beiden letztgenannten kann ich mir ja geschmacklich gerade noch vorstellen – in meinem Early-Bird-Italienischkurs haben wir heute auch über typische herzhafte italienische „Kuchen“ gesprochen wie Torta di verdure oder Torta di ceci (ein typisches Gericht aus Livorno), aber bei gekochter Sahne mit Bärlauch ziehts mir grad alles zusammen. Mal abgesehen davon, dass ein klassischer Nachtisch für mich zumindest ansatzweise süß sein muss. Das ist mit einem Kürbis irgendwie einfacher, weil der von sich schon einen leichten Hang zum Süßen hat, finde ich. Und trotzdem mag ich ihn am liebsten in Form einer orangewarmen, nach Ingwer, Curry und Kokosmilch duftenden Suppe. Ich oute mich also auch als Fan!
Und kann gleichzeitig gut verstehen, dass dein Bedarf inzwischen gedeckt ist. Rauke wurde ja vor einigen Jahren ähnlich gehypt und ist mittlerweile aus deutschen und italienischen Küchen auch nicht mehr wegzudenken, vor allem seit man trendiger „Rucola“ sagt. Längst vergessene Sorten aus der guten alten Zeit laufen seit einigen Jahren wie geschmiert. Topinambur, Pastinaken und Steckrüben werden jetzt im Winter den Bauern aus den Händen gerissen, auch wenn sie jahrzehntelang ein eher stiefmütterliches Dasein pflegten. Und ich warte nur darauf, dass die Schwarzwurzel, die mein Vater regelrecht verehrt, zum neuen Gesundheitstrend wird. Für mich ist sie das einzige Gemüse, das ich nicht mag, weil sie so breiig und sämig in der Konsistenz ist.
M: Schwarzwurzeln kannte ich bis vor ein paar Jahren gar nicht, bei uns in Bayern waren sie gar nicht verbreitet. Als eine Freundin aus dem Norden das hörte, war sie voll des Mitleids und schwärmte mir in den allerhöchsten Tönen von diesem Gemüse vor – es sei sogar noch VIEL besser als Spargel! Und als ich bei ihr zu Besuch war, kochte sie extra für mich eine Portion. Vielleicht waren es die hohen Erwartungen – ich war jedenfalls sehr enttäuscht! Es war gar nicht mal so die Konsistenz wie bei dir, ich mochte einfach den Geschmack überhaupt nicht, irgendwie war da was unangenehm Muffiges drin. Ehrlich gesagt hätte ich am liebsten die ganze Portion nach zwei, drei Bissen stehenlassen, habe aber natürlich höflichkeitshalber aufgegessen, einen Nachschlag allerdings abgelehnt.
Um noch mal auf den Kürbis zurückzukommen: Gestern habe ich auf dem Markt tatsächlich einen kleinen Hokkaido gekauft, er strahlte mich so fröhlich an. Jetzt liegt er auf dem Tisch auf dem Balkon und wartet auf seinen Einsatz. Man kann die Dinger ja wirklich, richtig gelagert, monatelang aufbewahren, das nimmt mich sehr für dieses Gemüse ein.
Als ich meinen ersten „richtigen“ = großen Garten hatte, wuchsen überall Kürbisse, besonders in der Nähe des Komposthaufens, sie vermehrten sich aus den Kernen. Einmal habe ich eine besonders schöne und üppige Pflanze unter unserem Kirschbaum eingesetzt und dann ehrlich gesagt etwas vergessen. Als ich eines Tages nachschauen wollte, war die Pflanze weg. Ich war sehr empört und verdächtigte schon die Nachbarn, da schaute ich eher zufällig nach oben – und da leuchtete der große Kürbis an einem der Äste; er hatte sich einfach den Baumstamm emporgerankt und sich seinen Weg gesucht. Vermutlich wäre er uns eines Tages auf den Kopf gefallen!
A: Der Kürbis ist ein Tausendsassa, nicht nur in der Küche! Im Piemont, wo ich grad war, gab es Pasta und Risotto alla Zucca oder Cappellaci di Zucca, also diesen italienischen Klassiker mit Kürbis-Parmesanfüllung geschwenkt in Salbeibutter. Der Kürbis eignet sich anscheinend für alles: Obendrauf und innendrin, halbiert oder geviertelt im Ofen geschmort oder in Scheiben geschnitten im Salat. Und es gibt natürlich auch eine „Crema di Zucca“. Ist die vielleicht der Vorgänger der so heißgeliebten deutschen Kürbissuppe? Oder was war da zuerst da?
Ausgehöhlte Fratzen-Kürbisse vor Hauseingängen habe ich in Turin übrigens nicht entdeckt, Dekozeugs wie Lichterketten gab es allerdings schon, ebenso herumgeisternde Kinder in leuchtenden Skelettkostümen. Der „Halloween-Hype“ hat sich also auch in Italien breit gemacht. Und warum wird dieses Fest so rauschend in den USA gefeiert, wenn die Tradition, aus Kürbisse Fratzen zu schneiden, angeblich auf eine irische Legende zurückgeht? Haben die zahlreichen irischen Einwanderer vor vielen Jahren ihre Bräuche vielleicht mit in die Staaten gebracht?
M: Das hat mich jetzt auch interessiert: Laut Wikipedia ist es tatsächlich so, dass wir diesen Brauch den Iren zu verdanken haben, die den 31.10. in heidnischer Zeit noch „Samhain“ nannten; das war offenbar eines ihrer wichtigsten Feste, sowas ähnliches wie Erntedank bei uns. Außerdem glaubten die Kelten, dass sich an diesem Tag die Toten auf den Weg zu den Lebenden machen würden, die im nächsten Jahr sterben sollten. Ganz schön gruselig. Daher auch kleine Gaben („treats“) vor den Häusern, die sollten die Geister besänftigen.
Halloween, „All Hallows Eve“, wird der Tag erst seit der Christianisierung genannt. Und seit dem 19. Jahrhundert wurde durch die Einwanderer aus dem irischen Brauch ein amerikanisches Party-Event, das dann auch über den großen Teich schwappte und kommerziell heftige Ausmaße annahm. Wie ich einer meiner Lieblingsserien, „Modern Family“, entnommen habe, sind viele Amerikaner total verrückt auf Gruselparties und -outfits, die sie oft monatelang vorbereiten und für die sie viel Geld ausgeben. Aber sogar in unserem Kaufhaus an der Münchner Freiheit hab ich schon Anfang Oktober eine eigene Abteilung entdeckt, in der Kostüme, Masken, spezielle Deko-Artikel, Schminke, Süßigkeiten und Totenschädel aus Plastik verkauft wurden. Gut, dass es das in meiner Kindheit noch nicht gab, ich grusel mich ja gar nicht gerne und hätte mich vermutlich an Halloween unter meinem Bett verkrochen.
A: Der Älteste hat in unserer Zeit auf dem Lande mal eine Halloween-Party geschmissen mit allem, was dazu gehört. Sprechenden Totenköpfen, Deko-Spinnennetzen, Gespenstern, glibbrigen Plastikspinnen, Skeletten und jeder Menge Fratzenkürbisse, die wir eigenhändig ausgehöhlt haben. Die Suppe, die wir aus diesen riesengroßen orangefarbenen Halloween-Kürbissen gekocht haben, schmeckte fad und wässrig. Dafür eignen sich Hokkaidos, Butternuts oder Muskat-Kürbisse dann natürlich besser.
Ich fand das damals aber sehr spannend, weil die Gäste zwischen 12 und 14 Jahren sich echt viel Mühe mit den Kostümen gegeben haben. Manche waren dazu noch aufwendig geschminkt mit tiefschwarzen Augenringen, wulstigen Narben, Vampirmündern oder Blut, das aus Ohren oder Nase lief. Und andere haben sich einfach nur ein Betttuch über den Kopf gezogen.
Zu meiner Kölner Zeit fand ich diese Kostümierung zu Karneval ja eher albern. Heute kann ich mich aber selbst dafür begeistern, weil es etwas Verspieltes hat. Und offenbar macht es froh, mal in eine andere Haut zu schlüpfen und sich ganz anders zu präsentieren, als im Einerlei des Alltags. Und das Beste dabei ist das Singen! Also zusammen singen. Denn auch wenn jedem Chorleiter eines Profi-Gesangvereins die Haare vermutlich zu Berge stehen bei der alkoholseligen Schieflage der Töne: Das gemeinschaftliche Gefühl ist doch sehr ähnlich. Und meine Jungs sind in beinah jedem Karnevalslied immerhin textsicher.
M: Vielleicht muss man mit Events wie Halloween oder Karneval bzw. Fasching von klein auf sozialisiert worden sein, um Spaß daran zu haben. Ich war/bin es nicht, und hab deswegen auch keine Beziehung dazu. In meiner Kindheit auf dem Land kam Fasching praktisch nicht vor, daheim nicht, aber auch nicht im sozialen Umfeld wie Schule etc. Als wir in die Stadt gezogen sind, wurde das ein bisschen anders, da habe ich zum ersten Mal eine Faschingsparty besucht, und es war auch gleich das letzte Mal. Ich weiß noch, dass ich vorher null Idee hatte, was ich tragen sollte und auch nicht wirklich Lust hatte, Arbeit in mein Kostüm zu stecken. Ich fühlte mich verkleidet einfach nicht wohl, das ist bis heute geblieben. Ich bin auch nie mitbekommen zu den berühmten „Weißen Festen“, die es in den 70-ern und 80-ern und auch später noch in Schwabing gab, die fanden in der Max-Emanuel-Brauerei statt und waren legendär zum Anbandeln. Man brauchte kein tolles Kostüm, irgendeine weiße, ein bisschen schräge Klamotte reichte. Ich hatte viele Freunde, die da jedes Jahr mehrmals hingingen und mir vorschwärmten, wie lustig es immer war, aber ich konnte mich nie überwinden, die Fotos, die ich zu sehen bekam, reichten mir. Und Männer in Kostümen welcher Art auch immer finde ich leider bis heute sehr unsexy.
A: Da habe ich noch nie drüber nachgedacht, ob ich verkleidete Männer sexy finde oder nicht. Interessant. Aber ich glaube, es geht mir wie dir! Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb ich in meiner Kölner Studentenzeit an diesen ausschweifenden Karnevalstagen nie einen Mann in meine ohnehin schon männerreiche WG mitgebracht habe, geschweige denn, mich verliebt habe. Nach meiner langjährigen rheinländisch-jecken Erfahrung scheint der kostümierte Mann bei vielen anderen Frauen dagegen gar kein Problem zu sein. Vielleicht denken Sie einfach nicht darüber nach, was der Eisbär, Pirat oder Chefarzt mit dem Mann, der in dieses Kostüm geschlüpft ist, zu tun hat? Oder sie denken erst recht darüber nach und finden den Eisbär anschmiegsam, den Piraten verwegen und den Chefarzt heldenhaft, weil er in der Realität Leben rettet? Und wie viele Gedanken macht sich jemand, der sich verkleidet, mit der Wirkung seines Kostüms eigentlich? Bewusst? Aber auch unbewusst?
Ich habe in dunkler Erinnerung, dass ich mich als Teenager zusammen mit meiner ältesten und engsten westfälischen Freundin zu den wenigen Karnevalspartys, zu denen wir gegangen sind, immer auf abgrundtief „Hässlich“ gestylt habe. Das fanden wir richtig lustig – waren aber mehr oder weniger die Einzigen, die sich stundenlang darüber schlapp gelacht haben. Und was sagt DAS jetzt über uns?