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Winterputz

M: Das beste Weihnachtsgeschenk, das ich diesmal bekommen habe, ist ein Gutschein von meiner Tochter. Normalerweise bin ich kein Fan von Gutscheinen, meistens vergess ich, sie einzulösen, aber diesen einen garantiert nicht: Das liebe Kind hat mir nämlich einen ganzen Tag Putzen in meiner Wohnung geschenkt!
Jetzt überlege ich schon seit Wochen, wie ich ihn am besten einsetze. Nötig hätten das Saubermachen bei genauer Betrachtung alle Zimmer, aber ich werde mich wohl für die Küche entscheiden, die ist schon lange fällig. Seit Monaten, wenn nicht gar Jahren drücke ich mich vor einer gründlichen Reinigung und hudel nur über die Oberflächen, das ist mir genug Arbeit. Eine Küche, und sei sie auch relativ klein wie meine, hat ja fürchterlich viele Stellen, die schnell und nachhaltig dreckig werden: Allein die Oberschränke! Nicht nur, dass sich oben gerne zentimeterweise Staub und Fettschutz ansammelt, die Regalbretter innen müssten geputzt werden, bei der Gelegenheit auch der ganze Inhalt… und dann die Glastüren! Oder die Dunstabzugshaube aus Edelstahl, auf der man jeden Fleck und jeden Fingertapper sieht und an der man sich totpolieren könnte! Von dem Backofen will ich gar nicht erst reden! Ich frage mich inzwischen, ob ein ganzer Tag überhaupt reicht…

A: Was für ein großartiges Geschenk! Gutscheine dieser Art haben die Söhne früher gern dem Vater zum Geburtstag geschenkt: Auto waschen, Schuhe putzen, Kaminholz stapeln. Und ich kann mich jetzt nicht erinnern, dass für mich mal ein Gutschein „Fenster putzen“ dabei war. Aber gut.
Der Tag wird vermutlich nicht reichen für deine Küche. Weil man nach meiner Erfahrung während der Großreinigung immer mehr entdeckt, was es dringend mal nötig hätte. Ich putze mich auch meistens in einen regelrechten Rausch und hasse jede kleinste Unterbrechung, weil dann der Flow einfach unterbrochen wird oder schlicht meine Motivation futsch ist. Was es immer braucht – selbst beim schnöden Samstagsputz – ist eine gute Playlist. Die am häufigsten bei mir zum Einsatz kommende heißt „Dance!“ mit Oldies wie „September“ oder „American Pie“.
Da ihr jetzt aber zu zweit seid, könnt ihr euch ja durch den Tag quatschen. Herrlich! Beim Aussaugen der Besteckschublade entdeckt ihr vielleicht eine nagelneue Nudelzange, die du NIE benutzt hast, weil sie unfassbar blöd zu spülen ist, die schlichte Gabel einfach nicht ersetzen kann und obendrein noch ein Geschenk von jemandem ist, den/die du eigentlich nicht leiden kannst oder aus den Augen verloren hast. Und dann fällt dir auf einmal die ganze Geschichte zu diesem Menschen ein…

M: Tatsächlich habe ich die Hoffnung, das eine oder andere schon lange vermisste Teil beim Putzen wiederzufinden. Das letzte Mal, als ich die Besteckschubladen saubergemacht habe, fand sich eine schon verloren gegebene Silberkette wieder; ich habe lange gerätselt, wie sie zwischen die Küchenmesser geraten war und vor allem, wieso ich sie nicht schon längst entdeckt hatte, wo ich die Messer doch wirklich viel benutze. Ob sich diesmal auch wieder so ein kleiner Schatz findet?
Eine der fiesesten Arbeiten habe ich übrigens heute schon vorab erledigt, nämlich den Backofen geputzt. Davor graust mir jedes Mal wieder besonders, erstens wegen des eingebrannten Fetts, an dem man echt heftig herumschrubben muss, und zweitens, weil ich so richtig in den Ofen reinkriechen muss, um jede Ecke zu erreichen – ganz schlecht für den Rücken! Und dann muss auch noch die Tür ausgehängt und auseinandergeschraubt werden, weil sich zwischen den beiden Glasscheiben immer fieser Dreck ansammelt. Ist aber jetzt erledigt. Und wie immer nach dem exzessiven Putzen wird der Backofen erstmal ein paar Tage nicht benutzt, damit sich der mühsam erarbeitete Glanz auch ein bisschen hält.

A: Dann gibt es also auch keinen Kuchen bei dir im Moment, verstehe. In der WG des Ältesten ist bei der letzten Backaktion eines Fertigkuchens diese innere Glasscheibe, die du so mühsam saubergeschruppt hast, mit einem ohrenbetäubenden Knall explodiert. Die drei Männer haben dann online recherchiert, dass kleine Kratzer vom Reinigen mit Stahlwolle-Pads und ähnlichem dafür verantwortlich sein können, dass das Glas bei großer Hitze platzt. Für Windschutzscheiben beim Auto gibt es dafür ja inzwischen so spezielle Poliersets, die die Kratzer versiegeln sollen. Vielleicht ist das aber auch nur wieder Geldmacherei…
Ich habe noch ein weiteres unliebsames Gerät in der Küche beim Großreinemachen: Den Kühlschrank! Er hat mindestens so viele kaum erreichbare Ecken und Schlitze wie der Backofen. Die Einlegeböden sind sperrig und können nur mit viel List aus dem Korpus entfernt werden, um in der Spüle – in die sie nicht reinpassen – mal ordentlich gereinigt zu werden UND an der Rückwand klebt Undefinierbares, das man erst antauen lassen muss, um es entfernen zu können.

M: Der Kühlschrank ist bei mir gottseidank kein Problem. Da er mit dem Tiefkühler kombiniert ist und der aus Altersgründen relativ schnell vereist und dadurch zum Stromfresser wird, nehme ich ihn mir spätestens alle halbe Jahre vor, taue ab und reinige auch den oberen Teil, also den Kühlschrank. Da ich das so oft mache, kann ich die ganze Aktion in ca. 90 Minuten erledigen und es ist auch nicht sonderlich eklig. Das ist bei mir also eine der leichteren Übungen, und da ich sie erst kurz vor Weihnachten erledigt hatte, fiel sie beim Großputz gar nicht an.
Natürlich gab es trotzdem noch genug zu tun – aber es hat, du wirst es kaum glauben, Spaß gemacht! Lag wahrscheinlich daran, dass wir zu zweit waren und endlich auch mal ungestört stundenlang ratschen konnten. Ich stand vor allem an der Spüle und schrubbte alles, was mir die Ober-Putzfrau und Gutschein-Spenderin hinreichte. Wobei es nicht so viel war wie befürchtet, denn meine Tochter ist eine radikale und begeisterte Wegschmeißerin. Nicht nur wurde jedes Gewürz akribisch auf seine Haltbarkeit überprüft („Das ist vor fünf Jahren abgelaufen, hoffentlich kochst du damit nicht noch!“), es wurden auch sämtliche Gläser, Teller, Tassen, Becher und Schalen kritisch begutachtet. „Brauchst du echt neun Blumenvasen?“ „Wann hast du das Teil zum letzten Mal benutzt?“ „Wozu hast du Sektgläser, du trinkst doch gar keinen!“
Als mittags bei Halbzeit unser Putz-Belohnungs-Sushi geliefert wurde, war schon eine ganze Kiste voll mit einer recht anständigen Küchen-Ausstattung, die in Zukunft anderen Menschen zugute kommt. Und in meinen Schränken ist wieder Platz!

A: Da bin ich jetzt richtig neidisch, muss ich gestehen. Auch, weil ich im Wegschmeißen nicht wirklich gut bin. Und deshalb gibt es in unserem Keller schon so einige durchsichtige Aufbewahrungs-Kisten z.B. mit einer zweiten Küchenausstattung, die die Söhne bei ihren Umzügen immer nur häppchenweise mit in ihre WG’s genommen haben, weil da meist schon vieles da war.
Und ich hab jetzt grad mal unsere Vasen gezählt. Es sind mehr als neun, wenn ich die im Keller mitrechne, wobei die Hälfte davon italienische Weinkaraffen sind, die wir aus irgendwelchen Urlauben mitgebracht haben. Die zählen dann nicht, oder? Obwohl ich mir jetzt eingestehen muss, dass wir diese Karaffen eigentlich nie mit Wein befüllen, weil der in der Flasche einfach besser aufgehoben ist. Aber solange mich eine sommerlich-leichte Erinnerung mit diesen Weinkaraffen verbindet, kann ich sie nicht entsorgen. Ich müsste also bei was anderem beginnen, zum Beispiel doppelten Auflaufformen, die mich allein deshalb schon ärgern, weil sie bis jetzt heil geblieben sind, während die ovale mittlere, die nur einmal da war, leider bei einer Party kaputtgegangen ist. Herrje, ich halte mich einfach zu viel mit Details auf, fürchte ich, das hab ich von meinem Papa, der alles, was einen Sprung hat oder henkellos ist, wieder zusammenklebt. Irgendwann nennt er es wahrscheinlich auch noch westfälisches Kintsugi.

M: Ich bin eine gute Wegschmeißerin – manchmal zu gut! Dann fällt mir ein paar Tage – oder manchmal sogar Stunden! – nach dem großen Ausmisten auf, dass ich das eine Top eigentlich hätte behalten sollen, weil es zu der ganz bestimmten Hose einfach perfekt passt. Oder dass die Salatschüssel, die ich fröhlich entsorgt habe, inzwischen meine einzige ist bzw. war.
Die einzigen Sachen, von denen ich mich schwer trennen kann, sind zwar überflüssige, aber mit vielen Emotionen behaftete Erinnerungsstücke, die mich in bestimmte schöne Momente aus der Vergangenheit katapultieren. So habe ich zum Beispiel jahrzehntelang einen vollkommen unpraktischen gelben Keramik-Aschenbecher im Schrank gehütet, der von meinem ersten Besuch in Harry’s Bar in Venedig stammte. Wirklich benutzt habe ich ihn nie, war aber trotzdem sehr traurig, als ein Besuchskind ihn zerdepperte und der Versuch, ihn zu kleben, scheiterte. Ich habe auch von jeder Reise Souvenirs oder Geschenke mitgebracht, die ich nicht oder nur sehr schweren Herzens wegschmeiße: Holzschalen und Schmuck aus Südafrika, Servietten und Notizbücher aus Australien, Bier-Gläser aus England und New York (zum Teil geklaut), schweres Tongeschirr aus Italien, wunderschöne pastellfarbene Stoffe aus Dänemark… Nur von meiner Russland-Reise bin ich ganz ohne Mitbringsel heimgekommen.

A: In unseren Besteckschubladen liegen zwei alte viktorianische Tortenheber (mindestens zwei weitere sind in besagter Kiste im Keller), einer von meiner Oma und einer aus den Staaten. Immer wenn ich an der Ostküste bin, gehe ich mit meiner Cousine auf Flohmärkte, die meist eine gute Auswahl haben an sehr schönen alten Milchkännchen, Zuckerdosen, Silberlöffeln und eben diesen wunderbar verschnörkelten Tortenhebern, die allesamt versilbert sind und nicht in die Spülmaschine dürfen. Mehr noch: Man muss sie regelmäßig mit diesen Silberputzmitteln blank wienern. Das mache ich – wenn überhaupt – alle Jubeljahre mal und dementsprechend angelaufen sehen sie leider auch aus. Bei einem großen Küchenputz ständen sie auf jeden Fall mit vorn auf der Liste.

M: Vom Silberputzen hab ich mich schon längst verabschiedet. Vor Jahrzehnten hab ich mal in einem Anfall von großbürgerlichen Snobismus ein großes Konvolut an Tafelsilber gekauft, um kurz darauf festzustellen: Das ist nichts für mich. Erstens durfte das Besteck nur mit der Hand gespült werden, und zweitens hatte ich den Eindruck, dass das Essen von den Gabeln und Löffeln immer einen irgendwie komischen Beigeschmack hatte. Und dann drittens: Das Putzen! Mit einem Mittel, das sehr unangenehm roch. Ich habe das ganze Silberzeug dann kurzerhand weiterverkauft und mir ein neues, pflegeleichtes gekauft. Jetzt ist das einzige echt silberne Stück in meinem Haushalt eine flache Jugendstil-Schale aus meinem Elternhaus, die ich aus rein nostalgischen Gründen behalte, denn eine richtige Funktion hat sie nicht. Aber schön ist sie schon. Also behalte ich sie und putze sie auch zähneknirschend, ungefähr einmal im Jahr. Was meine Kinder wohl eines Tages damit anstellen, wenn sie ihnen vererbt wird?

A: Falls sich der nostalgische Wert der Jugendstil-Schale in die nächste Generation übertragen hat, werden sie sie vermutlich behalten. Und putzen. Das kann ja durchaus was Meditatives haben oder vielleicht sogar was Verbindendes. Ich entstaube zum Beispiel gern die Gesamtausgabe von Wilhelm Busch, die ich von meiner Oma geerbt habe, obwohl ich Bücherregale ansonsten ungern sauber mache, weil es da so viele kleine Lücken gibt und Staub sich im Allgemeinen in und auf Papier einfach hartnäckiger reinsetzt. Und was mir auch passiert: Ich bleibe bei Buchtiteln hängen, schlage beim Entstauben den Buchdeckel auf, lese den ersten Satz, meistens mehr. Dann ist der Putz-Flow aber definitiv futsch…

M: Das erinnert mich an den Frühjahrsputz bei uns zuhause, bei dem wir Kinder eine ganz bestimmte Aufgabe hatten: Die Bücher entstauben! Sämtliche Regale wurden geleert und der Inhalt waschkörbeweise ins Freie getragen. Wir wurden dazu verdonnert, jedes, aber auch wirklich JEDES Buch auszuklopfen und abzuwischen – und in meinem Elternhaus gab es verdammt viele Bücher!
Wir haben diese Arbeit gehasst. Am Anfang haben wir die Bücher noch halbwegs anständig gesäubert, aber je länger diese Fron dauerte, desto luschiger wurden wir natürlich. Und einigten uns dann stillschweigend darauf, über höchstens jedes zweite drüberzuhudeln.
Meine Bücher hätten das Entstauben auch mal dringend nötig, aber dazu kann ich mich echt nicht aufraffen, die Erinnerung sitzt noch zu tief. Lieber miste ich auch in meinen Bücherregalen mal ordentlich aus, so schwer es auch fällt.


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