M: Ich war vor ein paar Tagen bei einer privaten, kleinen (=Corona-tauglichen) Einladung. Als erstes bekam ich ein Glas Champagner in die Hand gedrückt, den ich ohnehin nicht mag. Ich hab stattdessen um einen Saft gebeten, weil ich auch keine Lust auf Alkohol hatte. Aber den ganzen Abend über hatte ich dann das Gefühl, dass das nicht so gut ankam, dass ich nichts bzw. nichts Alkoholisches trinken wollte, ich wurde mindestens fünfmal gefragt, ob ich nicht doch ein Glas Wein wollte… oder lieber einen Longdrink? Wirklich gar nichts?!?
Hinterher hab ich überlegt, ob ich vielleicht den netten Leuten den Abend verdorben habe. Weil sie meine Ablehnung als versteckte Kritik aufgefasst haben an ihrem Alkohol-Konsum. Oder haben die, die mich noch nicht kannten, mich für eine trockene Alkoholikerin gehalten? Das würde ich ja schon wieder lustig finden.
Was mir jedenfalls dabei auffiel: Feiern und Spaß haben ohne Alk ist offenbar undenkbar geworden, auch für mich selber. Ich käme nie auf die Idee, Menschen einzuladen und nicht reichlich Bier, Wein und sonstiges bereitzustellen. Und ich finde es ja auch absolut nichts Schlimmes daran, was zu trinken – bloß dass es ganz offensichtlich nicht mehr ohne geht, darüber mach ich mir Gedanken.
A: Wenn man eine Party ohne Alkohol schmeißt, ist man direkt in der Langweiler-Ecke, die meisten Gäste wären schnell wieder weg, würden beim nächsten Mal vermutlich gar nicht erst kommen und das Schlimmste: Sie würden sich bevormundet fühlen, weil die Entscheidung zu Alkohol oder eben nicht, jeder für sich persönlich treffen möchte. So eine Abstinenzler-Sause geht ohne Ankündigung und ohne große Empörung schon mal in der Yoga Community mit Ayurveda-Tee und Hafermilch oder vielleicht noch beim Abendkreis des Kirchenchors. Aber sonst?
Alkohol lockert die Atmosphäre und das Mundwerk, und wenn alle was getrunken haben, ist man in einer gemeinsamen Feel-Good-Blase – so lange es nicht um Politik geht und der Abend noch jung ist. Da kann so eine komplett Nüchterne schon mal empfindlich stören, weil ihre Wahrnehmung geschärfter ist, sie irgendwie kritischer, vielleicht sogar milde lächelnd auf die Wein- & Bierseligen schaut. Hättest du allerdings auf der Party gesagt, du müsstest noch Autofahren, wär alles in bester Ordnung gewesen. Mehr noch: Man hätte dich bedauert, dir mitleidsvoll deinen Orangensaft gereicht und dabei vielleicht noch über den Rücken gestrichen.
M: Der Tipp mit dem Autofahren ist prinzipiell gut, allerdings funktioniert er auf dem Land besser als in der Stadt. Und die Einladung war grade mal 10 Fußminuten entfernt.
Das mit der Bevormundung versteh ich total, kann ich auch nicht leiden. Und ich hab auch überhaupt nichts gegen Alkohol, solange gemeinsames Trinken nicht in ungute Exzesse ausartet, da bin ich mittlerweile empfindlich. Ich trink ja selber gerne was, wenn auch nur in Gesellschaft (wer mich mal einladen will: Gerne Bier, Campari, Gin Tonic, Pernod… Wein vertrag ich leider nicht mehr, Sekt, Champagner und Aperol Spritz stehen auf meiner Shit-Liste). Mir geht’s eher um die allgemeine Übereinkunft: Ohne Alkohol kein Spaß!
Womit du (wieder mal) Recht hast: Nüchterne und Alkoholisierte vertragen sich nicht gut, zumal wenn Letztere schon mehr als einen im Tee haben. Meine Mutter erzählte gerne augenrollend von einem Wiesn-Besuch meines Vaters mit seinem Schwager, 1951, glaube ich, an dem sie wegen zweier kleiner Kinder (eins davon zwei Wochen alt) nicht teilnehmen konnte. Als die beiden Männer nachts heimkamen, allerbester Laune und mit einigen Maß intus, hätte sie sie „abwatschen können“, weil sie so total albern, laut und peinlich waren.
A: An solche Entgleisungen erinnere ich mich auch nur zu gut. Und als Kind fand ich es amüsant, wenn in unserer Lehrer-Sackgasse (in jedem Haus mindestens ein Lehrer!) die pädagogisch wertvollen Sommerfeste mit den üblichen Verdächtigen bis in den frühen Morgen ausklangen und die Oberstudienräte und Konrektoren singend auf Gäulen ritten oder, Steinchen an verschlossene Fenster werfend, versuchten, noch Mitstreiter für ihre kleine Privatfete zu aktivieren.
In Westfalen trinkt man zum Pils ja Korn. In den Gaststätten heißt das dann „Gedeck“, und bestellt wird an der Theke ein Pils und ein Kurzer oder schlicht „Kurz-Lang“. Das ist eine verteufelte Kombi und meine Mutter erzählt gern, dass sie als Kind schon mal mit ihrem Vater in die gegenüberliegende Kneipe ging. An der Theke saß sie dann neben meinem Oppa auf dem viel zu großen Barhocker, und immer, wenn einer der Stammtischbrüder ihres Vaters eine Runde schmiss, musste sie heimlich den Kurzen trinken, weil mein Oppa die nicht vertragen hat. Jugendschutzgesetz? Egal! Gab es das überhaupt schon? In den Fünfzigern? Ach, meine Mutter verträgt die Klaren übrigens bis heute ganz gut. Aber nur in Begleitung von Wasser!
M: Ja, der Jugendschutz… In Bayern war es ja früher üblich, den Babies zur Beruhigung in Bier getauchte Dizl ins Mäulchen zu schieben. Die Italiener wiederum gaben den schon etwas älteren Kindern als Nachmittagssnack gerne in Wein getunktes Brot mit Zucker obendrauf.
Ich habe die ersten Jahre meines Lebens ja im Fränkischen verbracht, und da war es Anfang/Mitte der Sechziger ganz normal, dass die Kinder abends mit dem väterlichen Bierkrug in die Kneipe am Marktplatz geschickt wurden, die, wenn ich mich recht erinnere, „Schwarze Katz“ hieß. Dort wurde er gefüllt und mehr oder weniger vorsichtig heimgetragen. Und auf dem Weg wurde natürlich ein bisschen Schaum abgeschleckt bzw. ein ordentlicher Schluck genommen.
Ich war immer sehr neidisch auf diese Kinder, denn meine Eltern taten das natürlich nicht, sondern hatten Flaschenbier im Haus. Und Wein. Der in den Häusern meiner Freund*innen kaum bis gar nicht getrunken wurde.
A: Mir wär gar nicht in den Sinn gekommen, meinen Buben Alkohol in irgendeiner Form, wenn auch in Minidosierung, einzuflößen. Ich kann mich aber erinnern, dass die ältere Generation nicht wirklich ein Problem damit hatte, wenn einer der beiden aus Neugier zum Glas mit dem Lackerl griff und es zum Trinken ansetzte. Das war dann schnell mit „Hat uns auch nicht geschadet“ erledigt. Eine unumstößliche Wahrheit, die kurz nach „Wer saufen kann, kann auch arbeiten“ kam. Und beides hat auch irgendwie gestimmt.
Bei meinen alljährlichen Treffen mit alten Freunden aus der westfälischen Heimat gibt es aber seit einigen Jahren einen, der nur noch alkoholfrei trinkt. Das war am Anfang ganz merkwürdig, weil er zu früheren Zeiten geraucht hat wie ein Schlot und die Schlagzahl seiner getrunkenen Biere an einem Abend schon manchmal atemberaubend war. Als er dann plötzlich nichts mehr trank, haben wir erst die üblichen Witze gemacht, um uns dann irgendwann zu fragen, ob wir uns vielleicht doch Sorgen machen müssen? Die Männer vor allem um seine ohnehin beeindruckende sportliche Leistung beim jährlichen Königsschießen (dabei handelt es sich um Fußball und nicht um ein schützenfestähnliches Rumgeballer), das er aber meines Wissens nicht noch öfter gewonnen hat als vor der Abstinenz. Mittlerweile ist es völlig normal, dass einer unter uns ist, der eben nichts trinkt und dabei genauso viel Spaß hat. Er ist in den letzten Jahren nur seltener bei den Letzten dabei. Dafür bin ich es immer noch. Grmmppff… Bei Frauen ist es aber durchaus auch salonfähig, als Letzte ins Bett zu gehen, ohne Alkohol getrunken zu haben. Passiert mir in DER Konstellation allerdings eher selten.
M: Kennst du das Buch „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk? Als ich das letztes Jahr gelesen habe, hat es mich tagelang verfolgt. Und ich glaube, es hat entscheidend zu meiner Abneigung gegen Besäufnisse (ich rede NICHT von gepflegtem Trinken!) beigetragen. Welche Unmengen an Bier und vor allem Schnaps in diesem Buch gesoffen werden, kannst Du Dir kaum vorstellen. Was dazu führt, dass aus elenden Existenzen, die keinen Platz im Leben haben und auch keinen finden, durch Alkohol noch elendere werden… Toll beschrieben, aber einfach schrecklich in seiner abgrundtiefen Trostlosigkeit, selten hat mich ein Buch so deprimiert. Als der Film letztes Jahr in die Kinos kam, konnte ich mich nicht überwinden, reinzugehen, obwohl Fatih Akin ein von mir sehr geschätzter Regisseur ist.
Was ich mittlerweile übrigens mache – und wofür ich früher nur größte Verachtung übrig gehabt hätte: Ich trinke alkoholfrei! Weil ich abends daheim ab und zu ein Feierabendbier mag, aber nüchtern bleiben will (und auch nicht mehr viel vertrage), probiere ich mich durch das einschlägige Sortiment bayrischer Brauereien. Mein Favorit momentan: Ein alkoholfreies Radler! Schmeckt wirklich gut, haben sogar etliche Skeptiker in meinem Umfeld zugeben müssen.
A: Ich liebe ja Campari! Und selbst dazu gibt es mindestens zwei alkoholfreie Varianten. Oder einfach schlicht, aber wunderbar: Stilles Wasser! Denn häufig ist es ja auch die eigene Haltung, die ein vermeintlich langweiliges Getränk zu einem besonderen macht. Ich weiß nur nicht, ob ich mit Letzterem das Lesen des Strunk-Romans überstanden hätte? Oder mir jeder Schluck im Halse stecken geblieben wäre? Wessen ich mir dagegen ziemlich sicher bin, ist, dass diese Fragen im Konjunktiv bleiben werden, so sehr mich die Lektüre des Romans aus einigen anderen Gründen reizen würde.