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Was ist ein Sommerbuch?

M: Ich bin ja bei einigen Verlagen im Verteiler für die Programmvorschauen, und spätestens im März und April kommen von denen die Empfehlungen für die sogenannten „Sommerbücher“, auch „Urlaubslektüre“ genannt. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um „heitere und gefühlvolle“ Liebesromane, die vorzugsweise an gern frequentierten Ferien-Schauplätzen wie Küsten und Inseln spielen, um ausufernde und „humorvolle“ Familiengeschichten und um Regionalkrimis – es gibt ja mittlerweile kaum noch ein Dorf in diesem Land, in dem noch nicht gemordet und ermittelt wird. In den Titeln dieser Bücher kommt häufig das Wort „Sommer“ vor, gerne in Kombination mit Südfrüchten wie Zitronen, Limonen, Orangen, die Spritzigkeit suggerieren. In Kaufhäusern und vielen Buchhandlungen gibt es, meist gleich am Eingang, Tische mit großen Stapeln dieses Lektüre.
Wird im Sommer anderes gewünscht und gelesen als in den kälteren und trüberen Monaten? Will man sich am Strand oder auf dem Balkon höchstens ein bisschen gruseln, sich ansonsten aber in die perfekte Sommerwelt hineinträumen, an der Amalfi-Küste oder in Cornwall, inklusive viel sogenannter Romantik? Oder ist das alles nur ein Marketing-Trick?

A: Ich vermute Marketing UND die Inszenierung eines makellosen Sommers! Die Titelseiten der sogenannten Frauenzeitschriften sind ja – im Vergleich mit den Vorjahressommern – auch mehr oder weniger gleich. Die Sommer-Cover locken Jahr um Jahr mit Blitz-Diäten für die Bikini-Figur, Rezepten für die leichte Sommerküche, der neuesten Shapewear und den Geheimtipps für einsame Buchten. Strategisch genutzt wird da vermutlich die Sehnsucht der Menschen nach Wiederkehr, Routine und nach Ritualen. Und damit man sich nicht als totaler Langweiler fühlt, wird der Leserin mit Adjektiven wie „geheim, exklusiv und einzigartig“ suggeriert, dass sie auf keinen Fall auf ausgetretenen Pfaden wandelt. So kann man nämlich ganz sicher sein, dass man mit dem selbstgemachten Erdbeer-Tiramisu, das man statt des ordinären Klassikers zubereitet, seine staunenden Gäste mehr als überrascht und gleichzeitig als verwegen und hochkreativ gilt. Und mit dieser weit ausholenden Einleitung muss ich jetzt gestehen: Mir ist im Sommer in der Regel auch eher nach leichter Lektüre… Das Apfel-Cover (keine Zitrusfrüchte in meinen Regalen!) würde ich aber am liebsten hinter einem intellektuellen Buchumschlag von Fontane oder wenigstens John Irving verbergen. Warum? Weil man sonst Gefahr läuft, auch noch darauf angesprochen zu werden.

M: Jetzt musst Du ein bisschen präziser werden: Was genau ist das für ein Apfel-Buch, das Du hinter einem artfremden Umschlag verbergen willst?
Ich hab mal unter dem Stichwort ein bisschen gegoogelt bei der Belletristik: Ist es „Der unsichtbare Apfel“? „Winterapfelgarten“? „Der rote Apfel“? „Apfel in Beton?“ Oder gar „Der Apfel fällt nicht weit vom Mann“? Vielleicht sollten wir mal einen Buchclub à deux gründen mit allen Apfel-Büchern, die so auf dem Markt sind – könnte ja sein, wir machen da die eine oder andere Entdeckung?
Bei der Betrachtung eines großen „Endlich Urlaub!“-Tisches ist mir aufgefallen, dass die Titel der Sommerbücher sich aus einer recht begrenzten Anzahl von Wörtern zusammensetzen: Ganz vorne liegt natürlich der Sommer (auch schon mal in einem unserer Bücher verwendet, lustig!), gefolgt von Sand, Strand, Meer, Sonne, Garten (poetisch auch: Hain), diversen Pflanzen, Traum und Zauber. Und natürlich den erwähnten Zitrusfrüchten. Oliven. Und Lavendel. Gemüse ist überraschenderweise wenig vertreten, auch Obst ansonsten nicht, außer vielleicht mal einem Pfirsich. Äpfel? Kaum. Aus dieser Sammlung lassen sich schon mal etliche Titel zusammenstellen. Dazu noch Regionales wie Insel, Fjord, Schären, Küste… Das sind so die Trigger-Wörter für Wohlfühl-Urlaubsbücher, meiner Beobachtung nach.
Mir geht es übrigens gar nicht wie dir: Im Sommer kann ich sehr gut dicke, schwere und auch anstrengende Bücher lesen. Erstens hab ich da mehr Zeit, und zweitens kann ich auch Schreckliches, Trauriges, zu Herzen Gehendes besser ertragen, wenn es um mich herum warm und hell ist.

A: Bei mir ist es eine Frage der Sättigung. Wenn der Sommer über Wochen unendlich heiß ist, kann ich keine Summer-Vibes-Bücher mehr lesen und auch keine stahlblauen Himmel mehr sehen. Dann lese ich gern was Schweres, Bedrückendes, Abgründiges, welches bei mir ansonsten eher in den dunklen Jahreszeiten auf dem Nachttisch liegt. Weil ich bei strömendem Regen, der an die Scheibe prasselt, auch gleich die Atmosphäre drumherum habe und so noch ein bisschen tiefer in die Geschichte abtauchen kann. Das führt dann gern ungebremst zu schlechten Träumen. Alles hat halt seinen Preis.
Die zwei Apfelbücher, die ich als gelesen in Erinnerung behalten habe, sind „Der Geschmack von Apfelkernen“ und „Was man von hier aus sehen kann“. Das Leky-Buch hatte aber gar nichts mit Äpfeln zu tun – glaube ich – obwohl eine Apfelzeichnung die Vorder- & Rückseite des Covers ziert… Auf einem Blatt, des von links aus dem Einband herauswachsenden Zweiges, hockt dann aber auch dieses Okapi, das durch das gesamte Buch geistert.
Die „Apfelkerne“ habe ich auf einem Herbst-Retreat in Portugal gelesen und mindestens die Hälfte meiner Teilnehmerinnen hat mich darauf angesprochen. Das wär mir bei Fontane sicher nicht passiert, obwohl ich da viel mehr zu erzählen gehabt hätte! Weil ich das Gesamtwerk kenne und seine Berliner Romane und seine Schreibe nachhaltig mag!

M: Oh ja, Fontane ist großartig, den hab ich auch rauf und runter gelesen und greife ab und zu immer noch danach. Die Leky samt Okapi hat mir auch sehr gut gefallen. In die „Apfelkerne“ kam ich irgendwie nicht richtig rein, obwohl ich mal mit der Autorin eine gemeinsame Lesung hatte und sie so nett fand, dass ich mir vorgenommen hatte, ihr Buch nicht nur zu lesen, sondern auch gut zu finden. Hab aber leider nur das erste Drittel geschafft und dann aufgegeben… Dabei haben auch in meiner Umgebung so viele davon geschwärmt. Vielleicht sollte ich es noch mal probieren?
Ich habe eigentlich jeden Sommer ein Buch, das mich durch die heißesten Wochen begleitet und bei dessen Anblick oder Erwähnung mir sofort die Atmosphäre dieser Zeit präsent ist. Letztes Jahr war das zum Beispiel „4, 3, 2, 1“ von Paul Auster, über 1200 hochspannende Seiten, das hab ich in einem italienischen Garten gelesen und kann in der Erinnerung noch das Zirpen der Grillen hören und die Musik aus dem Haus – leider aber auch die Gülle riechen, die ein Bauer auf dem Feld nebenan ausgebracht hat.
Am besten kann ich mich an die Lektüre von „Terror“ erinnern, einem Roman über die Arktis-Expedition von John Franklin im 19. Jahrhundert. Da lag ich an einem Strand in Norfolk bei Meeresrauschen und großer Hitze, um mich herum fröhliche Familien, und das Buch hat mich reingezogen in schauderhafte Kälte, in Einsamkeit, Furcht und Beklemmung. Wenn du also mal bei tropischen Temperaturen Gänsehaut kriegen willst – das wär mein Tip!

A: 1238 Seiten hochspannend? Solche Wälzer habe ich seit „Krieg und Frieden“ (1536 Seiten) nicht mehr gelesen. Vom Gefühl vermutlich so wie bei Scorsese‘s „Irishman“ mit 3 Stunden und 30 Minuten Länge, oder? Wobei ich den auf der Leinwand ja an einem Stück gesehen habe und irgendwann wirklich nicht mehr sitzen konnte. Mit einem Buch kann man ja wandern, aus der Sonne in den Schatten und vom Sofa auf den Liegestuhl. In meinem kleinen Kölner WG-Zimmer hab ich die Sommernachmittage oft lesend auf meiner breiten Fensterbank, die von zwei großen Sprossenfenstern gesäumt war, verbracht. Irgendwie oben-droben und mittendrin UND mit Blick auf die Trinkhalle gegenüber, in der es schon nachmittags hoch herging.
Für die nächsten Urlaube überlege ich ernsthaft, mir für besondere Leseumgebungen so ein eBook-Reader anzuschaffen, obwohl mir als ausgesprochen haptischer Mensch bestimmt das Umblättern und die spitzen Eselsohren fehlen würden. Aber mit so einem Teil könnte ich doch unter freiem Nachthimmel, an der Pier sitzend, den Auster lesen! Oder killt das künstliche Licht die Magie der Nacht?

M: Als die E-Reader auf den Markt kamen, war ich spontan begeistert: Endlich kein Übergepäck mehr wegen dicker Wälzer! Jederzeit Zugriff auf Hunderte von Büchern! Kein Warten mehr, bis der bestellte Roman endlich in der Buchhandlung eintrudelt!
Ich habe also sofort so ein Ding gekauft und gierig vollgeladen und mit in den Urlaub genommen, voll Freude über den leichten Koffer. Aber leider, leider… beim Lesen war der Spaß schnell vorbei. Sämtliche Bücher, die ich auf dem E-Reader gelesen habe, mochte ich nicht. Das hat vermutlich gar nichts mit dem unschuldigen Gerät zu tun und ist reiner Zufall, aber es hat mir das Ding verleidet.
Ich bin wie du ein haptischer Mensch, Bücher muss ich richtig anfassen und durchblättern und riechen können, schon die Schrift ist ja auf dem E-Reader eine andere beziehungsweise von mir selbst einstellbar. Ich mag auch nicht ständig daran erinnert werden, wieviele von den X Seiten ich schon gelesen habe und wie viele mir noch bevorstehen. Kann man wahrscheinlich alles anders einstellen auf dem Gerät, aber… nein! Ich kann mich nicht damit anfreunden. Ich bin diesbezüglich einfach zu altmodisch. Andererseits: Meine Kinder, denen ich das Teil überlassen habe, nutzen es auch nicht und schmökern wie ich immer noch old school. Vermutlich verstaubt das teure Gerät in irgendeiner Schublade…

A: Dann bleib ich auch bei den griffigen Exemplaren, die mit ausgeblichenen Einbänden in meinen Bücherregalen stehen. Beim Herausnehmen rieselt dann oft noch der feine Sand irgendeines mediterranen Strandes aus den Seiten. Oder ein kaum mehr lesbarer Kassenbon dieser meist gruseligen Strandbuden, in denen es ja jeden Scheiß gibt, den man auf keinen Fall braucht. Und genau DAS ist ein Sommerbuch für mich!

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