A: Dieses quietschgelbe Wohnmobil ist gerade das Gossip-Thema in meinem ehemaligen 1000-Seelen-Heimatdorf. Die Bandbreite der Kommentare und Lästereien bewegt sich vermutlich zwischen unmöglich bis megakreativ. Ich finde, das Teil passt großartig zu der lustigen vierköpfigen Familie, die ein bisschen aus dem etwas muffigen dörflichen Rahmen fällt, und ich war kurz verführt, mir den Camper für unseren nächsten Italia-Urlaub auszuleihen.
Der würde dann aber definitiv ohne Mann stattfinden, der diese Teile abgrundtief hasst. Zu seiner Ehrenrettung muss ich aber erwähnen, dass er einen Großteil seiner Kindheit als Pfadfinder in modrigen Zelten und vor rauschschwadigen Lagerfeuern verbracht hat.
Ich hab vor vielen Jahren mit so einem XXL-Wohnwagen und einem Teil meiner Herkunfts-Familie die Westküste der USA bereist. Die Dinger heißen da Cruise America oder Road Bear und sind so riesig, dass man sich auch mit sechs Leuten nicht wirklich auf den Wecker geht. Die weitläufigen Campingplätze liegen idyllisch in Nationalparks, die Sanitäranlagen sind piccobello sauber und den Sonnenaufgang am Grand Canyon kannst du live beim Aufwachen erleben, wenn du abends beim Kniffel spielen das Bett über dem Fahrerhaus klar gemacht hast.
M: Meine Erfahrungen mit Camping – beziehungsweise Zelten – stammen auch aus meiner Pfadfinder-Zeit. Eine Woche Pfingstferien im Dauerregen mitten in der Pampa, Matsch überall, morgens stiegen wir in die feuchten Klamotten, die einfach nicht trocken zu kriegen waren, tagsüber suchten wir (natürlich feuchtes) Holz für das abendliche Feuer, an dem der Tages-Eintopf gekocht wurde: Linsen, Bohnen, Erbsen, Kartoffeln… und dann wieder von vorne. Und alles geschmacklos. Es war schrecklich, und ich habe mir damals, obwohl erst 9 Jahre alt, geschworen: Nie wieder!
Einmal bin ich noch rückfällig geworden, mit 18 ungefähr, da hat mich mein damaliger Freund zu einem Zelt-Urlaub in Italien überredet. Natürlich hatten wir nichts vorab gebucht und blitzten an den meisten Campingplätzen erstmal ab, und wenn wir dann ein Plätzchen zugewiesen bekamen, war es garantiert in Klo-Nähe. Und die Nächte! Rechts wurde auf einem tragbaren Fernseher Fußball geguckt, links wurden die Zelt-Insassen von Leidenschaft ergriffen, der sie ausgiebig und lautstark nachgingen, was uns nicht animierte, eher das Gegenteil. Und es war dermaßen heiß und stickig in unserem kleinen Zelt, ich habe keine Nacht länger als ein, zwei Stunden am Stück geschlafen vor Beklemmung. Seitdem: Nie wieder!
Mag ja sein, dass es in so einem quietschgelben Wohnmobil kommoder ist, was aber bleibt: Man kann sich – zumindest hierzulande – damit nicht einfach so an einem romantischen und möglichst menschenleeren Ort begeben (Meer! Strand! See!), um dort träumerisch in den Sonnenuntergang zu gucken, wie es uns die Werbung suggeriert – man muss auf einen Campingplatz! Und die sind für mich das ultimative No Go!
A: Ich erinnere mich an einen Campingplatz in Hamm-Uentrop, an dem ich immer zu Beginn der Semesterferien auf der Fahrt von Köln in die Heimat, der A2 folgend, staunend vorbeifuhr. Die Dauercamper und Durchgangscamper standen – wie die Sardinen aufgereiht – direkt neben der Autobahn, und in Sichtweite stieg der dicke, weiße Rauch aus den Türmen des Atomkraftwerks auf. Der Kühlturm wurde irgendwann abgerissen, aber der Reaktor steht immer noch (Abriss erst ca. 2030 möglich, wenn die Radioaktivität abgeklungen ist!). Jetzt hab ich grad nachgelesen, dass der Platz auch deshalb immer gut besucht war, weil die Camper in der vorbeifließenden Lippe baden konnten, die immer hübsch warm war durch das Kühlwasser des Turms, das 15 Grad wärmer in den Fluss geleitet wurde. Unglaublich, oder? Der Campingplatz hat wohl eine gewisse mediale Berühmtheit wegen der außergewöhnlichen Idylle und ich frag mich: Was ist das für ein Schlag Menschen, der da die Ferien oder gar das halbe Leben verbringt?
M: Die Frage kann ich dir leider nicht beantworten, mir ist völlig rätselhaft, was einen auf den bewussten Campingplatz verschlagen könnte.
Ich hab mir den gerade mal im Netz angeschaut: Neben der wirklich gruseligen Lage zwischen Autobahn und AKW fiel mir auch auf, wie schrecklich steril geklinkert und zubetoniert die ganze Anlage ist, alles makellos sauber gefegt und ohne den Hauch von Charme oder Natur. Wobei von letzterer immerhin noch am Fluss was zu sehen ist…
Aber wie immer im Leben gehen auch hier die Meinungen auseinander: Der Campingplatz wird mehrheitlich gut bis sehr gut bewertet: Eine weibliche Nutzerin meinte, „die Nähe zur A2 stört kaum, man kann sich gut daran gewöhnen“, eine andere befand: „Ein Atomkraftwerk als Aussicht zu haben, ist doch mal was anderes.“ Und ein männlicher Camper lobte, dass sich in unmittelbarer Nähe nicht nur ein Restaurant und ein McDonald’s befänden, sondern auch „eine Spielhalle, Erotikshop und ein Rastplatz inkl. Tankstelle“. Na, dann ist ja wirklich alles da, was man für einen erholsamen Urlaub braucht.
A: Oh ja! Und ein Reaktorturm wird zur Industriekunst…
Das, was ich mir unter gelungenem Camping vorstelle, wäre ein Road Trip durch Australien, so wie mein Jüngster das nach dem Abi gemacht hat. Da ist natürlich auch nicht alles laid-back, wie meine dahin ausgewanderte Freundin sagt, aber dennoch viel mehr als in unserem dicht besiedelten Europa, wo es keine geheimen Plätze mehr gibt, weil sie in sämtlichen Reiseführern zu finden sind. Was mich aber wirklich daran reizt, mit einem Camper unterwegs zu sein, ist das „Auf-dem-Weg-sein.“ Also jederzeit den Motor anschmeißen zu können und weiterzufahren. Egal wohin. Merkwürdigerweise habe ich nämlich gar nicht mehr so sehr San Francisco und den Hoover Dam oder was auch immer vom USA-Westküsten-Trip in Erinnerung, sondern die Wege und Gespräche dahin.
Mein ältester Bruder am Steuer dieses Ungetüms, vor uns eine endlose Straße, auf der einem über Stunden niemand entgegenkommt. Jetzt könnte man ja einwenden, dass man dafür keinen Camper braucht. Doch, irgendwie schon! Weil man diese mitunter gottverlassenen Gegenden einfach nicht in einem Tag durchquert. Und wenn, dann mit einem konkreten Ziel und dann ist der Zeitraum, der einen dahin bringt, also dieses Dazwischen, einfach lästig und wird als verschwendete Zeit wahrgenommen. Vor allem für die, die dringend irgendwo ankommen wollen. Ich finde unterwegs sein viel spannender!
M: Deine Schilderung eines Roadtrips klingt verlockend, da wär ich gleich dabei. Ich träume ja seit Jahrzehnten von einer mindestens wochen-, wenn nicht gar monatelangen Reise durch England, von Nord bis Süd, einfach so herumgondeln und dort Halt machen, wo man es schön findet. Aber auch im Vereinigten Königreich ist das nicht mehr so einfach, hab ich mir sagen lassen. Also mit Camper? Ich denke: Eher nicht. Lieber im Cabrio (schönes Wetter setze ich einfach voraus). Und in Hotels. Aber das wird teuer. Und (Minimum!) vier Wochen Urlaub?!? Das wird wohl ein Traum bleiben.
Als ich noch auf dem Land wohnte (6 Jahre nur, länger wollte ich nicht) lernte ich im Kindergarten ein Ehepaar kennen, das fuhr jedes Jahr mit zwei kleinen Kindern im Camper nach Frankreich, die ganzen Sommerferien über (er war Lehrer!). Er schwärmte immer total begeistert von diesen Urlauben – Sonne, Sand, Meer, herrlichstes Relaxen – , während sie eher wortkarg war. Und bei einem Sommerfest, zu fortgeschrittener Stunde und mit reichlich Wein intus, brach es aus ihr heraus: Die Frankreich-Ferien? Ein Alptraum! Den ganzen Tag musste sie den Camper aufräumen, ständig in der winzigen Kochecke Mahlzeiten zubereiten, in der Plastikschüssel abwaschen… es war, so schilderte sie mit tränenerstickter Stimme, „alles wie daheim, bloß viel nerviger. Und das Schlimmste: Entspannter Urlaubssex?!? Mit zwei Kindern, die Armeslänge entfernt schliefen?!? Nope. Und das alles sechs Wochen lang…
A: Ich frag mich gerade, ob IHN das gar nicht gestört hat? Das mit dem No-Sex, nicht das mit dem Spülen und Aufräumen, an dem er anscheinend gar nicht beteiligt war. Oder haben Lehrer in diesen endlos langen Sommerferien nicht nur Urlaub von der Schule, sondern frei von allem? Außer vom Dozieren über Fauna, Flora, Wetter und dem manchmal sehr speziellen Gebrauch der deutschen Grammatik auf Campingplätzen? Da rutsche ich wohl grad schnurstracks in ein Klischee, das es so vielleicht gar nicht mehr gibt: Spießige Wohnwagen-Parzellen mit hübsch umrandeten Jägerzäunen. Aber auch das andere Extrem, Survival-Outdoor-Camping, begegnet mir eher selten. Es hat sich irgendwie ein neuer Trend entwickelt: Draußen in der Natur sein. Ohne Handy. Schlicht und komfortlos. Dieses Einfache übt auch auf mich einen gewissen Reiz aus. Beruhigt feststellen, dass man kein Netz hat, die Karten und Würfel auspacken, in den NIE langweiligen Sonnenuntergang schauen, den Wellen lauschen und dem Grillengezirpse, Lieder singen!, barfuß laufen, nichts sagen, staunen, wundern. Ein mobiler Fahruntersatz mit Schlafmöglichkeit ist für solche Erlebnisse sicher ganz praktisch. Aber ein Queen-Size-Bett mit frischer Bettwäsche und eine Dusche ohne Schamhaare im Abflusssieb sind auch großartig!