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Bella Italia!

A: Grad einmal 1 ½ Wochen sind vergangen und ich hab schon Sehnsucht. Ich weiß, die ist dafür da, dass man sie hat – aber dieses Mal ist sie noch brennender. Eigentlich unbegreiflich, wenn man bedenkt, dass wir eine Woche zur Hauptferienzeit der Italiener (nicht zu Ferragosto – das muss die Hölle sein!)  im italienischen Laigueglia weilten, ein Strizzi aus Ceriale in unser Auto gerauscht ist und wir tagtäglich händeringend einen Parkplatz gesucht haben, um uns dann mühsam in die kleinste Lücke zu quetschen. Was lässt DAS alles in den Hintergrund treten? Die wabernde Sommerwärme, die einem vom uralten Steinpflaster in den verschlungenen Gassen die Beine hochkriecht, das Gelato Artigianale, das mir an der Mole über die Finger läuft, die meersalzige Focaccia im „La Teglia“ und das olivenherbe „Panino Alfonso“ im Bagni St. Tropez. Tag für Tag sind wir bis zur zweiten Boje geschwommen und waren immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie traumwandlerisch die Sonne im Meer versinkt und morgens – in neue Farben gehüllt – wiederauftaucht. Alles nicht spektakulär, eher beruhigend normal. Das Essen, die Sommerhitze und der Wechsel zwischen Tag und Nacht und umgekehrt… Ist es also wirklich so einfach, glücklich und entspannt zu sein?

M: Ja, es IST so einfach! Allerdings liegt das, denke ich, nicht nur an Italien, das ich, wie Du weißt, über alles liebe: Es ist der Urlaub! Ferien!! Auszeit!!! Keine dringenden Termine, keine nervigen Anrufe, kein jetzt-muss-ich-aber-ganz-schnell-noch-einkaufen, kein stundenlanges Warten auf den Klempner (hatte ich gestern), keine Verabredungen, die man eigentlich gerne absagen möchte, aber nicht kann… du weißt, was ich meine. Stattdessen: Aufstehen, wann man will, essen, wie und wo man lustig ist, hier ein bisschen bummeln, dort ein bisschen herumtrödeln. Und das, was mich daheim oft nervt, nehme ich im Urlaub gelassen hin.
Ich war ja gerade ein paar Tage in Venedig, und mein Zimmer dort ging zu einer sehr schmalen Gasse hinaus, die jedes Wort der Passanten überdeutlich reflektierte. Zwischen Mitternacht und Morgengrauen wurde ich regelmäßig von fröhlichen Zechern geweckt, die durch die Calle torkelten und sich lautstark unterhielten, aber wirklich gestört hat mich das eigentlich nicht. Ich hab gelauscht und versucht, die Unterhaltungen zu verstehen und ein, zwei Mal sogar laut lachen müssen, weil die Gespräche wirklich lustig waren, vor allem das, das sich um eine gewisse Maddalena drehte, die gleich drei Jungs verzaubert und sogar ihre Handynummer herausgerückt hatte… allerdings drei verschiedene…
Übrigens: Das Aufgehen und Untergehen der Sonne ist im Englischen Garten auch sehr beeindruckend – aber wann nimmt man sich schon mal die Zeit dafür???

A: Wir hatten in der ersten Woche unseres Italienurlaubes abendliche Unterhaltung durch einen unsäglichen Baumarkt-Whirlpool, in dem ein junges italienisches Ehepaar im Garten unter uns planschte und sich lautstark – gegen die ohrenbetäubende Sprudelautomatik anbrüllend – über den vergangenen Tag unterhielt. Das nagte schwer an unserem erholsamen Meerblick und dem meditativen, nur noch aus der Ferne erahnbaren, Wellenrauschen. Nachdem wir uns aber immer wieder runterrufend bedankten (MILLE GRAZIE!), wenn mal Sprudel-Pause war, blieb das Whirlpool-Monster dann irgendwann stumm.
Italiener verständigen sich ja gern mal lauter, telefonieren wild gestikulierend am Restauranttisch nebenan, während sich unter den Tischnachbarn ein zweites Gespräch – nicht weniger laut – darüberlegt, das dann wiederum von einem Passanten, der einen Anruf durch ein zackiges „Pronto!“ annimmt, getoppt wird. Aber auch diese, durchaus gewöhnungsbedürftigen Verhaltensweisen, taten der Erholung keinen Abbruch. Unsere Toleranzgrenze dehnte sich langsam aus und irgendwann war es nur noch ein weiterer Klangteppich, der sich zu anderen dazugesellte. Dann war Raum für die Wahrnehmung der immer wiederkehrenden Bilder: Rudelbildungen aus hüfttief im Wasser stehenden Ü-60-Italienern, die so das erste Stündchen im Meer vertrödelten und das darauffolgende dann schaukelnd auf den sanft wogenden Wellen. Das Ganze natürlich in Dauerbeschallung und wenn die Worte „MAMMA MIA“ fielen, schwoll auch hier der Lautstärke-Pegel an. Aus einem mir unerfindlichen Grund zieht mir der Gedanke daran auch jetzt wieder die Mundwinkel nach oben. Das würden ähnlich formatierte deutsche Gruppenbildungen niemals bei mir auslösen. Niemals!

M: Ja, schon eigenartig, wie sehr die Toleranz im Urlaub zunimmt, auch und gerade bei großer Lautstärke, und die ist, wie du schon schreibst, in Italien ja eigentlich immer gegeben. Mit kontemplativer Stille hat es der Italiener einfach nicht so. Bei Gelegenheit musst du dir mal einen Spielzeugladen dort anschauen – fast jedes Teil dort fiept oder bimmelt oder klingelt oder rattert oder lärmt sonst irgendwie herum, und alles ist quietschbunt. So lernen italienische Kinder von klein auf, dass alles, was Spaß macht, mit Geräuschen verbunden sein muss.
Zur Geburt meiner Tochter bekamen wir von einem befreundeten Italiener ein Gerät geschenkt, das auf Knopfdruck Tierstimmen nachahmte. Das Baby war natürlich noch zu klein dafür, der drei Jahre ältere Bruder jedoch nahm das Spielzeug begeistert an. In den nächsten Tagen wurden wir regelmäßig morgens um sechs von „Muh“ und „Mäh“, Hühnergegacker und Ziegengemecker geweckt – leider nicht nur wir, sondern auch das bis dahin noch schlummernde Baby…
Da ihr gerade längere Zeit an einem Strand verbracht habt: Schleppen die Italiener immer noch ihren halben Hausstand mit ans Meer? Klapptische und -stühle, Kühlboxen und Luftmatratzen und Sonnenschirme, aufblasbare Tiere, Strand-Spiele und Radio? Das hat mich immer sehr fasziniert, weil wir selbst kaum mehr mitnahmen als Handtücher, Liegematte und Buch. Und nach einer Weile wurde ich auch immer ein bisschen neidisch, wenn ich nämlich nicht mehr wusste, wie ich noch liegen sollte oder auch gerne mal auf einer Luftmatratze aufs Wasser gepaddelt wäre. Von den dick mit Salami, Prosciutto und Käse belegten Panini, die zur Mittagszeit zubereitet wurden, ganz zu schweigen
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A: Unsere kinderlose Vermieterin mit deutscher Mutter und italienischem Vater meinte zum Ende unseres Italien-Aufenthaltes: Kommt nächstes Jahr erst im September, dann sind die italienischen Familien schon weg. Und damit auch das kunterbunte Plastikspielzeug und die Quietschtiere. Pünktlich zum Beginn der ersten Septemberwoche wurden auch die Kühlboxen kleiner und es gab am Strand weniger dramatische Einlagen der süßen kleinen Bambini. Denn Drama beherrschen die Italiener ja in Perfektion – ob klein oder groß.
Alfonso vom Bagni St. Tropez kämpft an stürmischen Tagen gegen das wütende, ligurische Meer, das seinen schmalen Strandstreifen, den er Jahr um Jahr diesem Ungetüm abtrotzt, immer wieder neu zurückerobert. Die Höhe und Reichweite der Wellen entscheidet über die Anzahl seiner Sonnenschirme und Liegen, die er aufstellen kann – und mit denen verdient er sein Geld. Das sei wie Schach spielen, sagt er. Selten wird er komplett mattgesetzt. Aber auch seine Nachtruhe ist hart erarbeitet, weil er dann oberhalb der Via Aurelia – in der felsigen Steilküste – gegen die Wildschweine kämpft, die seinen Garten verwüsten. Und trotzdem begrüßt der 74jährige seine Strandgäste morgens mit einem strahlenden „Buongiorno!“ und legt, nach einer stürmischen Nacht, schon mittags die Eagles oder doch gleich „Smoke on the water“ von Deep Purple auf. „Das ist dafür“, sagt er dann und schlägt sich mit seiner sonnengegerbten Hand aufs Herz. Und weil die Musik nicht über einen Audio Streaming Dienst abgerufen wird, läuft Alfonsos ganz persönliche Siebzigerjahre-Playlist in Wiederholungsschleife. Mich hat das nicht eine Sekunde gelangweilt, im Gegenteil: Ich war heilfroh, mal nicht die aktuellen Charts rauf und runter hören zu müssen und – mit Blick auf das noch immer durchwühlte Meer – in Alfonsos Welt abtauchen zu können.

M: Dauerbeschallung am Meer? Das wäre jetzt gar nichts für mich, egal mit welcher Art von Musik. Ich mag am Strand am liebsten die Abwesenheit aller Geräusche, die nichts mit Wasser zu tun haben, was zugegebenermaßen leider selten vorkommt, vor allem, wenn man Kinder als Handtuch-Nachbarn hat. Das Rauschen des Meeres löst bei mir sofort Tiefenentspannung aus, das Buch fällt mir aus der Hand, die Augen klappen zu, und wenn dann noch ein paar Möwen kreischen und ganz ganz weit in der Ferne ein Schiff tutet, drifte ich innerlich ganz weit ab und bin einfach nur glücklich.
Als wir in Venedig waren, haben wir uns am Lido Fahrräder gemietet und sind zu einer Fähre gefahren, die uns auf eine kleine Insel namens Pellestrina gebracht hat. Dort sind wir mal kurz ins Meer gesprungen, an einem Strand, der vollkommen leer war, nur am Horizont sah man linkerhand ein paar Gestalten. Die Szene dort hat mich sehr an meine allerersten Italien-Ferien Ende der 60-er Jahre erinnert, südlich von Rom, da waren wir oft auch ganz allein am Strand, und ich habe nichts und niemanden vermisst. Aber natürlich gab es da keine Panini und kein Eis und nichts zu trinken, das Essen und die Getränke mussten wir selber anschleppen. Dafür gab es auf der Rückfahrt einen Snack in einer Rosticceria, die ganz wunderbare frittierte Reiskugeln servierte, und danach noch ein gelato von einem rosa-weiß gestreiften Eiswagen. Vergess ich nie, dieses große Sommerglück.

A: Ich war das erste Mal 1989 in Italien. Meine Freundin und ich hatten uns den himmelblauen Ford Fiesta ihrer Mutter geliehen und sind – mit einer Straßenkarte im Handschuhfach – einfach drauflosgefahren. Eigentlich wollten wir über den Brenner, sind aber – vor lauter reden und frei fühlen – in der Schweiz gelandet und haben uns dann fix für den San-Bernardino-Tunnel entschieden, den wir auch verpasst haben. Am Ende sind wir den Bernardino-Pass gefahren. Im ersten Gang wand sich der kleine Wagen den 2067 Meter hohen Gebirgspass kriechend nach oben, ächzte in jeder Kurve und wir haben nicht wirklich damit gerechnet, jemals oben anzukommen. In meiner Erinnerung haben wir gelacht, geraucht und hatten rein gar nichts zu essen dabei. Völlig ausgehungert und übermüdet habe ich mir auf dem ersten Campingplatz – beim Aufmachen einer Dose Ravioli mit irgendeinem spitzen Gegenstand – ganz übel in die Hand geschnitten und bin aus den Sandalen gekippt. Die nachfolgenden Campingplätze rund um La Spezia waren staubig und die Nächte im Zelt bretthart und brüllendheiß am Morgen, wenn die Sonne gnadenlos auf dieses dünne, billige Zeltdach brezelte.
Wir bekamen Besuch von unseren besten Schulfreunden auf ihren schwarzen Ducatis, Moto-Guzzis und anderen schweren Maschinen. Kurz darauf kamen unsere aktuellen „richtigen Freunde“, die diese vollverkleideten japanischen Joghurtbecher fuhren. Da lagen Welten zwischen Männern und Motorrädern und es war irgendwie keine gute Idee, dass die Jungs alle zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Ort waren.
In meiner Erinnerung hatten wir die beste Zeit in diesem himmelblauen Auto, lachend, die nackten Füße auf dem Armaturenbrett und die blonden Haare im Fahrtwind. Letztens schickte meine Freundin – die seit vielen Jahren in Australien lebt – mir ein Foto von dem kleinen Fiesta, den wir mit einer Flasche Sekt begossen und gefeiert haben. Auf dem Bild steht er – nicht mehr ganz so himmelblau und mit einer guten Schaufel Sand in den Fußräumen – auf dem Hof ihrer Eltern. Ich denke mal, dass es seine erste und letzte große Reise war. Danach hat er es vermutlich nur noch bis nach Münster geschafft. Ich aber war Italien verfallen. Und auch der Mann würde heute nicht mehr in die Karibik fliegen, weil das türkisblaue Meer um Sardinien mindestens genauso schön ist.

M: Wie viele Male ich in meinem Leben in Italien war, krieg ich gar nicht mehr zusammen. Schon zu Teenager-Zeiten war es mein Sehnsuchtsort, ich habe bei der Familien-Ferienplanung immer auf Italien als Reiseziel gedrängt – leider selten erfolgreich, meinen Eltern war es im Hochsommer zu heiß dort, was ich damals überhaupt nicht verstehen konnte. Als ich dann endlich unabhängig von meinen Eltern war, bin ich so oft wie möglich hingefahren, wenn’s ging, jedes Jahr, mit dem Zug, dem Bus, einmal auch getrampt. Irgendwann dann hatte ich mein erstes eigenes Auto, einen Peugeot mit Schiebedach und einem super funktionierenden Kassettendeck (sowas kennt heute ja keiner mehr!), das hatte ich für damals 800 Mark von einem mir nur flüchtig bekannten Mann gekauft. Entgegen allen Prophezeiungen war es einer der besten Käufe meines Lebens.
Natürlich führte mich der erste Trip mit diesem Auto nach Italien. Wir fuhren zu dritt um sechs Uhr morgens los, weil unser Ziel südlich von Rom lag und wir noch vor der Dunkelheit ankommen wollten. Wir hörten sämtliche vorhandenen Kassetten durch – Eric Burdon, Cream, die Stones, die Doors – und die Musik trug mich über die erste Strecke, die ich bei Fahrten in den Süden am wenigsten mag: Für mich beginnt Italien nämlich erst so richtig in der Po-Ebene, alles vorher durchfahre ich so zügig wie möglich. Berge mag ich ja generell nicht sonderlich, deshalb finde ich Südtirol total bedrückend, und am Gardasee war ich nur ein einziges Mal und fand ihn nur enttäuschend. Aber ab Verona bin ich wieder voll dabei, und wenn ich die Schilder Richtung Parma sehe, kriege ich unweigerlich großen Appetit und muss dringend am nächsten Autogrill raus. Und dann erst, mit dem ersten Cappuccino und einem Panino, beginnen für mich die Ferien. Und kaum schreibe ich darüber, könnte ich schon wieder ein paar Sachen packen und losdüsen, dabei bin ich gerade erst vier Wochen wieder da…

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Die Dicke

    Haha…andere Laender, andere Sitten. Die Welt waere so viel eintoeniger und weniger passioniert ohne „Bella Italia“. Kaum ein anderes Land hat wohl die ganze Welt so bewegt und beeinflusst mit ihrer Kueche, Klamotten, Kunst und alles was da so zugehoert. Kein Wunder, dass man da Sehnsucht bekommt. Ohne „Italia“ wuerde hier immer noch Pies und smashed green peas serviert und es waere eine Gesellschaft mit wenig Leidenschaft. Vielen Dank fuer diese amuesante, kurzweilige Ode, that’s Amore!

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