A: Auf dem Weg zum Englischen Garten kommen mein Hund und ich an einem der wenigen – noch existierenden – Tante-Emma-Läden vorbei. Vor diesem Geschäft aus längst vergangenen Zeiten stand heute ein korpulenter Mann mit einer großen Lage dick aufgeschnittener Wurst in dem üblichen Duplex-Papier in der Hand, die er Scheibe für Scheibe an seinen Hund verfütterte, der breitschultrig und mit ziemlich dickem Popo vor ihm saß. Der Sabber tropfte auf den Asphalt und sein Blick klebte hypnotisch an der Hand seines Herrchens. Der Hund war ein übergewichtiges Prachtexemplar eines Rottweilers und das Herrchen ein sehr beleibter, stattlicher Mann in militärischer Tarnkleidung. Und ja: Die beiden hatten gewisse Ähnlichkeiten in Statur und Haltung und waren vollkommen aufeinander fixiert. Bei Tinder wäre das wohl ein Match…
Der fortgesetzte Hundespaziergang hatte schnell einen neuen Fokus: Gibt es diese vielbeschworenen Übereinstimmungen zwischen Hund und Frauchen/Herrchen tatsächlich? Mein Fazit bis jetzt: Oh ja! Vor allem bei reinrassigen Hunden!
M: Mir begegnet bei meinen Hundespaziergängen im Park auch immer wieder ein Duo aus Herr und Hund, das deine Theorie bestätigt: Der Mann ist um die 70, leicht fußlahm und von ausgesprochen schlechter Laune; für seinen schon recht betagten Hund gilt das Gleiche. Beide trotten in schöner Einigkeit mürrisch nebeneinander her und lassen sich auch durch das oft strahlende Wetter, freundlich grüßende Passanten wie mich oder munter herumspringende Vierbeiner wie meinen Flummi nicht aus ihrem Stimmungstief holen. Ob die beiden schon immer so waren, auch bevor ihnen ihre vermutlich schmerzhaften Gebrechen die Petersilie verhagelt haben? Oder haben sie sich einander stimmungsmäßig angepasst? Würde ein wuseliger und fröhlicher kleiner Hund den menschlichen Stinkstiefel aufheitern können? Oder ein junger, sportlicher und gutgelaunter Hundehalter den Vierbeiner?
Was ich mich natürlich auch gleich frage: Haben unser Hund und ich auch schon eine gewisse Ähnlichkeit miteinander? Ich meine jetzt nicht äußerlich, denn schwarze Locken werde ich in diesem Leben nicht mehr bekommen, aber vom Charakter oder der Haltung her?
A: Da fällt mir direkt etwas ein: Ihr habt die gleiche Lebendigkeit und Aufgewecktheit! Im Gegensatz zu deinem Hund kannst du aber sehr gut alleine sein – davon könnte er sich was abgucken, wenn er mal groß ist… Denn blond wird er nicht mehr werden – genauso wenig wie mein Hund. DER ist ja aber auch Spanier und ein Straßenköter, den eine hundeumsorgende Engländerin aus diesen Perreras auf Fuerteventura gerettet hat. Mein Spanier ist also eine Promenadenmischung, und man konnte bestenfalls erahnen, wie er als erwachsener Hund mal aussieht. Da er aber mindestens zur Hälfte wohl ein Bardino und damit spanischer Ziegenhüter ist, gab es zumindest eine Tendenz. Frauchen und Herrchen von reinrassigen Hunden wissen ja dagegen recht genau, auf was sie sich einlassen und hier entdecke ich teils frappierende Ähnlichkeiten.
Heute rief eine langbeinige, äußerst gepflegte und dezent modeaffine Frau ihre gazellenartige Afghanenhündin, die leichtfüßig, beinah tänzelnd auf sie zulief, während das lange Haupthaar wie in einer Wellenbewegung auf- und abschwang. Frauchen hatte das, was viele sich wünschen, lange gewellte Wasserfallhaare und sie schien beim schnellen Gehen kaum den Boden zu berühren – so schwebten Zweibeiner und Vierbeiner ein Stück anmutig nebeneinander her, bevor die Afghanenhündin pfeilschnell wieder im Unterholz verschwand.
Und letzte Woche schallte es „Happy! Manitu!“ durch den Englischen Garten, bevor selbige in einem Affenzahn an mir vorbeiflitzten und meinen verdutzten Spanier überrollten. Manitu war ein wilder, langhaariger Zottel und Happy ein etwas einfältiger, aber mega glücklich ausschauender Golden Retriever, der über seine eigenen Läufe stolperte. Frauchen eins hatte – ich schwöre – eine schwarze Nscho-tschi-Mähne, die, zugegeben, nicht in zwei dicken Zöpfen gebändigt war, und Frauchen zwei war – na ja – blond und wirkte – sagen wir mal – lebensfroh.
M: Ob sich einige Menschen vielleicht das tierische Gegenstück zur eigenen äußeren Erscheinung aussuchen? Bewusst oder auch unbewusst? So dass die Vierbeiner „passen“?
Ich fände es ja ohnehin mal sehr interessant zu erfahren, warum sich wer welchen Hund aussucht. Wieso hat die zarte Blondine, die ein paar Straßen weiter wohnt, ausgerechnet einen Bullterrier als Begleiter gewählt, bei dessen Anblick ich, auch wenn ich ohne Hund unterwegs bin, reflexartig die Straßenseite wechsle? Warum hat das sportliche Pärchen im Nebenhaus einen Dackel genommen, der sich trotz vieler geduldiger Bemühungen weigert, neben dem Radl herzulaufen und sich auch mit wütendem Gekläffe gegen den Transport im Fahrradkorb wehrt? Und die alte Dame, der ich öfter morgens auf meinen Spaziergängen begegne, ist auch nicht glücklich damit, als Nachfolger ihres kürzlich verstorbenen Mopses einen extrem bewegungsfreudigen Terrier genommen zu haben…
Welchen Hund hätten wir uns ausgesucht, wenn wir die große Auswahl gehabt hätten, denn wegen meiner Tierhaarallergie kam ja kaum eine andere Rasse als Pudel infrage? Ich glaube, ich hätte wahrscheinlich trotzdem keinen anderen gewählt, er passt vom Charakter her einfach wunderbar zu uns, und mit seinen kleinen Macken können wir gut leben. Das Alleinsein bringen wir ihm schon noch bei. Denken wir zumindest. Der Hund lacht sich darüber vermutlich herzlich ins nicht vorhandene Fäustchen…
A: Es hat schon eine ganz individuelle Dynamik zwischen Herr und Hund, und Sprüche vom Vierbeiner als bester Begleiter oder schönster Spiegel haben sicher ihre eigene Wahrheit. Spannend auch die Wahl des Namens: Verhuschte Zwerg- oder Nackthunde heißen ja gern mal Rambo oder Rocky, und ich frage mich dann immer, ob sie der Name jetzt kräftiger und selbstbewusster macht oder ob er sie vollends überfordert?
Unser erster Hund hieß Rowohlt, weil bei einem netten Abendessen mit Freunden der Name „Harry“ fiel, und eine der Anwesenden meinte, dann könnte er ja auch gleich „Rowohlt“ heißen. Äußere Ähnlichkeiten mit seinem menschlichen Namensvetter waren null vorhanden, er war zudem alles andere als ein „literarischer Hund“ – der jetzt genau wie wäre? Rowohlt war ein stattlicher Dobermann-Mix, lief so schnell wie ein Reh und hatte 16 Jahre lang eine äußerst pathologisch ausgeprägte Ballneurose, die im letzten – siebzehnten! – Lebensjahr in eine Fressneurose umschlug. Er war nicht wirklich ein Rudeltier, ging gern mit sich allein spazieren und war absolut unbestechlich – außer mit Tennisbällen, okay. Rowohlt war also ein Freigeist. Und das hatte er vielleicht am ehesten mit Harry R. gemein. Menschen die H. R. oder den Verlag nicht kannten, nannten ihn übrigens gern „Robert“, was ich immer ausgesprochen witzig fand und was irgendwie mehr über den Menschen als über den Hund sagte.
Für unseren zweiten Hund Carlos kontaktierte ich vor ein paar Jahren mal eine sündteure Hundepension, die mehr Schein als Sein war. Der ungnädige Blick der blaublütigen Von-Und-Zu-Gräfin auf der üppig illustrierten Website der Edelpension hätte mir Warnung genug sein müssen. Nach einer kurzen Begrüßung am Telefon, endete der Selbstbeweihräucherungs-Monolog der Gräfin über ihre Sensationsunterkunft mit der Frage nach dem Namen meines Hundes. Etwas kleinlaut (weil der Name auf einer Autofahrt auf Wunsch des Ältesten durchgesetzt wurde, der damals Fan eines gleichnamigen Anti-Helden in einer amerikanischen Serie war) antwortete ich „Carlos“. Sie ergänzte, ohne Luft zu holen: „Der Terrorist“. Diese Verknüpfung war in ihr offensichtlich so kompromisslos angelegt, dass ich – Hund und Familie schützend – zähnebleckend zurückschoss, dass unser Carlos bei derart ausgeprägten Ressentiments ganz sicher nicht in ihrer Nobelherberge absteigen werde. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich mich halbwegs höflich verabschiedet habe, so empört war ich.
M: Ich hatte bei der Wahl des Namens unseres Hundes kein Mitspracherecht, hätte es aber auch nicht ausgeübt, denn der Name „Rocco“ gefiel mir auf Anhieb, vor allem, weil ich den Film „Rocco und seine Brüder“ von Visconti trotz seiner Brutalität sehr mochte. Rocco, dargestellt von Alain Delon, ist im Film ein unfassbar gutmütiger und naiver junger Mann, der bis zum Ende treu zu seinem labilen und kriminellen Bruder Simone steht, obwohl der ihm (und anderen) Schreckliches antut.
Auch unser Rocco ist gutmütig und treu, finde ich – naiv würde ich ihn allerdings nicht nennen, dazu weiß er zu genau, wie er uns um den Finger wickeln kann. Übrigens würde ich auch ihm eine Ball-Neurose attestieren, ebenso wie eine Frisbee-Neurose: Sobald er einen von diesen beiden Gegenständen auch nur erblickt, ist er derart fixiert darauf, dass er nicht mal mit dem tollsten Futter abzulenken ist, und das will bei ihm wirklich etwas heißen, denn er ist wirklich unfassbar verfressen. Auf Spaziergängen erschnüffelt er jedes heruntergefallene Brezenstück, jeden Rest Pizza, jeden ausgeschleckten Eisbecher; auch vor angegammelten Lebensmitteln macht er nicht Halt. Meinem strengen und lauten „Aus!“ in solchen Fällen kommt er nur äußerst unwillig nach – wenn überhaupt. Weil ich dann nicht lockerlasse und er auch nicht, stehen wir oft quälend lange Minuten auf der Straße und fechten einen stummen, aber erbitterten Machtkampf aus, den ich am Ende meistens doch gewinne.
A: Das sind ja absolut unvereinbare Haltungen, die ihr in diesen speziellen Essens-Angelegenheiten habt – da du aber am Ende der Leine bist, sitzt du langfristig am längeren Hebel.
Mein Bruder aus dem hohen Norden hat eine Hündin namens „Ruth“, die in seinem Gespann auf der Beifahrerseite mitfährt. Inzwischen hat sie auch eine Brille auf dem Kopf, weil sie ohne zu Bindehautzündungen der Augen neigt – bedingt durch den strengen Fahrtwind. Mit zunehmendem Alter kommt dann vielleicht auch noch eine Fliegermütze mit Plüschfell dazu, wer weiß. Gespannfahrer bzw. Bikerfreunde allgemein fahren ja gern im Konvoi und Ruth hat immer furchtbar gebellt, wenn sie irgendwo in der Mitte oder gar am Ende des Verbandes war. Als mein Bruder aber mal – nach dem kollektiven Rudel-Tanken – zufällig als Erster auf die Straße fuhr, war Ruhe. Seitdem führen Ruth und mein Bruder die Spitze jedes Konvois an und ich frage mich gerade, WER da eigentlich Herr und WER Hund ist? Die beiden sehen sich übrigens gar nicht ähnlich. Wobei: Ich hab sie – coronabedingt – schon lange nicht mehr gesehen. Und hast du nicht gesagt, dass die Übereinstimmungen im Laufe eines gemeinsam verbrachten Lebens zunehmen?
M: Ja, aber diese Beobachtung stammt nicht von mir, sondern ich habe sie irgendwo gelesen bzw. gesehen, kann sie aber bestätigen.
Übrigens habe ich das auch schon bei Menschen bemerkt, dass Paare einander im Lauf der Zeit ähnlich werden. Das gilt nicht nur für das Äußere, sondern auch für die Art, wie sie reden, sich bewegen, kommunizieren. Finde ich immer sehr lustig, das zu beobachten. Besonders amüsant ist es, wenn sie gemeinsam eine Geschichte oder Begebenheit erzählen und einander dabei sehr routiniert und gekonnt abwechseln – ein perfektes Zusammenspiel! Nervig ist hingegen, wenn sie einander ständig korrigieren; man verliert dann im Verlauf der Diskussion, ob es ein Sonntag oder ein Mittwoch war, oder ob Ilse wirklich an jenem Tag Geburtstag hatte, schnell den Faden. Die Erzähler übrigens auch. Was schon wieder lustig ist.