A: „Wir warten noch ein bisschen ab“, sagte meine Mutter gestern am Telefon. Vermutlich wird erst kurz vor Weihnachten entschieden, ob wir 2020 gemeinsam unterm Tannenbaum sitzen UND, ob meine Mutter zwei große Töpfe Grünkohl kocht. Der ist nämlich legendär, unverzichtbar und kommt seit bestimmt vier Jahrzehnten auf den großen ovalen Tisch im Haus meiner Eltern, in das wir jedes Jahr mit drei mindestens vierköpfigen Familien und Minimum zwei Hunden einfallen. Dieser westfälische Grünkohl schmeckt nirgends besser, und er muss einmal Frost bekommen haben, sagen die Marktfrauen jedes Jahr, wenn meine Mama ihn ein paar Tage vorher auf dem Wochenmarkt kauft.
Was Weihnachten betrifft bin ich also – im Vergleich zu vielen anderen Dingen in meinem Leben – echt unflexibel. Weil es bei uns zwar immer chaotisch, laut und auch hitzig (in allerlei Diskussionen und in der dampfenden Wärme der Küche) ist, aber eben immer auch ausgesprochen lustig, lecker und am Ende (mit viel Pils, Korn und Grünkohl im Bauch) dann doch entspannt. Letzteres ist wohl der alljährlichen Routine, meiner fröhlichen und unfassbar gleichmütigen Mutter und dem Umstand geschuldet, dass wir alle – mal mehr und auch mal weniger – über uns lachen können. Und so sehr mich diese allgemeine Hysterie um dieses Fest im Allgemeinen und im Besonderen in diesem Jahr 2020 nervt, desto drängender ist mein Bedürfnis, mal darüber zu reden.
M: Solche turbulenten Weihnachtsfeste mit locker 10 Erwachsenen und jeder Menge Kinder kenne ich auch, allerdings sind sie Vergangenheit. Das liegt vor allem daran, dass es meine Eltern nicht mehr gibt, die derlei Feiertage nicht nur sehr gepflegt und festlich begangen haben, sondern die auch parat standen, um uns alle in ihrem Haus mitten auf dem (fast) platten Land aufzunehmen. Heute weiß ich, was für eine Menge Arbeit das bedeutet haben muss, wenn ich allein daran denke, wieviele Schlafplätze hergerichtet und wieviele Betten bezogen werden mussten. Von den Essensmengen ganz zu schweigen.
Nach dem Tod meines Vaters hat meine Mutter noch eine ganze Weile in dem großen, zugigen Haus gelebt, aber besonders im Winter war es für sie nicht mehr wirklich schön dort, so ganz allein. Und es gab bzw. gibt ja nicht mal einen Bäcker im Dorf, für jedes Wurstradl musste sie sich in den Wagen setzen, was sie ungern tat (gottseidank, denn sie war eine schreckliche Autofahrerin). Also entschied sie sich, das Haus aufzugeben und wieder in die Stadt zu ziehen.
Wir haben also keinen Ort mehr, an dem wir uns in großer Runde treffen können, jeder feiert für sich, wir sehen uns an den Feiertagen höchstens mal in kleiner Runde. Vermisse ich diese lustigen, aber auch anstrengenden und konfliktreichen Weihnachtstage? Ein bisschen schon, wir hatten viel Spaß. Aber inzwischen haben meine Kinder und ich unser eigenes Weihnachtsritual: Wir legen zwar durchaus Wert auf festliche Accessoires wie Christbaum und Kerzenlicht, lassen es aber ansonsten ganz locker und entspannt angehen. Laut können wir auch zu dritt sein und lustig auch, anstrengen wollen wir uns nicht und streiten tun wir auch eher selten. Und wenn, versöhnen wir uns gleich wieder. Schließlich ist Weihnachten.
A: Dieses Jahr kann man sich in großer Runde ja auch wunderbar über die Menschen aufregen, die einem das Weihnachtsfest verhageln. Dann bleiben die kleinen Spitzen und Dauerstreitthemen in der Familie vielleicht bis Mitternacht außen vor. Denn wenn der gemeinsame Feind ausgemacht ist, halten wir zusammen wie Pech und Schwefel. Und so, wie es im Moment aussieht, wollen die da oben doch tatsächlich, dass wir gar nicht beieinander sind. Und das, obwohl sich einige von uns dieses Jahr noch gar nicht gesehen haben! Weil die Konfirmation von meinem Neffen nämlich auch schon ins Wasser gefallen ist. Also das können die vergessen. Wir sind mehr als 10 Personen, ja. Sollen wir vielleicht würfeln, wer dieses Jahr nicht dabei sein kann? Oder retten wir uns über die Altersgrenzen der Kinder noch in den grünen Bereich rüber? Zur Not gehe ich auch vorher in Quarantäne oder wir machen diese Schnelltests. Du liest, mit mir ist nicht gut Kirschen essen bei dem Thema…
Und im gleichen Atemzug denke ich an eine tolle Frau, der ich auf der bitterkalten, aber stimmungsvollen Beerdigung meines Schwiegervaters begegnet bin. Ich mochte sie auf Anhieb und sie erzählte mir, dass sie jedes zweite Weihnachten ganz allein verbringt. Bewusst. Frei gewählt. UND: Sie findet es großartig, weil diese Weihnachtstage nur mit sich wirklich das sind, was man ihnen immer zuschieben will: Besinnlich. Sie geht mit sich allein spazieren, sie besucht die Kirche, wenn sie leer ist und sie sitzt lesend vor ihrem eigenen Weihnachtsbaum, während der Rest ihrer Familie irgendwo zusammen ist. DAS finde ich mutig! Mehr noch: Es beeindruckt mich nachhaltig. Und ich möchte es auch gern mal ausprobieren. Sehe mich aber schon heulend am Telefon oder am Heiligen Abend einsam auf der Autobahn. Wenn ich dann nach mühsamen 600 Kilometern Fahrt durch die halbe Republik endlich bei meinen Eltern ankomme, schnarchen wahrscheinlich schon alle satt und friedlich in ihren Bettchen und lachen sich am nächsten Morgen schlapp über mich und mein wirklich saublödes Experiment.
M: Ich war auch noch nie an Weihnachten allein, stelle es mir aber gar nicht schrecklich vor. Ich würde einen langen Spaziergang durchs Viertel machen und in die hellerleuchteten Fenster hineingucken, dann nach Hause gehen, eine schöne Musik auflegen – muss nicht unbedingt weihnachtlich sein! – , mir etwas Schönes zu essen und es mir ansonsten gemütlich machen. Einen kleinen Christbaum hätte ich vermutlich auch. Oder zumindest ein paar Kerzen.
Ich habe Weihnachten eigentlich nur als Kind wirklich geliebt. In den 60er Jahren lief das noch ganz anders ab, zumal auf dem Land, die Zeit der Vorbereitung auf das Fest war fast so wichtig wie der Heiligabend selbst. Wir haben in den Wochen zuvor Unmengen gebastelt und gebacken, für ein Krippenspiel geprobt und für die Musik im Gottesdienst, es wurden Berge von Päckchen für die Verwandtschaft gepackt und meine Großmutter trug ein riesiges Brett mit mindestens fünf selbst gemachten Stollen zum Bäcker, bei dem sie gebacken wurden, denn die richtige Temparatur war ganz wichtig und im heimischen Herd angeblich nicht zu erreichen. In einem Jahr allerdings brach meine Großmutter bei Abholung der fertigen Stollen in Tränen aus, denn sie waren allesamt „ofenrot“ geraten, d.h. die Krume sah rötlich aus, weil der Teig zu lange gebacken war. Der Bäcker stand fortan auf der Shit-Liste und wurde nicht mehr engagiert.
Ich erinnere mich auch noch genau, dass immer wieder Pakete und Päckchen für uns ankamen, von Tanten, Paten, Freunden. Die wurden im Schlafzimmer unserer Eltern gestapelt, wo auch schon die ganzen Dosen mit den fertigen Plätzchen lagerten, zehn Sorten waren es mindestens, vermutlich mehr. Ich bin in der Vorweihnachtszeit immer sehr gern in diesen Raum gegangen, nicht um zu naschen – das taten wir wundersamerweise vor Weihnachten wirklich nicht! – , sondern weil es so gut roch. Und für gute Gerüche hatte ich schon immer etwas übrig.
A: Meine Oma Soest backte zu Weihnachten immer Spritzgebäck. Mit Schoko und ohne. Die mit Schoko wollten alle. Die Keksdosen, in denen sie geschichtet wurden, waren riesig groß und schon ein bisschen verbeult. Wenn wir am zweiten Weihnachtstag in den Skiurlaub fuhren mit fünf Leuten, Skischuhen, Gepäck und mindestens zehn paar Ski auf dem Dach (Langlauf war auch dabei), hatten wir Kinder die Dosen auf dem Schoß, weil sie nirgends anders mehr Platz hatten. Ich habe keine Ahnung, wie alles andere in den Ford Granada passte, aber es ging. Wir stopften uns ein Plätzchen nach dem anderen in den Mund und zählten dabei illuminierte Tannenbäume, nach denen wir uns, aus allen Fenstern schauend, den Hals verrenkten. Die neu erreichte Höchstzahl bölkten wir lautstark in die Ohren meiner Eltern in der Reihe vor uns, die dann irgendwann zurückschrien, weil wir zu laut waren.
Wenn wir in Oberstaufen mit dem aus allen Nähten platzenden Auto ankamen, steuerte mein Vater den Wagen schlingernd auf dem schmalen und immer scheißglatten Bergweg hoch. Ohne das ganze Gepäck blieben wir auch schon mal stecken. Dann mussten wir Kinder alle in den Kofferraum, damit hinten Gewicht war und der Ford mit Hinterradantrieb nicht durchdrehte. Und wenn gar nichts ging, musste Rudi uns mit dem Trecker ziehen.
Die Dosen mit dem Spritzgebäck waren ratzfatz leer, rochen aber noch tagelang nach dieser buttrigen Vanille. Davon eine Nase, gemischt mit dem Geruch der frischen Tanne im Wohnzimmer, und mein Weihnachten ist olfaktorisch perfekt. Wobei ich mir jetzt gar nicht sicher bin, ob nicht doch mal eine Kiefer dabei war? Eine stolze, gradwüchsige Nordmanntanne war es jedenfalls noch nie. Mein Vater holt sie bis heute mit dem Hänger vom Möhnesee. Dort gibt es ein kleines Wochenendhäuschen der Familie, das auf einem Grundstück mit uralten und meterhohen Eichen steht. Zum hinteren Ende des Grundes wurde mal etwas dazugekauft. Da mein Papa aber die vor vielen Jahren gepflanzten Nadelbäume (die die alte Grundstücksgrenze markierten) nicht auf einen Schlag opfern wollte, wird jedes Jahr eines dieser seltenen Exemplare zu Weihnachten als Tannenbaum geschmückt. Die Spitze dieser selbstgezüchteten Nadelbäume ist immer krumm und schief, genauso wie die Deko, die bis heute noch aus meinem und meiner Brüder Selbstgebasteltem besteht. Neues ist dazugekommen, aber das Alte ist jedes Weihnachten wieder der Renner. Weil meine Brüder und ich uns dann Jahr um Jahr von unseren eigenen Kindern anhören müssen, dass wir ja alles andere als Bastelkönige waren. Und das stimmt wohl. Eike und Kerstin von nebenan hatten immer makellose Pergamentsterne an ihren Fenstern mit Rollladenkästen. Unsere waren eher mickrig. Aber dafür hatten wir Klappläden.
Und unser windschiefer, nadelnder und lückenklaffender Baum riecht prächtig, ihn schmücken echte Kerzen (die anzubringen eine echte Herausforderung in dem krummen Gewächs ist) und er passt zu uns!
M: Der Geruch ist ja überhaupt das Beste an einem Christbaum! Den liebe ich sehr, er erweckt in mir immer automatisch festliche Gefühle. Und echte Kerzen müssen natürlich sein – niemals würde ich elektrische nehmen!
In meiner Kindheit hatten nur wir echte Kerzen im ganzen Ort, alle anderen Familien, die wir kannten, präsentierten sehr stolz ihre – zum Teil vielfarbigen – elektrischen, die damals ganz neu und sicher auch noch teuer waren. Und sie benutzten alle Engelshaar und Lametta, das bei uns daheim auch verpönt war. Wir lobten deshalb zwar ihren Baum, schauten aber insgeheim etwas verächtlich auf sie herab; sie taten umgekehrt vermutlich das Gleiche, weil wir offenbar zu arm waren für elektrische Kerzen.
Unser Baum war meistens ein ziemlicher Krüppel, was daran lag, dass mein Vater an Weihnachten eine seiner sehr seltenen sparsamen Anwandlungen hatte und er die Tannen – denn eine solche musste es unbedingt sein – zu teuer fand. Er wartete also bis zum 23., bevor er losging, um den Baum zu besorgen; das war allein seine Aufgabe. Die Auswahl war da doch schon reichlich eingeschränkt, vor allem, weil der Baum mindestens 3 Meter hoch sein musste. Aber er kam dennoch immer sehr stolz mit einem Exemplar zurück, an dem wir alle prompt herummeckerten: Total schief! Viel zu dürr! Unten kaum Zweige! Nadelt schon! Doch wenn er erst mal aufgestellt und geschmückt war (übrigens auf GAR KEINEN FALL mit Christbaumkugeln!), befand mein Vater: So einen schönen Baum hatten wir noch nie! Und das sagte er wirklich jedes geschlagene Jahr!
Bei uns wurden neben viel Gebasteltem und Holzfiguren auch Süßigkeiten an den Baum gehängt, und jeden Abend durfte sich jedes Kind eine davon abpflücken. Wir haben manchmal den ganzen Tag überlegt, was wir nehmen würden, die Pyramidenpäckchen mit Schokotäfelchen oder lieber die Glitzersterne oder doch die Kringel mit Perlen drauf? Daraus lässt sich schließen, dass Süßkram in den 60ern doch noch etwas sehr Besonderes war.
Zum Thema Plätzchen nur so viel: Meine Kinder und ich sind uns darin einig: Sie schmecken uns eigentlich nur VOR Weihnachten! An Heiligabend haben wir nicht nur den Bauch, sondern auch die Nase davon voll…
A: So wie ich vom Glühwein, der auch in die Adventszeit gehört! Den besten habe ich heuer bei Fräulein Müller in der Gunezrainerstraße getrunken. Und bei der Bäckerliesl am Viktualienmarkt gibt’s großartige Lebkuchen. In der Anfangszeit krieg ich auch davon den Hals nicht voll, bis ich dann diesen Sättigungspegel erreiche und was ganz Anderes brauche.
DAS finde ich an meinem besonderen Ort – übrigens nicht nur in der staaden Zeit, wie der Münchner wohl sagt (so nennt es der Nachbar und der muss es wissen), in einer Altschwabinger Kirche, in der ich oft ganz allein in einem kleinen Seitenschiff sitze. Da gibt es noch echte Kerzen, schmal und filigran, die man an einer stattlichen großen Kerze anzünden kann, um die dünne, grad entflammte dann in ein aufgefülltes Sandbecken zu stecken. Rechts daneben liegen ein großes Buch und ein Stift. Manchmal sind es Wünsche, die da reingeschrieben werden. Aber auch Dankbarkeit ist da in kurzen Zeilen verewigt. Am spannendsten sind oft die Zeichnungen und Geschichten von Kindern.
Dieses Schlichte, das Licht, die Stille und die Kälte beamen mich an diesem Platz immer komplett raus aus der klebrig-süßen Glühweinwelt.
Und wenn dann zuweilen noch der Chor (aktuell mit Abstand), der Organist oder auch eine Trompete probt, fühl ich mich fett beschenkt und tauche noch ein bisschen länger ab in dieses unaufgeregte Dasitzen, in die Kerze schauen und in die Imagination des eiskalten Atemhauchs, den man – unter der Maske versteckt – im Moment leider nicht sehen kann.
M: Ich glaube, ich weiß, welche Kirche du meinst. In die gehe ich auch immer wieder, wenn ich in der Gegend bin. Und empfinde die Atmosphäre dort auch so friedvoll und entspannend.
Ich hab’s ja sonst nicht so mit Kirchen, oder genauer gesagt: mit Gottesdiensten, aber um tagsüber einfach mal eine kleine Weile auszuruhen und zu sich zu kommen, dafür sind sie oft genau der richtige Ort.
Zum Thema Glühwein: Ein italienischer Freund war mal in der Vorweihnachtszeit zu Besuch bei uns, und natürlich sind wir mit ihm auf den Christkindlmarkt gegangen, der ihm auch sehr gut gefiel, zumal es, als hätten wir es für ihn bestellt, bei seiner Ankunft zu schneien begonnen hatte. Er fand alles ganz wunderbar und romantisch… bis auf eins: den Glühwein! Alkohol zu erhitzen war für ihn regelrecht ein Sakrileg; in Italia non lo faremmo MAI, wiederholte er ein ums andere Mal, das würden wir in Italien NIEMALS tun! Wir schafften es dennoch, ihn zu wenigstens einem Probe-Schluck zu überreden; sein Gesicht dabei vergesse ich nie, so viel Abscheu in einer Miene sieht man sonst selten.
Ich habe in meiner Jugend regelrechte Glühwein-Orgien überlebt, die mir für die darauf folgenden Tage einen Brummschädel und einen lädierten Magen beschert haben, aber schon seit mindestens 10 Jahre kann ich das süße Zeug nicht mehr ausstehen. Mehr noch: ich kann es nicht mal riechen, mir dreht sich sofort der Magen um. Eigenartig, wie sich der Geschmack im Lauf der Jahre ändert; von jetzt auf hier mochte ich auch plötzlich keinen Aperol Spritz mehr, und ich esse auch nicht mehr gerne Pesto genovese, den ich jahrzehntelang sehr geliebt habe.
A: Zu meiner Jugend- & Studentenzeit gab es diese legendär süffig-zuckrige Feuerzangenbowle immer am 23. Dezember im obligatorischen 70er-Jahre-Partykeller der Eltern eines meiner ältesten Freunde. Der Keller ist noch heute im Originalzustand, ausgestattet mit Eierpappen (die großen für mind. 30 Eier) als Deckendämmung, der Theke aus dunkel furnierter Eiche, braunen Barhockern und einer schon etwas speckig gesessenen Eckbank. Auf der saßen wir wie die Hühner auf der Leiter, während einer von uns den Zuckerhut mit der schon warmen klebrig-süßen Flüssigkeit begoss und sich das Gesöff somit noch zügiger in ein Kopfschmerzgetränk verwandelte. Wir hatten alle Tassen mit unseren eingravierten Namen. Und wenn Verflossene dabei waren, wurden die schamlos an die Nachfolger oder eben Nachfolgerinnen verteilt, weil unser Freund manchmal nicht so schnell nachordern konnte. Wer von den Neuen deswegen beleidigt war, kam meist im nächsten Jahr schon nicht mehr wieder. Man musste also hart im Nehmen sein und vor allem Humor haben, um in unsere eingeschworene Clique aufgenommen zu werden.
Die Nacht vom 23. auf den 24. Dezember war für mich und meinen „kleinen“ Bruder über Jahre eine der längsten und schmutzigsten des Jahres, und der Heilige Morgen begann mit dröhnenden Kopfschmerzen, die ich beim Frühstück (zu dem diejenigen der Clique, die schon geradeaus gucken konnten, dann in mein Elternhaus kamen) mit starkem Kaffee zu besänftigen versuchte. In diesem Partykeller hatte es nämlich gefühlt 30 Grad und in der stickigen Luft waberten süße Alkoholschwaden, da es nur zwei Mini-Kellerfenster zum Lüften gab. Auf dem Rückweg – meist schon in den frühen Morgenstunden – gingen wir, in melancholischer Erinnerung an unsere großartige Kindheit, über den Sportplatz und lachten Jahr um Jahr über die gleichen schrulligen Marotten unserer Freunde, die sich auch im fernen Köln, Münster, Phoenix…einfach nicht veränderten. Genauso wenig wie unsere eigenen.
Heute sitzen wir mit denen, die Weihnachten immer noch in ihrem Elternhaus feiern, am 23. Dezember im Roadhouse bei Spare Ribs, Pils und Wodka Sour und lachen exakt über das Gleiche wie vor 25 Jahren. Weihnachten ist also das Einzige, was sich bei mir bis jetzt NIE großartig verändert hat. Im Gegensatz zu allem anderen in meinem Leben. Vielleicht hängt ja deswegen mein Herz so dran…
Hallo,
ein Artikel über Martina Borgers Buch hat mich zum Blog geführt. Der gefällt mir sehr gut, ich habe das Gefühl, mich direkt einklinken zu können, so vertraut ist mir vieles, real oder imaginär. Vielleicht weil ich auch aus Westfalen bin (Paderborn). Beim Lesen sind mir ganz viele Erinnerungen gekommen, angefangen beim Grünkohl, der mir nur bei meiner Mutter schmeckte. Meine ältere Tochter kocht ihn immer noch zu Weihnachten, auch wenn er uns nie so gelingt wie meiner Mutter. Liebe Grüße!
Liebe Anna,
wie schön, dass Du bei uns bist! Und als Westfälin bist Du ja mit Alexandra in guter Gesellschaft!
Was die Erinnerungen an den Grünkohl Deiner Mutter betrifft: Unser übernächstes Thema trägt die Überschrift „Wie bei Muttern“ – vielleicht kommen da auch Erinnerungen bei Dir hoch…
Herzliche Grüße aus München,
Martina