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Silvester light für Hunde

A: Dieses Jahr werden die meisten Hunde wohl glimpflich davonkommen. Der Jahreswechsel 2020/21 scheint ein leiser zu werden, die Böllerei fällt ins Wasser. Was für ein SEGEN für die Vierbeiner!
Rowohlt, unser Dobermann-Mix, war schon Tage vor Silvester nervös, weil es immer wieder kleine pyromanische Nervensägen gab, die schon vorher zündelten. Und zwar mit allem, was ausschließlich Lärm macht: Knallerbsen, Knallfrösche, Chinaböller. Das bedeutete für den stattlichen, aber alles andere als gefährlichen Hund: Zittrige Läufe, stark erhöhte Atemfrequenz und Dauerhecheln. Am Silvestertag versuchten wir die – in immer kürzeren Abständen auftretenden – fiesen Bombardements durch Musik zu übertönen. Rock around the Clock flimmerte von morgens bis abends über unseren Fernseher mit – zugegeben – richtig guten Life-Mitschnitten von Konzerten der Stones bis zu den Eagles.
Wenn es dann auf Mitternacht zuging, bekam Rowohlt einen Platz in der Waschküche bei laufender Waschmaschine plus Trockner. In seinen späten Jahren (er wurde 17!) half auch das nichts mehr und wenn es ganz arg war, entleerte er sich im Gott sei Dank gefliesten Waschkeller. Oftmals auch deshalb, weil er schon beim Silvestermorgen-Spaziergang alles zusammenhielt und diese zugegeben etwas blöd ausschauende und schlecht zu verteidigende Hockstellung auf freiem Feld erst gar nicht mehr einnahm.

Die Diagnose der Jäger, denen ich ab und an begegnete: Als Jagdhund vollends ungeeignet. Meine eigene Diagnose: Ein miserables erstes Lebensjahr als Welpe (er kam erst mit 12 Monaten zu uns) und daraus resultierende tiefsitzende Traumata. Unser großer schwarzer Riesenhund hatte nämlich nicht nur Angst vor jedwedem Geballer, sondern auch vor Blitz, Donner und Wind.

M: Als vor zwei Jahren das erste Silvester mit unserem damals 9 Monate alten Welpen Rocco näher rückte, wurden wir von allen erfahrenen Hundebesitzern eindringlich gewarnt: Der Hund werde bei all der Ballerei und dem Geknalle schreckliche Panikattacken erleiden, am besten sei, ihn so weit wie möglich aus der Schusslinie zu halten und ihn nicht aus den Augen zu lassen, dafür nah bei uns zu halten.
Wir machten uns prompt schreckliche Sorgen um Rocco, denn er war, das hatten wir schon feststellen können, ein ziemlicher Schisser, dem sogar eine herumfliegende Plastiktüte größte Angst einjagte. Wir grübelten hin und her, was wir tun könnten; die Überlegungen gingen von einem Aufenthalt im relativ schallisolierten Keller bis hin zu einem Rückzug in ein von der Zivilisation weit entferntes Waldgebiet. Von beiden Varianten nahmen wir schnell Abstand, aus ganz egoistischen Gründen, schließlich wollten wir den Jahreswechsel weder im feuchten und eiskalten Keller noch in einem gruselig-dunklen Wald feiern.
Ich habe mir dann aus dem Internet ein lautes Feuerwerk heruntergeladen und es in den drei Tagen vor Silvester in Dauerschleife neben dem Hund abgespielt, damit er sich an den Krawall gewöhnte.
Silvester kam, und wir wurden zunehmend nervös, je näher die Mitternacht rückte. Und was passierte dann, als die Böllerei losging? Bestimmt erinnerst du dich, ihr wart ja dabei: Rocco lag lang ausgestreckt unter dem Esstisch und schlief ganz tief und entspannt. Kein noch so lauter Chinakracher und keine Rakete konnten ihn aufwecken. Das heruntergeladene Feuerwerk habe ich dann gleich am nächsten Tag von meiner Festplatte gelöscht.

A: Gute Idee, das wohldosierte Feuerwerk mit Gewöhnungseffekt! Vielleicht wäre diese Methode ja auch was für unseren großen Angsthasen gewesen. Er hatte im ersten Jahr (das ja prägend sein soll) leider ein durchgeknalltes Herrchen und saß als Weihnachtsgeschenk für die Gattin des Hauses unterm Tannenbaum. Die Beschenkte bekam dann nach Rowohlt (der da noch Pluto hieß) in atemberaubender Geschwindigkeit auch noch zwei Kinder. Da war der Hund natürlich überflüssig. Er verbrachte die meiste Zeit an langer Kette im großen Garten oder in einem der schnellen Schlitten seines Herrchens, der wie ein Wahnsinniger durch die Gegend raste. Wir sind ihm einmal durch Köln gefolgt und sahen mit Entsetzen, wie der Hund sich hinten im Kofferraum des Kombi mühsam versuchte, auf seinen vier Läufen zu halten, bevor er in der nächsten scharfen Kurve dann doch einknickte und umfiel.
Das Einzige, was der Dobermann-Mix mit einem Jahr konnte, war „tot“ und „lebendig“. Beim Kommando „tot“ (gebrüllt wohlgemerkt) legte er sich regungslos auf den Boden, bei „lebendig“ sprang er wie ein Flummi auf und ab. Ein gutmütiger, feiner Kerl, aber ein Produkt seines narzisstischen Herrchens und ohne eine gescheite Bindungsbeziehung im ersten Hundejahr. Er erinnerte mich immer an den schlaksigen Lucky Luke, der am Ende jeder Geschichte als Lonesome Cowboy in den Sonnenuntergang reitet. Rowohlt konnte zwar nicht schneller schießen als sein Schatten, dafür aber gefühlt schneller laufen. Auch sein Jagdtrieb blieb darauf begrenzt, dass er den Rehen einfach hinterherrannte. Oder eben Tennisbällen. Und da war er echt nicht zu toppen.

Bei uns hatte er dann ein langes siebzehnjähriges Leben und war meinen Jungs der treueste, aber auch lustigste Freund. Bei Wind und Donner setzten sie sich immer in sein Körbchen. Das verhinderte zwar sein Hecheln nicht, aber immerhin war jemand an seiner Seite. Die Tage um Silvester wurden mit zunehmendem Alter schlimmer für ihn – und wir haben wirklich alles ausprobiert: von Homöopathie und einlullenden Klängen über Mantren bis zu sanften Beruhigungsmitteln mit so verführerischen Namen wie „Seelenruhe“. Einmal hat ihn sogar eine Heilerin, die sich als Medium von Jesus verstand, von seinen Dämonen – wie sie es nannte – befreit. Dazu brauchte sie nur ein Foto von ihm! Ganz easy! Hat aber leider gar nichts gebracht, was ich der Heilerin ehrlich gesagt nie so richtig vermitteln konnte. Sie meinte, da wären wohl noch tiefsitzende Verkrustungen und ein paar Sitzungen nötig, die ich höflich, aber bestimmt ablehnte.

M: Du hast wirklich und wahrhaftig eine Heilerin engagiert?!? Ich staune! Hat das was gekostet? Als Medium von Jesus hätte sie eigentlich nichts verlangen dürfen, der hatte es ja nicht so mit Geld.
In der Adventszeit hängen bzw. hingen bisher in unserem Viertel sämtliche Laternenmasten voll mit Zetteln, die für Trainingskurse für Hunde mit Silvester-bedingten Panikattacken warben. Dieses Jahr werden sie nicht gebraucht (also die Kurse), das finde ich natürlich großartig für die Viecher. Aber für die Menschen auch.
Meine Mutter konnte Silvester-Geböllere ganz schlecht ertragen, sie fühlte sich dann immer an Bombennächte erinnert. Am schlimmsten fand sie die Raketen mit diesem besonders penetranten Sirren. Und Böller mochte sie auch nicht, vor allem nicht in Unterführungen.
Vor drei Jahren waren wir ja über Silvester in New York, und so wie die das dort machen, würde ich es auch hier tun: Ein riesiges, richtig schönes und üppiges Feuerwerk für die ganze Stadt, wobei eins vermutlich nicht reicht, dann eben zwei oder drei. Das Ganze so etwa eine Viertelstunde. Zusätzlich würde ich danach sämtliche Glocken Münchens läuten lassen. Dafür wäre das ganze Privatgeböllerei verboten, was vermutlich eine Menge Geld und Schmerzen erspart. Und den fiesen Smog verhindert. Die Müllmänner würden sich auch freuen, wette ich. Als einzige Ausnahme würde ich den Kindern ein paar Knallerbsen und ähnliches erlauben. Das können bestimmt auch Hunde ertragen.

A: Bei deinem Münchner Silvester à la NYC-New-Years-Eve bin ich auch sofort dabei! Und am 1. Tag des ganz frischen Jahres dann zum Neujahrskonzert in St. Sylvester in Schwabing mit Orgel und Trompete. Ein Highlight für mich, das dieses Jahr leider ausfällt. Am frühen Nachmittag eine richtig knackige Yogasequenz, gern 108 Sonnengrüße zum Jahresbeginn! Und dann ein langer Spaziergang mit den Hunden. Unser Carlos ist ja schussfester als Rowohlt und das Nachgeballer der Spätzünder schreckt ihn nicht wirklich. Als spanischer Straßen- & Hütehund ist er vor allem froh, die um sich rum zu haben, die er – seinem genetischen Arbeitsauftrag folgend – auch irgendwie zsammhalten muss und die seinen Napf möglichst üppig befüllen.
Und für Rowohlt habe ich tatsächlich diese Heilerin engagiert, ja! Bin ja voll neugierig und probiere (fast) alles aus. Denn zu diesem Zeitpunkt waren wir komplett am Ende mit unserem Latein – Familie und Veterinäre. Da erzählte mir besagte Heilerin auf irgendeinem schmuddeligen Ascheplatz – auf dem unsere Jungs sich in der sogenannten Bauernliga mit unserer dörflichen Fußballmannschaft beim Lokalderby mit der des Nachbardorfes die Mutter aller Schlachten lieferten – dass sie einen ganz besonderen Draht zu Jesus hat und da was für uns tun kann. Leider erfolglos, und da die Sitzungen keineswegs umsonst waren, blieb es bei dem einmaligen Experiment.

M: Gut, dass Rowohlt die Trulla nicht persönlich kennenlernen musste, wer weiß, was die mit ihm angestellt hätte! Solche Leute wie diese Heilerin machen mich ja per se gleich total misstrauisch – wie kann die mit einem Foto des Hundes ihn von seinen Ängsten befreien?!? Esoterische Abzocke, würde ich sagen. Aber was tut man nicht alles für ein leidendes Tier…
Ich bin jetzt schon sehr gespannt auf Silvester. Wir Hundehalter dürfen ja auch nach 21 Uhr noch auf den Straßen unterwegs sein (was ich übrigens momentan ausgiebig ausnutze); werden sich dieses Jahr dann ohne das ganze Geböllerei auch die Vierbeiner rauswagen, die sich ansonsten zitternd und bebend unter Sofas, Tischen und in allen möglichen Ecken verkrochen haben? Wird es um Mitternacht Hundeparties geben auf Schwabings Straßen? Jubel, Triumphgebell und Freudentänze? Und werde ich es schaffen, unseren kleinen Köter um diese Zeit noch mal ins Freie zu locken, wo er seine ganzen Buddies aus dem Viertel treffen könnte?
Eine Möglichkeit ist aber auch, dass ich selbst zu faul bin, mich von Ess- oder Spieltisch oder vom Sofa hochzuquälen und noch mal rauszugehen. Wozu eigentlich auch? Was bringt mir das, außer kalten Füßen? Ich halte Silvester ja ohnehin für sehr überschätzt… Aber was ich unbedingt machen werde: Das obligatorische Foto von mir und meinen Kindern am 1. Januar, das ist seit Jahren ein Ritual, das ich sehr pflege. Diese blassen und leicht verkaterten Mienen, in die sich ein Neujahrlächeln gequält hat… herrlich!

A: Dieses alljährliche Bild entsteht bei uns am Heiligabend auf dem Biedermeier-Sofa im Haus meiner Eltern. Da sitzen dann alle Enkelkinder wie die Hühner auf der Stange, manchmal kommt auch der eine oder andere Erwachsene dazu. Im Hausflur hängen all diese Bilder an der Fotowand, und wenn man zur Toilette geht oder ins Klavierzimmer (was mein altes Kinderzimmer ist), bleibt immer irgendjemand vor den Fotos stehen, auch wenn sie/er sie schon zum hundertsten Mal gesehen hat.
Ich beame mich in den Tagen zwischen den Jahren auch gern mal etwas raus aus der Welt und dazu ist der diesjährige Lockdown ganz passabel geeignet. In dieser Zeit fröne ich leidenschaftlich meinen magischen und mystischen Persönlichkeitsanteilen: Ich räuchere die Wohnung (sehr zum Leidwesen von Carlos, der höchst despektierlich die Nase rümpft)
mit allerlei Zeugs: Von Salbei über Zirbenspäne bis zu Myrrhe, Lavendel und Weihrauch. Letzteres war Tradition im Hause meiner Münchner Schwiegermama und wird von meiner Schwägerin fortgeführt. Ich habe auch schon ausgemistet zum Jahreswechsel und freue mich wie jedes Jahr diebisch darüber, weil es einfach was Befreiendes hat und Lust auf Frisches, Neues macht!
Silvester gibt es dieses Jahr wieder mongolischen Feuertopf und Zinngießen, bei dem noch mehr klumpiges Einerlei entsteht (und eben kein Baum, Adler, Besen…) als beim traditionellen, aber wohl eher gesundheitsschädlichen Bleigießen.

Und dann freue ich mich wie Bolle auf den mitternächtlichen Hundewalk ohne die vorherige pyrotechnische Darbietung mit Licht- & Knalleffekten. Auch weil ich mich sehr gut an unseren Heimweg von der Silvesternacht 2018 bei dir erinnern kann, bei dem noch der schweflige Geruch über ganz Schwabing lag. Und vielleicht treffen sich ja dieses Jahr – schwefelfrei – unsere Vierpfotigen tatsächlich zur großen und eventuell einmaligen Hunde-Silvester-Sause 2020/2021***


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