M: Die meisten Einschränkungen durch Corona trage ich ja einigermaßen tapfer mit, aber ein Problem nervt mich doch: Die fehlende Möglichkeit, unterwegs aufs Klo zu gehen! Vor Covid war das überhaupt kein Problem, irgendwo gab es immer ein Café oder eine Kneipe, eine geöffnete Bücherei oder ein WC in der U-Bahn-Station, da hab ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht. Das ist jetzt anders.
Ich unternehme ja gerne lange Spaziergänge und Wanderungen durch die Stadt. Und da ich generell viel trinke, kommt meist so nach zwei Stunden der Moment, wo ich muss. Und dann bin ich geliefert.
Vor ein paar Wochen bin ich mit meinem Sohn mal wieder zur Baustelle des Volkstheater im Schlachthofviertel gegangen, wir haben das schon zwei Mal gemacht, einfach aus Neugier. Wir schlenderten also durch den Englischen Garten und an der Isar entlang, wir hatten es nicht eilig und legten den einen oder anderen Stopp ein. Nach knapp 2 Stunden waren wir an der Reichenbachbrücke, und da musste ich schon. Weit und breit natürlich keine Möglichkeit. Wir gingen also weiter und ich zermarterte mir den Kopf, wo ich ein stilles Örtchen finden könnte (U-Bahn Fraunhoferstraße? St. Maximilianskirche? Alles Fehlanzeige!)
Kurz vorm Volkstheater – das fast fertig ist übrigens, und es sieht toll aus! – konnte ich an nichts anderes mehr denken, ich weiß nicht, ob du das kennst, nichts, dein ganzes Denken kreist nur noch um eine Toilette. Mein Sohn war voller Mitgefühl, aber auch ratlos und leicht genervt. Schließlich waren wir bei der Baustelle angekommen, und er sagte: „Wenn eins von den Dixi-Klos da drüben offen ist, gehst du da drauf!“ Und obwohl ich diese Dinger wirklich widerlich finde, war mir schon alles so egal, dass ich genau das tat. Ich hielt die Luft an, stürmte rein, schloss die Augen und war unfassbar erleichtert. Danach konnte ich mich endlich wieder entspannt der Theater-Besichtigung widmen.
In den letzten Tagen habe ich festgestellt: Sobald ich länger unterwegs bin, halte ich inzwischen instinktiv Ausschau nach einem mobilen Klo, denn leider kann man ja momentan nicht mal diskret hinter einem Busch verschwinden, weil die meisten noch völlig unbelaubt sind. Aber immerhin DAS wird sich jetzt schnell ändern!
A: Ich bin am Wochenende hinter einem immergrünen Nadelbaum am Starnberger See verschwunden, weil auch da die Öffentlichen nicht zugänglich sind. Und die quälende Zeit davor erlebe ich so wie du: Es geht um nichts anderes mehr in Kopf & Körper. Ist halt ein Grundbedürfnis und das sollte man – laut Ayurveda – auf keinen Fall unterdrücken. Na großartig!
Ich stelle mir grad vor, wie unser zukünftiger, ganz persönlicher Stadtplan im Kopf mit roten Fähnchen beflaggt ist – die Routen richten sich also nach potentiellen Toilettengängen aus. Das verändert unsere Denkstrukturen nachhaltig, weil sich in unseren Synapsen fette Autobahnen nach Priorität 1 – dem möglichen Toilettengang – bilden werden, die die meist viel spannenderen Blümchenpfade gar nicht mehr möglich machen. Vielleicht wird das Ganze dann auch von irgendwem in eine Art planbares System umfunktioniert. Ähnlich der neuen Shopping-Strategie „Click and Collect“. Es hieße dann „Click and Pee“, denn auch wenn das „Wasserlassen“ nicht so planbar ist wie ein Einkauf: Irgendwann wird es so weit sein. Und dann hat man ein Dixi-Klo gebucht, das hoffentlich halbwegs in der Nähe ist.
Das Ganze folgt dem allgemeinen Prinzip der „Sicherheit“ und dafür opfert man dann ein weiteres Stückchen Bummel-Freiheit. Oder wie Johann Friedrich von Allmen in der letzten Verfilmung der Martin-Suter-Reihe es deutlich geschwurbelter ausdrückte: „Die Sicherheit ist die triste Gegenspielerin jeglichen Vergnügens“.
M: So einen Stadtplan mit roten Fähnchen für benutzbare Toiletten hab ich schon längst in meinem Kopf. Darauf vermerkt sind zum Beispiel der Kurfürstenplatz (60 Cent Gebühr, sehr sauberes Klo), der Scheidplatz (ebenfalls 60 Cent, allerdings deutlich weniger gepflegt), der Elisabethmarkt (Kundentoilette, aber Vorsicht: Nur zu Marktzeiten geöffnet) und die Münchner Freiheit, wo das stille Örtchen immerhin bis Mitternacht offen hat. So absurd es ist: Ich richte meine Spaziergänge tatsächlich inzwischen nach diesem Stadtplan aus!
Schwieriger wird es, wenn ich mich aus Schwabing wegbewege, da kenne ich mich einfach nicht gut genug aus, was öffentliche Klos betrifft. Und die einschlägigen Apps zum Thema helfen im Moment auch nicht wirklich weiter.
Wurdet Ihr als Kinder von Euren Eltern auch immer vor jeder Autofahrt ermahnt, alle noch mal aufs Klo zu gehen? Uns hat das immer sehr genervt – aber als Mütter und Väter machten wir es dann genauso! Es half allerdings nicht immer: Auf diversen Reisen ertönte schon nach wenigen Kilometern von der Rückbank ein kleinlautes Stimmchen: „Ich muss mal!“ Dann half es nichts, wir mussten die nächste Tankstelle oder den nächsten Rastplatz ansteuern.
Eine Freundin hat mir übrigens bei akutem Harndrang empfohlen, ich solle visualisieren, dass ich auf einem großen Sack mit Reis säße. Klingt merkwürdig, aber es hilft tatsächlich! Ich habe mit dieser Übung schon die eine oder andere kritische Situation überstanden.
A: Das klappt ja wirklich! Und ich glaube, es liegt daran, dass sich der Beckenboden entspannt bei dieser Sack-Reis-Visualisierung – fühlt sich bei mir zumindest so an. Ob die Methode auch im Ernstfall wirkt, werde ich bei passender Gelegenheit ausprobieren. Bei uns gilt nämlich die unausgesprochene Regel, dass man eine 600 km lange Autofahrt locker ohne Toilettengang aushalten kann. Kann Mann auch. Und die Söhne ebenso. Für mich ist das kaum zu schaffen und über die Jahre ist da ein regelrechter Wettbewerb draus entstanden. Die Söhne haben von Kindesbeinen an vom Modell Vater gelernt und sich natürlich von Buben-Blase zu Männer-Blase solidarisiert. Meine ganz frühen Bemühungen, Verbündete über eine Köderfrage in den Rückraum des Wagens zu gewinnen, ob denn zum Beispiel jemand Lust auf eine Cola (gab und gibt es bei uns zu Hause nicht) hat, sind mit zunehmendem Alter der Jungs natürlich durchschaut worden, wenn der Vater mir nicht direkt in die Parade gefahren ist und mich mit einer Gegenfrage entlarvt hat: „Muss von euch etwa auch einer?“
Seit Corona haben bei mir auch nur Frauen an der Schwabinger Haustür geklingelt und gefragt, ob sie mal unsere Toilette benutzen können. Schwägerin und Freundinnen waren – wie du – auf Stadtteilerkundung und mäanderten sich durch halb München mit Pipi-Zwischenstationen in privaten Haushalten. Auch eine Möglichkeit, in deinem Stadtplan-im-Geiste rote Fähnchen zu setzen. Bei mir bist du ja jederzeit willkommen!
M: Danke, das ist nett! Tatsächlich war ich vor ein paar Wochen versucht, bei Dir zu klingeln, habe es dann aber doch noch bis zur Münchner Freiheit geschafft. Immerhin liegst du günstig auf meiner Spazier-Route, was ich leider nicht vom Rest meiner Münchner Freunde sagen kann, die alle an Orten wohnen, wo ich nie vorbeikomme, ich will meine Wege ja nicht ausschließlich nach verfügbaren Toiletten ausrichten! Die einzige Ausnahme ist meine Tochter, die ich, vom Olympiapark kommend, schon des öfteren aufgesucht habe (bzw. ihr Klo); weil ich ihren Zweitschlüssel habe, geht das notfalls auch, wenn sie nicht zuhause ist.
In Cafés und Restaurants darf man ja momentan nicht, da sind die Wirte aus Angst vor einer unerwarteten Polizeikontrolle und einer daraus folgenden teuren Strafe sehr konsequent. Letzte Woche aber habe ich es geschafft, einen netten Barista zu überreden, mich doch ganz kurz reinzulassen, „aber lass die Maske auf, mach ganz schnell und geh durch die Hintertür und den Hof raus“, sagte er. Er war sichtlich erleichtert, als ich wieder auf die Straße kam. Seitdem grüßen wir uns immer nett im Vorübergehen; ich werde aber seine Freundlichkeit nur im äußersten Notfall noch mal in Anspruch nehmen, ich will ihn ja nicht in Schwierigkeiten bringen.
Dass Männer sich über die schwachen Blasen der Frauen mokieren, kenne ich natürlich auch. „Haltet Ihr es nicht mal zwei Stunden ohne Pinkeln aus?“, lautet immer die genervte Frage, wenn wir andeuten, dass ein kurzer Stopp an der nächsten Raststätte sehr willkommen wäre. Der Hinweis darauf, dass wir nun mal anatomisch unterschiedlich konstruiert sind, überzeugt die Herren wenig. Dabei sollten sie Mitleid mit uns haben, immerhin können sie sich im Gegensatz zu uns schnell mal in die Büsche schlagen.
Warst du eigentlich schon mal bei einem Fußballspiel in der Allianz Arena? Dann hast du bestimmt auch gesehen, wie sich nach Spielende Massen von Männern – das Stadion fasst immerhin 75.000 Menschen! – rund um die Arena erleichtern. Kein schöner Anblick, diese Wildbiesler. Vom Geruch im Sommer ganz zu schweigen.
A: In der Allianz-Arena war ich das letzte Mal im Jahr 2016. Weil zu der Zeit noch der TSV 1860 München dort spielte und trainierte. Das Spiel gegen den FC Carl Zeiss Jena war aber in erster Linie eine Herausforderung in Sachen „immer hübsch entspannt bleiben“, weil es schon in der U-Bahn aggressive Schlachtgesänge und wüste Beschimpfungen zwischen den Fans gab. Mir ist das Grünwalder Heimat-Stadion der Löwen deutlich lieber, ich mag die Atmosphäre, die Lage mitten im Giesinger Häusermeer, das von der untergehenden Sonne warm erleuchtet wird, die Giesinger, die aus ihren Wohnzimmerfenstern jedes Spiel heissblütig verfolgen, die Leiberl der Sechzger, die Fan-Choreo mit weiß-blauen Fahnen und die Halbe Bier. Mit Wildpinklern haben die da aber ebenso viel Ärger, zumal das Grünwalder ja mittendrin liegt und die Fans sich dann auch gern mal an Hauswänden oder auf umliegenden Spielplätzen erleichtern.
Meine Freundin ist am Wochenende immer auf dem Bauernmarkt in der Au am Mariahilfplatz. Da gibt es in dieser Virus-und Mutanten-Zeit auch weit und breit keine begehbare öffentliche Toilette, deshalb hat sie sich beim letzten Mal an eine Standlverkäuferin drangehängt, die sie zu einem geheimen stillen Örtchen mitgenommen hat, dessen Lage ich hier natürlich nicht vollständig preisgeben darf. Deshalb nur so viel: Auf der Rückseite der Mariahilfkirche gibt es eine große goldene Klingel…
M: Den Tipp merke ich mir auf jeden Fall, spätestens für die Zeit, wenn wieder Auer Dult ist. Wobei… wenn die stattfinden darf, ist bestimmt auch der berüchtigte Toilettenwagen in der Nähe des Billigen Jakob wieder mit dabei…
Eine Freundin machte mich darauf aufmerksam, dass es in Sanitätshäusern angeblich tragbare Klos zu kaufen gäbe. Ich wollte es erst nicht glauben, hab es dann gegoogelt und tatsächlich: Sowas gibt’s! „Eine praktische mobile Toilette für Damen und Herren, ideal bei Autofahrten, beim Camping, nachts etc., hygienisch und einfach anzuwenden.“ Das Ding aus Plastik kostet knapp 14 Euro, ist knallgrün (die Farbe finde ich schon mal irritierend) und sieht ähnlich aus wie die große Schwimmente, die meine Kinder früher in der Badewanne hatten, nur ist oben statt des Entenkopfes eine weiße Manschette dran.
Wie man das Gerät benutzt, kapier ich ja noch halbwegs, nicht aber, wie es mir in Notsituationen helfen könnte, denn auffälliger geht es ja wohl kaum, als mit so einer quietschgrünen Halbente zu hantieren. Da such ich mir lieber ein blickdichtes Gebüsch!
Übrigens hochinteressant, was es auf den Websites der Firmen für Sanitätsbedarf so gibt! Von Inkontinenz-Slips über Anziehhilfen für Socken bis zum Gebissreiniger „mit sanfter Vibration“ (gerade reduziert) ist alles dabei. Ich musste aber nach 5 Minuten Surfen ganz schnell wieder runter von den Seiten, weil mich das doch ganz schön runterzieht, wenn ich mir vorstelle, sowas brauche ich eines Tages vielleicht auch mal. Aber dann habe ich auch andere Sorgen als fehlende Klohäuschen.
A: Jetzt hab ich mich natürlich auch zum Surfen auf der Sanitätsbedarf-Seiten-Welle hinreißen lassen. Die Sachen werden ja leider ähnlich uninspiriert feilgeboten wie vergleichbare Produkte in den Schaufenstern der einschlägigen Geschäfte. Wobei sich in Letzteren die Exponate meist deutlich angestaubter oder einseitig sonnenverblichen präsentieren. Bevor du dir aber auf diesen Seiten deine gute Laune verderben lässt, lade ich dich herzlich in meine Yogastunden ein! Ich liebe Beckenbodentraining – und ehrlich gesagt nicht, weil es mich vielleicht eines fernen Tages vor diesen Slips bewahren könnte, sondern weil es die Laune und das Energielevel hebt, ganz zu schweigen von einer absoluten Bereicherung auf sinnlicher Ebene…
Die grüne Toilettenente habe ich – in etwas dezenteren Farbspielen – schon in einigen Campingbullis liegen gesehen – und nicht angefasst… Ich hätte aber viel darum gegeben, so ein Teil an einem brüllend heißen Nachmittag auf einem Highway in der Bronx aus der Tasche zaubern zu können, auf dem wir (Mann & Söhne plus Cousine & Söhne) vor einigen Jahren in einem Megastau standen. Alles deutete auf einen guten Vier-Stunden-Schnitt von Cape Cod nach New York hin, bis wir – ausgerechnet mitten in der Bronx – in diesem endlosen Stau feststeckten, weil es auf der George Washington Bridge einen Unfall gegeben hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann einer von den vier Buben im Rückraum mal austreten musste. Für meine Cousine, ein ehemaliges New-York-City-Girl, war und ist der Teil der Bronx kein Ort, an dem man sein Auto verlässt und somit war der Druck noch mal erhöht. Einer von den Vieren riss dann irgendwann – kurz vorm Überlaufen – die Autotür auf mit dem kühnen Vorsatz, sich in einer Art Unterführung auf dem betongrauen Asphalt zu erleichtern. Mit dem Publikum im Rücken lief aber so gar nichts und deshalb stieg ein Zweiter aus, um dem Ersten zu zeigen, wie man das auch unter Beobachtung (die Leute hatten ja nichts zu tun!) auf die Reihe kriegt. Meine Cousine brüllte wilde Instruktionen in ihrem ganz persönlichen New England Slang aus dem Beifahrer-Fenster, was die Situation nicht wirklich entspannte und dann bewegte sich natürlich die Blechlawine nach einer Stunde absolutem Stillstand plötzlich nach vorn… Später haben wir uns bei einem Bourbon mit Blick auf den Hudson River schlapp gelacht – weil in diesen Momenten ja immer so viel Komik und Wahrheit steckt. In der größten Not sind eben alle Menschen gleich.