M: Ich habe seit ein paar Wochen Ameisen in der Küche. Sie kommen vom Balkon beziehungsweise vom Komposteimer, der dort steht. Er hat zwar einen Deckel, was für eine Ameise aber keinen Hinderungsgrund darstellt. Sie tragen ihre Beute über den Holzboden und über die Schwelle in die Küche, marschieren dort an der Wand entlang und verschwinden kurz darauf unter einer Bodenleiste. Es sind nicht viele, dennoch bekam ich von Besuchern und dem Internet viele Ratschläge, was ich gegen sie unternehmen sollte: Fußleiste befestigen, den Spalt zwischen Leiste und Boden verfugen, Zitronensaft, Essig oder Zimt auf dem Boden verteilen oder halt Chemie.
Bei meinem nächsten Besuch im Drogerie-Markt kaufte ich eine Dose Ameisenköder und stellte sie in den Laufweg der Insekten. Eine Weile hab ich nicht mehr drüber nachgedacht, aber dann saß ich eines Abends in der Küche, und mein Blick fiel auf einen Trupp, der wieder emsig über die Tür-Schwelle krabbelte; es waren aber deutlich weniger als zuvor. Die Köderdose, klar. Und dann überlegte ich, was wohl gerade passierte bei dem Volk, das meiner Vermutung nach hinter der Fußleiste lebt und dass durch meine Dose nach und nach dezimiert wurde, am Ende wären alle tot. Und diese Vorstellung fand ich so schrecklich, dass ich die Dose sofort wegschmiss.
Was mir durch diese Anekdote mal wieder klar wurde: Mein Verhältnis zu Tieren hat sich in den letzten 10-15 Jahren total gewandelt. Früher wären mir Ameisen wurscht gewesen, ich bin auch den Mäusen mit einer Schnappfalle auf den Pelz gerückt und habe die Schnecken in meinem Garten gnadenlos mit Schneckenkorn vernichtet, was, wie ich inzwischen weiß, einen grausamen Tod nach sich zieht. Tiere generell haben mich nicht sonderlich interessiert, vehemente Tierschützer waren mir immer suspekt.
Das hat sich wirklich total geändert, nicht erst durch den Hund, aber durch ihn noch mal mehr. Noch vor 20 Jahren hätte ich den Gedanken an dieses Tier entsetzt von mir gewiesen: ein Hund stinkt, macht Dreck und Arbeit und abhängig. Ich hätte auch keine Eichhörnchen gefüttert oder lange und gerührt die Entenbiberl im Teich beobachtet, als wir deinen Geburtstag gefeiert haben.
Woher dieser Sinneswandel, dieses Interesse und die Empathie, was denkst du? Ist es pure Sentimentalität, den zunehmenden Jahren geschuldet? Oder eher die Erkenntnis, wie sehr Mensch und Tier einander brauchen und voneinander abhängig sind, im positiven wie im negativen Sinn?
A: Vermutlich ist es von allem ein bisschen und all das zusammen. Ich muss mich gar nicht anstrengen, mich in deine Lage zu versetzen, weil ich dieses Hin und Her mit den Ameisen bis ins kleinste Detail deiner Schilderungen nachempfinden kann. Ich mag Tiere. Sogar Regenwürmer und Spinnen. Schon als Kind hab ich alles angefasst, weggetragen, eingebuddelt oder vor dem sicheren Tod bewahrt. In meinem Männerhaushalt bin ich es, die brüllend gerufen wird, wenn eine Spinne in der Dusche sitzt, eine Stinkwanze unter das Bett gekrabbelt ist oder irgendein Viech sich in einer Ritze versteckt hat. Der Mann fängt sowas – wenn es unbedingt sein muss und ich nicht in Reichweite bin – mit Glas und Papier. Früher wurde auch mal draufgehauen, aber nachdem ich immer ein Riesentheater gemacht habe und um das Leben dieser meist nützlichen! Viecher gekämpft habe, geben sich die Männer auch mehr Mühe.
Vielleicht kommt meine Tierliebe unter anderem auch daher, weil mein Mümmel, ein fetter, flauschiger Hase, der lange Zeit über den sattgrünen Rasen hinter meinem Elternhaus hoppelte, eines Tages kopfüber in der Garage hing. Ich kam von der Schule nach Hause, Mümmel war nicht im Käfig und ich fand ihn an den langen Hinterläufen festgebunden, das Fell über die Ohren gezogen. Meine Oma wollte ihn mir beim Mittagessen am darauffolgenden Wochenende dann auch noch als Huhn verkaufen und da war endgültig Feierabend – auch mit dem Essen von Tieren…
Ich finde an den hässlichsten Tier-Kreaturen noch etwas Schönes oder zumindest Interessantes, lach mich über komische Tierbilder immer wieder neu schlapp und bin voller Ehrfurcht, wenn ich im Wald minutenlang stillstehen darf, um ein scheues Reh oder einen schlauen Rotfuchs nicht mit meiner Anwesenheit zu verscheuchen. Mein Lieblingstier in Kinderjahren war lange der Wolf. Die Liste der Tier-Lieblinge wird aber länger und länger und länger…
M: Echt lustig, was für eigenartige Zusammentreffen es manchmal gibt: Vorgestern habe ich den Beitrag begonnen, gestern wurde meine Tierliebe schon getriggert – da entdeckte mein Sohn beim Rauchen draußen auf dem Balkon der Nachbarn im Nebenhaus nämlich ein Taubenküken, das in einem Blumenkasten in einer Ecke saß, recht gut geschützt durch umstehende Terracotta-Töpfe. Wir waren beide ganz elektrisiert, beobachteten das Küken eine Weile mit meinem alten Opernglas und freuten uns, denn noch nie hatten wir so ein Biberl aus der Nähe sehen können.
Wir gingen dann ins Kino; auf dem Heimweg überraschte uns ein heftiger Regen, bei der Rückkehr in die Wohnung hatten ich keinen trockenen Faden mehr am Leib. Noch während ich mich umzog, fiel mir das Taubenküken ein. Ich spinxte hinüber zum Balkon, und da saß es in seinem Kasten, war pitschnass und zitterte. Es wird sterben, dachte ich, es ist ja erst ein paar Tage alt, Nässe und Kälte übersteht es nicht, und es kann ja noch nicht alleine Schutz suchen. Die Vorstellung hat mich ganz traurig gemacht.
Ich rief meinen Sohn an, von dem ich mich gerade erst getrennt hatte. Da kannst du nichts machen, sagte er, du musst der Natur ihren Lauf lassen, die Eltern werden sich schon kümmern. Natürlich hatte er Recht, aber ich war trotzdem unzufrieden und hab mir Sorgen gemacht.
Einen halbe Stunde später schaute ich wieder rüber – und da saßen beide Tauben-Eltern in dem Balkonkasten und hatten ihren Nachwuchs zwischen sich, zum Trocknen und Wärmen. Das hat mich sehr gerührt, obwohl ich Tauben ja eigentlich prinzipiell überhaupt nicht leiden kann, sie wecken mich im Morgengrauen mit ihrem Gurren auf und scheißen alles voll. Aber sie sind ganz offensichtlich fürsorgliche Eltern. Überhaupt bewundere ich ja Vögel generell für ihr Durchhaltevermögen und ihre Disziplin bei der Aufzucht ihrer Jungen, ich glaube, ihre Gattung ist die, die die größte Mühe damit hat, zum Fressen kommen die selber ja kaum. Ein Säugetier hat’s da besser, es legt sich hin, lässt die Kälber oder Ferkel oder Kätzchen saugen und gut ist.
Jedenfalls geht es dem Tauben-Küken gut, du hast es ja selber heute Mittag gesehen. Und ich darf weiter bei der Aufzucht zuschauen. Ich halte dich auf dem Laufenden!
A: Es ist faszinierend, wie nah sich manch wild lebende Tiere an Menschen rantrauen. In unserem Haus auf dem Lande hatten wir jedes Jahr mindestens fünf Schwalbennester, eines davon direkt unter dem Dach am Schlafzimmerfenster – da war was los in der Früh! Ich mochte die Schwalben sehr, auch wenn sie natürlich viel Dreck gemacht haben. Dafür haben sie aber auch jede Menge Mücken und Fliegen gefressen, die wir oft reichlich hatten, weil direkt neben unserem Haus eine Wiese war, auf der Pferde, Ziegen oder Schafe grasten. Die kamen immer im Schweinsgalopp angerannt, wenn ich mit dem Auto in die Einfahrt fuhr. Dann hab ich schnell den Jutesack mit trockenem Brot und Möhren geholt, damit die verfressenen Vierbeiner was zwischen die Zähne bekamen.
So hatten wir alle was davon: Die Tiere bekamen mal was anderes als langweiliges Gras zum Beißen und wir mussten kein Brot wegschmeißen und wurden im Hochsommer nicht von Mücken zerstochen. Außerdem konnte ich jeden Abend den Ziegen und Zicklein vom Schlafzimmer aus Gutenacht sagen, wenn sie meist schon friedlich unter unserem Fenster in einer Art Kreisrund beieinander lagen und das letzte schläfrige Määäääh zu hören war. Das war ungemein beruhigend mit den Tieren ins Bett zu gehen und morgens wieder aufzuwachen. Auch wenn der Ziegenbock zur Brunstzeit mächtig gestunken hat, was wohl an den Hautdrüsen am Hornansatz liegt.
Ist dieser gleichmäßige Tag- & Nacht-Rhythmus, diese Struktur, die die Tiere brauchen, vielleicht auch das, was die Menschen auf Bauernhöfen meist entspannt und friedlich im Einklang mit ihnen leben lässt? Klar werden sie ihre Tiere auch verfluchen, wenn sie nach einer feuchtfröhlichen Nacht mit dem ersten Hahnenschrei wieder aus dem Bett müssen. Aber wenn man erstmal wach ist, hat dieser noch ganz junge Tag ja einen ganz besonderen Zauber. Ich fühle mich jedenfalls immer wie frisch gesegnet, wenn alle anderen noch schlafen und verpassen, wie die Sonne sich langsam ihren Weg in den Tag bahnt. Und wenns regnet: Ja mei, das ist dann nicht ganz so holyholy. Dafür hab ich dann aber einen Hund an meiner Seite, der warm und fellig ist und zufrieden grunzt – egal ob es regnet oder der Lorenz brennt – wie man in Westfalen sagt.
M: Ich liebe das auch sehr, den Sonnenaufgang im Freien zu erleben. Zum Glück ist unser Hund ebenfalls ein Frühaufsteher und wackelt willig mit, wenn ich, im Sommer auch schon mal um fünf Uhr morgens, mit ihm in den Englischen Garten gehe, um dort das Erwachen des Tages zu erleben. Schon lange bevor die Sonne sich zeigt, kann man das erste Zwitschern der Vögel hören – zumindest wenn es nicht wie aus Eimern schüttet. Es beginnt ganz langsam, mit einem ersten, noch zaghaften Laut, in den dann immer mehr einstimmen; innerhalb von einer halben Stunde ist das Konzert dann komplett. Ich setze mich dann gerne auf eine Bank und versuche, die einzelnen Arten voneinander zu unterscheiden, was mir leider nicht wirklich gut gelingt, obwohl ich schon seit Jahren immer wieder zur Entspannung eine CD mit Vogelstimmen anhöre. Es gibt, hab ich in der Zeitung gelesen, einen jungen Mann in Bayern, der angeblich jede Stimme auf Anhieb erkennt; man darf ihm per Mail oder WhatsApp Aufnahmen von Gezwitscher schicken, das man nicht identifizieren kann, er antwortet dann wohl postwendend mit der richtigen Angabe. Ich hab das noch nie gemacht, war aber schon öfter in Versuchung und beneide ihn generell sehr um diese Fähigkeit.
Ich habe in meiner Küche eine Vogeluhr hängen, die zu jeder vollen Stunde mit einer anderen Stimme aufwartet; die zumindest kann ich mittlerweile unterscheiden. Besonders gerne mag ich den Gesang der Singdrossel (7 Uhr), des Pirol (9 Uhr) und natürlich der Nachtigall (11 Uhr), aber auch den Kuckuck zur Mittagsstunde. Die meisten meiner Besucher zucken zusammen, wenn sie das Getriller aus der Uhr zum ersten Mal hören, einige finden es auch nervig, aber ich mag es sehr. Und wenn mich jemand fragt, welches Tier ich gerne wäre, antworte ich immer prompt: ein Vogel! Ich glaube, es ist das Fliegen, das mich so besonders reizt, was wiederum eigenartig ist, denn ein Flugzeug besteige ich nicht sonderlich gerne.
Dem Taubenküken geht es übrigens sehr gut; es ist schon rund und mopsig geworden und hat schon Gefieder, zartbraun-weiß gefleckt. Ab und zu sträubt es schon seine Federn und putzt sich ausgiebig. Ich glaube, es wird nur noch ein paar Tage dauern, bis es richtig flügge ist, und ich wünsche mir sehr, seinen ersten Flug miterleben zu dürfen. Unwahrscheinlich, dass es klappt, aber noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben.
A: Diese Vogeluhr hatten wir auch mal, sie ist aber bei einem unserer zahlreichen Umzüge verloren gegangen – sie hatte auch einen Tick und blieb gern bei der Singdrossel hängen, was irgendwann furchtbar genervt hat. Ich hatte sie von einem Versandhandel für pädagogisch wertvolle Dinge rund ums Kind bestellt, weil ich es ungeheuer wichtig fand, dass meine Jungs zumindest die Nachtigall vom Kuckuck unterscheiden können. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie das bis heute nicht können. Da sie aber mit Hund, wilden Katzen, blökenden Ziegen und etwas dümmlich dreinschauenden Schafen, schnaubenden Pferden, bunten Vögeln (die leider auch immer wieder an unsere riesige Fensterscheibenfront krachten und beerdigt werden mussten) und flohpummeligen Igeln im Garten groß geworden sind, können sie – wie der Mann und ich – herrlich über Tiere lachen und haben sie einfach gern um sich, auch wenn sie muffeln, pupsen und furchtbar haaren.
Die Leiterin des Montessori-Kindergartens bei uns im Dorf hat mal einen Vortrag gehalten zum Thema: „Was verpassen ihre Kinder, wenn sie mit dem Auto zum Kindergarten gefahren werden.“ Ihre Conclusio: ALLES! Also alles, was wichtig, aber irgendwie auch banal ist. Vögel, die in den Bäumen hocken und irgendwelche nicht zuordbare Laute von sich geben, Regenwürmer, die sich in dieser gleichmäßigen Hoch-Tief-Bewegung über die nasse Straße robben, bunte Schmetterlinge, die mal Raupe waren, die Geräusche vom Bummelzug, der immer zu spät am dörflichen Bahnhof eintrudelte, den Wind, der die Blätter in den Bäumen rauschen lässt, den schlecht gelaunten Gruß vom Nachbarn (den der Mann immer Blockwart nannte) und und und… Ich höre Frau Schulte heute noch, engagiert, aber unaufgeregt, mit vermutlich null Verständnis für all die Hubschraubereltern, die ihre Kinder in ihren SUV’s direkt vorm Kindergarten ablieferten.
Der Englische Garten hat übrigens nicht weniger tierische Artenvielfalt zu bieten als die ländliche Eifel, was mich immer wieder aufs Neue erstaunt. Ok, Wildscheine hab ich noch keine gesehen. Dafür auf dem Lande aber auch kein Taubenküken, das innerhalb kürzester Zeit so mopsig geworden ist, dass es fast aus dem schwarzen Übertopf quillt, in dem es offensichtlich aus dem Ei geschlüpft ist. Und das in einem ja durchaus belebten Schwabinger Hinterhof (gab es da nicht auch diese Sexhungrigen, denen du immer unfreiwillig beim Liebesakt zuhören musstest?) bei dir auf dem Nachbarbalkon.
M: Einem Wildschwein möchte ich im Englischen Garten lieber nicht begegnen, ich habe sehr viel Respekt vor denen; in der Zeit, in der sie ihre Frischlinge aufziehen, ist mit ihnen offenbar, so hab ich gehört und gelesen, gar nicht zu spaßen, vor allem nicht mit den Keilern, die ja ohne weiteres einen Menschen töten können mit ihren Hauern. Was ich aber sehr mag, sind die Schafherden, auf die ich ab und zu im nördlichen Teil treffe, oft auch mit ihren Lämmern.
Bei meinem Bruder, der in London lebt, treiben sich seit einigen Jahren Füchse in den Hintergärten herum, vermutlich auf der Suche nach Nahrung; zweimal hab ich dort auch schon einen gesehen. Die Anwohner in dem Viertel sind nicht so begeistert, sie fürchten vor allem die Infektion durch Fuchsbandwürmer. Ich hingegen fand es sehr spannend, die Füchse aus der Nähe zu beobachten, sie waren nicht mehr als zehn Meter von mir entfernt, so dicht war ich noch nie an einem dran.
Mir ist natürlich klar, dass es kein gutes Zeichen ist, wenn im Prinzip scheue Wildtiere sich immer mehr den Menschen annähern, weil sie in der Natur keinen ausreichenden Lebensraum mehr finden; jeden Tag werden über 70 Hektar davon vernichtet. Und wir Menschen mit unserem Bedürfnis nach Erholung im Wald stören ihr Ruhebedürfnis auch erheblich, erst recht, wenn wir mit freilaufenden Hunden unterwegs sind, die dann gern mal Jagd auf zum Beispiel ein Reh machen.
Zum Taubenküken auf dem Nachbarbalkon: Vor zwei Tagen durfte ich beobachten, wie das Biberl gefüttert wird – übrigens der einzige Moment, wo es mal aufgeregt piept… Die Eltern öffnen den Schnabel, würgen Nahrung, sogenannte Kropfmilch, hoch, und das Junge bedient sich direkt aus ihrem Hals. Ich wusste bisher nicht, wie das funktioniert und war sehr beeindruckt.
Momentan versteckt sich das Küken tagsüber meist in seinem Blumenkasten, was vielleicht daran liegt, dass in unserem Hof momentan ein Teil des Pflasters aufgerissen wird, und zwar mit höllisch lauten Presslufthämmern, die einem wirklich schwer auf die Nerven gehen – viel mehr als die Sexhungrigen, deren Leidenschaft ohnehin ein klein bisschen nachgelassen hat. Dafür ist jetzt aber ein zweites Paar in meine direkte Nachbarschaft eingezogen, das sein Glück SEHR lautstark zelebriert, um es mal elegant zu formulieren. Aber das ist ein anderes Thema…
A: In italienischen Innenhöfen treibt sich auch so einiges an Getier rum, hab ich in der vergangenen Woche an der ligurischen Küste mal wieder feststellen dürfen. Abends pirschen sich auf leisen Sohlen die Wildkatzen durch den Garten und rümpfen pikiert die feine Nase, wenn auf ihren ganz persönlichen Jagdwegen plötzlich ein deutsches Paar mit übel stinkenden Mückenspiralen sonnenverbrannt und campariselig den Abend ausklingen lässt. Nicht vergessen werde ich auch den grimmigen Blick der fetten Nachbarkatze, die erhobenen Hauptes an uns vorbeistapfte und sämtliche Futterangebote despektierlich ignorierte.
Beim Frühstück wurden wir jeden Morgen von zwei Mittelmeermöwen mit Argusaugen beobachtet, die im Haus über uns auf dem Dach saßen und ihr durchdringendes „Waouw“ bis runter zum Meer schmetterten. Das Rufrepertoire war natürlich noch üppiger, die feinen Unterschiede von Schnapp-, Staccato- und Katzenruf blieben mir aber auch als ehemaliger Hobby-Ornithologin (Ich lebte mal einsam in der Sackeifel und studierte dankbar die gefiederten Gäste in unserem hektargroßen Wald & Garten…) leider verborgen. Die imposanten Vögel schoben stolz ihre weißgefederte Brust über die Hausmauer und präsentierten ihre senfgelben Schnäbel, ignorierten aber – genauso wie der mopsige Nachbarskater – die appetitlichsten Leckereien, die der Mann am ausgestreckten Arm präsentierte. Stattdessen stürzten sie sich mit Todesverachtung vom Dach, um dann in einer eleganten Kurve über unseren Köpfen Richtung Küste zu segeln.
Sehr kurzweilig war auch die Begegnung von Hahn und Katze auf einem schäbigen Asphalt-Parkplatz, die wir beobachteten und dankbar als Unterbrechung unseres beschwerlichen Anstiegs (gefühlt Minimum 20% Steigung!) vom Strand zur Wohnung annahmen. Hahn und Katze taten so, als gebe es den jeweils anderen nicht. Null Blickkontakt, konsequente Ignoranz. Jede*r der beiden ging seiner Wege, der Hahn pickte mal hier was, mal da was und die Katze widmete sich ungeniert der Fellpflege im Ausscheidungsbereich, bevor sie sich bräsig in der Sonne fläzte. Ob dieses Arrangement schon immer so friedlich ablief oder der lähmenden Nachmittags-Hitze geschuldet war, kann ich natürlich nicht beurteilen.
Mir ist aber noch ein weiteres mehr oder weniger harmonisches Gespann aufgefallen, das mir in dieser Häufigkeit so ganz und gar nicht präsent war: Der Italiener ist plötzlich Hundebesitzer! War das schon immer so oder ist das ein verhaltenspsychologisches Corona-Phänomen? Ich hab noch nie so viele Italiener mit Hunden jeder Couleur gesehen: Große Hunde, kleine Hunde, Rassehunde und jede Menge spitzverdackelte Straßenhunde an der Seite von All-Over-Tätowierten, Pier-Joggern, älteren Damen im gepflegten stile italiano und lauten Kindern. Und da unten an der Küste kaum Wald & Feld ist, rannten die meisten Frauchen und Herrchen mit einer Wasserflasche durch die Gegend, um überall dort, wo der Hund hingebrunzt hatte, einen guten Schluck Wasser hinterher zu spülen. Das war doch nicht immer so im selbstverliebten Italien, in dem es Massen an Streunern gab, aber niemanden, der sich kümmerte, oder?
M: Es scheint so, dass sich das Verhältnis der Italiener zu Hunden ganz grundsätzlich gewandelt hat. Als ich zum ersten Mal dort war, Anfang der 70er, fiel mir auf, dass Hunde ausnehmend schlecht behandelt wurden. Sie sahen alle recht räudig aus, wurden angeschrieen, verscheucht und zum Teil sogar geschlagen oder mit Steinen beworfen; als Haustiere oder gar Schoßhunde konnte ich sie damals überhaupt nicht wahrnehmen. Mir gefiel das überhaupt nicht, schon damals hatte ich Mitleid mit den herumstreunenden Viechern, die vor Menschen ganz erkennbar auf der Hut waren. So habe ich es auch in den darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten wahrgenommen: Hunde in Italien waren bestenfalls Nutztiere, zum Schutz von Haus und Hof eingesetzt; ein Zeichen von Zuneigung, Respekt oder gar Liebe habe ich nicht wahrgenommen.
Als ich letzten September in Venedig war – nebenbei ja nicht gerade die ideale Haustier-Stadt – , habe ich hingegen mit Erstaunen festgestellt, wieviele Hunde aller Rassen, besonders aber der kleinen, dort stolz an der Leine herumgeführt und sichtlich verhätschelt wurden; deine Beobachtungen bestätigen, dass offenbar auch in anderen Regionen ein grundlegender Wandel diesbezüglich stattgefunden hat. An Corona allein kann das nicht liegen, denke ich, oder?
Als wir vor drei Jahren zum ersten Mal mit Hund nach Italien reisten, wurden wir gewarnt, Vierbeiner seien dort an den meisten Orten unerwünscht; wir dürften zum Beispiel mit ihm keinesfalls an den Strand gehen, die Italiener seien da sehr ablehnend, es drohten sogar hohe Geldstrafen. Das erwies sich als falsch; in jedem Restaurant, das wir besuchten, wurde der Hund schlimmstenfalls kommentarlos geduldet, meist aber freundlich bis begeistert begrüßt und gleich mit einer Schale Wasser versorgt; auch an den Stränden haben wir es nie erlebt, dass es Protest oder Ärger gab. Was ich allerdings vermisste: Die Spender mit Kack-Tüten, die in Schwabing an fast jeder Ecke zu finden sind und die es jedem Hundebesitzer leichtmachen, die Hinterlassenschaften des Vierbeiners zu entsorgen. So weit sind die Italiener offenbar noch nicht – oder hast du diese Boxen in Ligurien gesehen?
A: Es gibt inzwischen auch Hundestationen in Italien, ja! Verbürgen kann ich mich für einen Großteil von Südtirol, die Ostseite vom Lago Maggiore und einen Teil der ligurischen Küste. Diese scheinbar neuen Tütenspenderboxen sehen aber merkwürdigerweise – wie so vieles in Italien – schon jetzt patiniert aus, obwohl es sie hundertprozentig vor zwei Jahren noch nicht gegeben hat! Wer weiß, vielleicht sind sie aus den nicht weit entfernten französischen, österreichischen oder Schweizer Nachbardörfern geklaut worden. Obwohl ich jetzt versucht bin, einen Zehner darauf zu wetten, dass die Franzosen so was mit Sicherheit auch nicht hatten – wie vermutlich fast alle südlichen Länder…
Auf unserem gestrigen Heimweg vom Schliersee habe ich zu meinem großen Erstaunen im Vorbeifahren mindestens 50 freilaufende Hühner, großzügig eingezäunt vor einem alten Bauernhaus gesehen. Und auf der Rückseite des Hauses Minimum noch mal 50! Das war ein derart lebendiges und außergewöhnliches Bild, das ich gar nicht mehr aus meinem Kopf bekommen möchte. Denn schon in meiner Jugend gab es westfälische Bauern, die – ungeachtet meiner Empörung – Hühner in nicht artgerechten Legebatterien hielten. Die Tendenz zu einer mehr tiergerechten Haltung ist also zumindest marginal an der ein oder anderen Stelle erkennbar.
Sorgen wegen eines Defizits auf meinem Tier-Karma-Konto mache ich mir persönlich manchmal wegen der vielen Mücken, die ich abgrundtief hasse und auch ohne mit der Wimper zu zucken erschlage. Überhaupt wird den Insekten verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt, mal abgesehen davon, dass einige Autofahrer seit einiger Zeit erleichtert feststellen, dass sie ihre Frontscheibe nicht mehr alle 200 km an der Tanke reinigen müssen, weil es einfach kaum noch Insekten gibt, die an der Windschutzscheibe den Tod finden.
M: Vor drei Tagen gegen zehn Uhr morgens war es so weit: Das Tauben-Biberl unternahm seinen ersten Ausflug! Eingerahmt von seinen Eltern schlug es erst noch etwas zaghaft mit den Flügeln, wagte dann aber, noch etwas wackelig, die erste Runde, etwa 5 Meter zum nächstgelegenen Fensterbrett, wo es, vermutlich vor Stolz, ein lautes Gurren von sich gab. Der Erfolg verlieh ihm so viel Mut, dass es den ganzen Vormittag zwischen Balkon und Brett hin und her flog, von seinen Eltern aufmerksam betrachtet. Erst zur späten Mittagsstunde zog es sich wieder zur Siesta in seinen Kasten zurück, um am Nachmittag erneut wieder aufzubrechen; am Ende des Tages hockte es sogar schon auf dem Dachfirst.
Seit gestern ist die ganze Taubenfamilie verschwunden, ich halte immer wieder Ausschau nach den dreien, kann sie aber nicht mehr entdecken. Ob sie sich ein anderes Revier gesucht haben, jetzt wo das Baby flügge ist? Ich gebe zu, ich vermisse es ein bisschen, das Wachsen und Gedeihen des Vogels zu beobachten hat mir viel Freude gemacht, auch wenn ich auf seine Hinterlassenschaften gut verzichten kann.