A: Es gibt ein paar Dinge, die wir hier in München vermissen, weil wir sie nicht bekommen, also zumindest nicht auf unkompliziertem Wege: Dazu gehört holländisches Lakritz, ein gezapftes 7-Minuten-Pils in der Pilsflöte mit Deckchen untenrum, ungeräucherte Kohlwürste, unaufgeregte und schlichte Dönerbuden (gibt’s laut meiner Jungs nur in Köln, hier sind sie schick & teuer und wollen besonders sein), Büdchen & Trinkhallen…
Lakritz fehlt mir im Moment am meisten, also dieses salzige aus Holland, nach dem ich süchtig bin. Ist extrem schwer zu bekommen hier – zumindest in den einschlägigen Geschäften. Im Rheinland war das auch nicht in jedem Regal in üppiger Auswahl vertreten, aber es war im Sortiment. Hier tröste ich mich schon mal mit Salmiak – ist ok, aber eben kein Salzlakritz.
Das ist ein echtes Trauerspiel, und ich mag die Dinger einfach nicht online bestellen. Hab ich ehrlicherweise schon probiert und in freudiger Erwartung dann auf so was Undefinierbares, viel zu süßes, brüchiges, an den aufgeplatzten Stellen weiß durchschimmerndes Etwas gebissen. Trockenharte und klebrig-weiche Konsistenz zugleich: Ekelhaft! Lakritz muss rabenschwarz, glatt und glänzend sein und der Saft muss sich im Mundraum salzig-süß bis in die entlegensten Winkel hinein verteilen und jede einzelne Geschmacksknospe befeuern.
M: Ich mag Lakritz auch, bin aber diesbezüglich anspruchslos – mir genügt das Sortiment einer bekannten Firma aus Bonn, deren Fruchtgummis ich auch sehr schätze. Wo man holländisches hier bekommt, weiß ich tatsächlich auch nicht; vielleicht musst Du mal ein Care-Paket bei deinen Eltern bestellen? Auch beim Pils kann ich nicht weiterhelfen; wird hierzulande einfach nicht so gern getrunken, auch von mir nicht; wir halten uns ans Helle. Allerdings gibt es auch hier diverse „Pils-Stüberl“, wie sie sich gerne nennen. Sie sind allerdings meist nicht sehr einladend, finde ich. Als ich ein paar Jahre in Haidhausen wohnte, hatten wir eine gleich ums Eck, die machte um ein Uhr nachts zu und morgens um neun schon wieder auf. Spätestens um 8.30 Uhr wartete schon eine kleine Gruppe vor der Tür auf ihr erstes Glas. War ein ziemlicher Spießrutenlauf an denen vorbei. Es hat mich also nichts animiert, da mal rein zu gehen. Aber vielleicht magst du so ein „Stüberl“ mal ausprobieren?
A: In so ein Stüberl (was in Köln eine Trinkhalle wäre, die ich auch nie freiwillig betreten habe) würde ich allerhöchstens mal in Giesing einkehren – kurz vor einem Löwenspiel, um die Atmosphäre zu inhalieren. Ich vermute, sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Aufenthalt in der Westkurve inmitten von Löwenfans bei einem Spiel im Grünwalder, was Enge, Lautstärke & Bierseligkeit betrifft. Außer, dass keiner mit einer selbstgenähten weiß-blauen Fahne vor meinem Gesicht rumfuchtelt.
Ein Büdchen in Köln hat ja 24 Stunden auf und in meiner Studentenzeit gab es welche, die ich zu keiner Zeit betreten hätte, und es gab die anderen mit ganz besonderer Auswahl an Bieren, Weinen, Tagespresse, Süßkram… in denen man immer lustigen Menschen begegnete. Hier in München entwickelt sich ein ähnlicher Trend z.B. an der Gunezrainerstraße oder an der Reichenbachbrücke zu sehr charmanten Umschlagplätzen. Hier heißen die Dinger nur „Kiosk“.
M: Jetzt kommen wir mal zu den von Dir so schmerzlich vermissten ungeräucherten Kohlwürsten: Ich glaube, es gibt einen Metzger am Marienplatz, der sowas führt, ein sehr eigentümlicher kleiner Laden. Wozu isst man eigentlich diese Würste? Zu Grünkohl vor allem? Der ist ja auch eher jenseits des Weißwurstäquators verbreitet, ich hab ihn einmal probiert, auch mit irgendso einer eigenartigen Wurst, und ich muss leider sagen: Einmal reicht. Ich hoffe, du kannst mir das verzeihen.
Zum Thema Dönerbuden: Ich glaube schon, dass es in München ziemlich gute bis sehr gute gibt, aber eben nicht überall. Am besten sind sie im Bahnhofsviertel, wo es auch die großen türkischen Supermärkte gibt. Auch im Westend hab ich schon einen guten Döner gegessen. Aber das sind halt Ecken, wo wir Schwabinger eher selten hinkommen. Und wir wollen auch nicht für einen Döner durch die halbe Stadt. Aber das eine, mir wärmstens empfohlene türkische Lokal im Westend müssen wir unbedingt demnächst mal probieren!
A: Der kleine familiengeführte Metzgerladen am Marienplatz hat Bremer Pinkel, westfälische Mettenden und fränkische Wurstspezialitäten, aber keine Lippische Kohlwurst, wie mein Vater sie nennt. Letztes Jahr gab es sie nicht, weil wir coronabedingt zu Weihnachten nicht nach Westfalen fahren konnten, um mit meiner Großfamilie „Oh du Fröhliche“ zu schmettern und danach über zwei große Pötte Grünkohl mit besagten Würsten herzufallen. Wenn das dieses Jahr wieder ausfällt, wird uns das in tiefe Depressionen stürzen, weil der nachgekochte Grünkohl vom sauteuren Viktualienmarkt einfach kein Ersatz war und wir keine fein gekräuselten dunkelvioletten Blätter wollen, sondern den stinknormalen saftig grünen Krauser, der oben noch mit dem Frost der Nacht bedeckt ist. So hab ich ihn früher mit meiner Mutter auf dem Markt gekauft.
Und bei den Dönerbuden kann ich eigentlich gar nicht mitreden, weil ich die Dinger ja nicht esse. Ich verbinde sie nur mit langen schmutzigen Nächten in Köln, die im Morgengrauen auf der Kyffhäuserstraße im Dönerladen endeten. Das scheint generationenübergreifend zu sein, weil da jetzt unsere Buben – auf Besuch – auch immer wieder in ähnlichem Zustand stehen. Das Vermissen ist also eng verknüpft mit einer ganz bestimmten Umgebung und Atmosphäre. Ich kann mir hier alle Pilssorten der Welt bestellen. Wenn die nicht mit Deckchen und Pilsflöte daherkommen und in einer Kneipe in Westfalen direkt vom Zapfhahn auf die schwere Eichentheke gestellt werden (während der Schaum am hauchdünnen Glas außen entlangläuft) ist es einfach nicht das Gleiche.
M: Was das Bier betrifft, so hab ich in meiner (kurzen) Kölner Zeit auch gelitten – allerdings in die andere Richtung: Pils mag ich einfach nicht, also fiel das schon mal aus. Und das Kölsch… na ja. Es schmeckt ja nicht schlecht, wenn auch ein bisschen dünn, aber die Gläser! Die Menge, die da drin ist, geht bei uns hier höchstens als „Schnitt“ durch, den man als allerletztes Glas trinkt, bevor man nach Hause will, sich aber noch nicht wirklich trennen kann von dem schönen Abend. Keinesfalls bestellt man ihn als erstes Getränk, sozusagen als „halbe Halbe“ – das würde für großes Kopfschütteln sorgen.
Jedenfalls habe ich damals im Rheinland unser Bier schon sehr vermisst, ebenso wie richtige (!) Brezen, Leberkas und Obatzn. Das, was ich als Kölner Traditionsessen kennengelernt habe (Blutwurst! Sauerbraten!) konnte mein Heimweh gar nicht lindern. Und kaum war ich in München aus dem Zug gestiegen, marschierte ich zum Stand eines hiesigen Metzgers und kaufte mir eine Leberkas-Semmel, die ich sofort an Ort und Stelle verzehrte. Und schon beim ersten Bissen wusste ich: Jetzt bin ich wieder daheim!
A: Kulinarisch hat mich in Köln auch nichts wirklich begeistert, weder der Halve Hahn noch Himmel un Äd mit Flönz noch das Kölsch, von dem ich in all den wilden Studentenjahren immer mit Kopfschmerzen aufgewacht bin, ohne zu wissen warum. Inzwischen hab ich eine Theorie: Kölsch, Alt, Berliner Weiße und das Weißbier sind obergärig und haben wohl eine kürzere Gärungszeit, als untergäriges Bier, das niedrigere Temperaturen und eine Hefe braucht, die es kühler mag. Mein Kopf kommt anscheinend mit der kühlen und geschmacklich herberen Variante besser klar… Vielleicht ist das ja in den Genen angelegt? Oder schlicht sozialisiert?
Ganz ohne kindliche Sozialisation in Bayern (mit Ausnahme der unzähligen Skiurlaube) liebe ich aber die bayerische Küche! Bekomme nicht genug von Knödeln mit Rahmschwammerl, Bayrisch Kraut mit Schupfnudeln und all den herrlichen Mehlspeisen wie flaumigen Rohrnudeln, süßen Dampfnudeln…
M: Ich mag das alles auch total gerne (auch wenn ich nicht mehr so viel davon essen kann wie früher), ich glaube, das liegt daran, dass es das Essen meiner Kindheit war. Fleisch war da eher selten dabei, Fisch auch nicht öfter, wir haben viel Kartoffeln in allen möglichen Variationen gegessen und Gemüse aus dem Garten, und natürlich süße Gerichte mit selbstgemachtem Apfelmus (oh, dieses stundenlange Äpfel schälen und kleinschneiden während der Erntezeit! Nach einer Weile wurden die Finger davon ganz schrumpelig.).
Wenn ich heute ein Trostessen brauche, dann mach ich mir Fingernudeln mit Apfelmus (leider nicht selbst gemacht) oder Rohrnudeln mit Vanillesoße. Oder, wenn ich mich sehr verwöhnen will, Reiberdatschi, und zwar weder aus Tüte noch aus dem Kühlregal!
A: Oh ja, Reibekuchen! Die gab und gibt es überall da, wo ich gelebt habe und lebe: In Westfalen, im Rheinland (Rievkooche!) und in Bayern, auch wenn sie immer anders heißen. Die Hauptzutat ist aber natürlich identisch: Gute Kartoffeln! Die ich mir einbilde, hier nicht so einfach zu bekommen – also zumindest nicht die westfälischen aus meiner Kindheit, die vielleicht auch deswegen so gut waren, weil sie mit unvergesslichen Erinnerungen verknüpft sind. Wenn wir die prall gefüllten Säcke im Spätherbst auf dem Hof unserer bäuerlichen Verwandtschaft abholten, rannte ich nämlich sofort in den Stall, um die kleinen Kälbchen und Ferkel unter der Wärmelampe zu bestaunen.
Dafür gibt es auf dem Viktualienmarkt ein Standl mit mindestens 20 Kartoffelsorten UND extraordinären Kartoffelgerichten, an dem eine Freundin Dauerschlemmergast ist. Die große Wertschätzung für die gute alte Kartoffel ist hier bei fast ausschließlich vegetarischen und veganen Speisen also schon mal gewährleistet. Jetzt muss ich da nur noch hin, damit ich endlich aufhöre zu jammern, dass ich hier westfälische Kartoffeln vermisse!
M: Ob die westfälischen Kartoffeln wirklich so anders und besser sind als die bayrischen, lass ich mal dahingestellt sein. Es ist wahrscheinlich wirklich so, dass die Verknüpfung mit den Kindheitserinnerungen den Geschmack rückwirkend idealisiert.
In einer Sache aber sind wir beide, die Westfälin und die Bayerin, uns aber definitiv ganz einig, wie ich immer wieder feststelle, wenn wir uns treffen: Bei unserem Lieblingsgetränk (siehe Foto!)! Campari geht einfach IMMER, gell? Da vergessen wir glatt das Pils und das Helle…