M: So wie Menschen sich gruppieren in solche, die lieber die Berge als das Meer mögen oder in die Wein- bzw. Biertrinker, so teilen sie sich auch auch in die, die gerne Gesellschaftsspiele machen und die anderen, die dafür gar nichts übrig haben. Ich gehöre, wie auch du, zur ersten Kategorie.
In meiner Kindheit war fürs Spielen der Sonntagnachmittag reserviert: Nach dem großen Spaziergang wurde der Esstisch leergeräumt und die drei Schubladen geöffnet, in denen Berge von Spieleschachteln durcheinander flogen. Dann kam erstmal die Diskussion darüber, was zum Einsatz kommen sollte: „Gefüllte Kalbsbrust hatten wir letzten Sonntag schon!“ – „Ich hasse Mensch-ärgere-dich-nicht!“ – „Schneckenrennen ist für Babys! Lieber Monopoly!“ Da prostestierte dann meine Mutter, „blödes Kapitalisten-Spiel!“
Wir haben das Spielen alle geliebt, aber es gab auch reichlich Gemecker und Gezeter, auch Tränen, denn zum Verlieren mit Haltung hatte keiner von uns Talent, von meiner Mutter abgesehen. Mein Vater dagegen war uns kein gutes Vorbild, weil er schon mal wütend seine Karten auf den Tisch schmiss, wenn er beim Rommé auf einem Berg von Punkten sitzenblieb.
Ich war damals auch furchtbar schlecht im Verlieren und hab mehr als einmal im Zorn das ganze Spielbrett vom Tisch gefegt. Das hat sich inzwischen deutlich gebessert, ich MUSS nicht mehr gewinnen, um Spaß zu haben – aber ich WILL es natürlich immer noch!
A: Ich war als Kind so gar nicht der klassische Einzelkämpfer bei diversen Brett- und Kartenspielen. Schach fand ich furchtbar und hab das gern meinem schlauen Bruder überlassen, Mühle hat mich gelangweilt, Vier gewinnt konnten immer die anderen besser und Monopoly hab ich gehasst. Alle Kartenspiele – und hier ganz besonders Doppelkopf – hab ich geliebt und tu es heute noch, auch wenn die Doppelkopfabende meiner Eltern immer furchtbar waren. Neben meinem Onkel kam an diesen Abenden nämlich auch der verhasste Hausmeister unserer Schule, vor dem wir alle Schiss hatten und der all unsere Vergehen (und die waren zahlreich) den Eltern petzte. Besagter Herr Cordes mit rabenschwarzem Haar und drahtigem Bart glotzte allen in die Karten, seine finstere Lache dröhnte bis in unsere Kinderzimmer und am Ende des Abends stritten die drei Männer lautstark über Politik. Herr Cordes kam trotzdem wieder, verließ unser Haus aber ein ums andere Mal schlecht gelaunt. Und am Morgen nach diesen Doppelkopfabenden roch das Wohnzimmer immer noch nach dicker Luft und kaltem Rauch.
M: Irgendeine Eigenschaft muss der Hausmeister gehabt haben, dass ihn eure Eltern immer wieder eingeladen haben, denn er klingt ganz schrecklich unsympathisch, wenn auch aus der Kinder-Perspektive. Oder war einfach kein 4. Spieler zu haben?
Ich spiele nur gerne mit Leuten, die ich auch mag. Und die halbwegs konzentriert das Geschehen verfolgen und zügig bedienen, wenn sie an der Reihe sind. Menschen, die jedesmal minutenlang grübeln, bevor sie eine Karte zücken, machen mich wahnsinnig. Ein gewisses Tempo braucht jedes Spiel, finde ich. Das Problem ist nur, dass meistens dabei auch munter und reichlich getrunken wird, was der Konzentration sehr abträglich ist. Ich werde dann leider immer sehr ungeduldig, was die Stimmung auch nicht gerade hebt und in der Vergangenheit schon zu dem einen oder anderen heftigen Streit geführt hat.
Doppelkopf kenne ich übrigens gar nicht, ob das was Regionales ist? Du scheinst es ja zu lieben. Was fasziniert dich so daran?
A: Das Beste daran ist, dass man in der Regel mit jemandem zusammenspielt, zu Beginn aber meist nicht weiß, mit wem. Es gibt Hochzeiten, Füchse, Dullen und ich war jahrelang in den Herzbuben verliebt. Unsere speckigen Spielkarten kamen an jedem Abend unserer Skiurlaube direkt nach dem Essen auf den Tisch – meist waren die Teller noch nicht abgeräumt (was jedes Mal Ärger mit den Erwachsenen gab) und schon wurde ausgeteilt. Karten aufheben, grinsen, stöhnen über das grottenschlechte oder einfach geniale Blatt. Dann eröffnete jemand das Spiel meist mit einer simplen Fehlkarte, jeder weitere Stich wurde kommentiert: Kreuz lief doch schon, Mann! Kannst du etwa bedienen? Hast du nix anderes? Echt jetzt – war das dein höchster Trumpf? Jetzt spiel ich schon wieder mit dir! Und manchmal war es gespenstisch still und es lag eine knisternde Spannung in der Luft, wenn jemand ein Solo auflegte oder jeder jeden verdächtigte, eine stille Hochzeit zu spielen.
Es war großartig! Unsere Wangen und Ohren glühten, weil wir tagsüber ohne Helm und Mütze durch die klirrende Kälte die Hänge runtergerast waren – und abends von der bollernden Ofenwärme in der völlig überheizten Stube. Wir waren hundemüde von der Überdosis frischer Bergluft, spielten aber, bis uns die obstlerseeligen Großen endlich ins Bett kommandierten. Noch im Türrahmen schubsten wir den Sieger des Abends vor uns her und forderten die Revanche am nächsten Abend ein, wohl wissend, dass das Glück der guten Karten vergänglich ist.
M: An solche Abende beim Skifahren erinnere ich mich auch. Als Kinder spielten wir Mau Mau oder Kniffel, als Erwachsene Rommé oder – wenn bayerische Freunden dabei waren – Wattn, kennst du das? Kann süchtig machen (wie fast alle Spiele). Das spielt man mit einem Deutschen Blatt und zu viert, allerdings weiß man, im Gegensatz zum Doppelkopf, von Anfang an, wer mit wem im Team ist. Weil man ja aber die Karten des Partners nicht kennt, versucht man, durch Mimik und Gestik dem Gegenüber zu signalisieren, was man auf der Hand hat; das sollte natürlich möglichst unauffällig geschehen, was allerdings nicht jedem oder jeder gelingt. Und wenn die ungeübteren Spieler die vereinbarten Zeichen vergessen oder verwechseln, gibt es von den Profis lautstarken Protest, was manchmal lustig ist und manchmal weniger.
Als ich 14, 15 war, haben wir in jeder Pause und jeder Freistunde in der Kneipe gleich neben unserer Schule gewattet, manchmal sogar deswegen die nächste Stunde geschwänzt, weil wir nicht aufhören konnten. Ich hab das allerdings ewig nicht mehr gespielt, hätte aber große Lust darauf. Ob ich es noch kann?
A: Na klar! Dann haben wir ein neues Spiel für unseren nächsten Spieleabend! Auch wenn mir das Berliner Bild (das wohl die französischen Farben verwendet) viel näher ist als das bayerische Blatt mit Eichel, Grün, Schellen und Herz. Aber so lange wir nicht mit dem fränkischen, württembergischen oder gar sächsischen Blatt spielen müssen, bin ich dabei. Ich hätte mich auch vermutlich niemals in den Herzbuben verliebt, wenn ich den als „Unter“ (wie im bayerischen Blatt) kennengelernt hätte. Aber auch auf dem Preußischen Blatt entdecke ich zu den arg uniformierten Königen diese „Unter“ (wie ist da der Plural?) – und zu meinem Entsetzen auch noch das Hermanns-Denkmal und die Wartburg. Herrje… Also ich bin für ein halbwegs neutrales Blatt, sonst diskutieren wir womöglich schon vor dem Austeilen mit unserem türkisch-deutschen und unserem Ur-Schwabinger-Mitspieler über die Preußen, die Bayern und die Deutschen an sich. Und das endet dann im schlimmsten Fall wie bei meinen Eltern vor vielen Jahren.
M: Ich finde es ja immer total spannend, wenn ich mit jemandem, den ich schon länger kenne, zum ersten Mal spiele. Zu welcher Spieler-Kategorie gehört er oder sie? Bei mir sehr unbeliebt sind die Tritschler, auf die man ständig warten muss, weil sie nie wissen, wann sie dran sind und jedes Mal nachfragen, wer gerade was gespielt hat; da stockt dann immer der Spiel-Fluss. Sehr gerne hingegen mag ich die fixen und konzentrierten Spieler, die ihr Blatt und den Spielverlauf im Blick haben und – sehr wichtig! – nicht so viel reden. Daran kannst du erkennen (was du natürlich längst weißt): Eine gewisse Ernsthaftigkeit gehört für mich zum Spielen dazu! Klar soll es in erster Linie Spaß machen, aber den hab ich persönlich eben nicht, wenn es nicht zügig vorangeht.
Ganz schlimm wird es für mich, wenn während des Spielens viel getrunken wird und eine Partie von Was-auch-immer in Chaos ausufert; Karten fallen herunter, Gläser kippen um, Spielregeln werden kurzerhand außer Kraft gesetzt. Ich muss dann sehr an mich halten, die Runde nicht vorzeitig zu verlassen und als ultimativer Spielverderber zu gelten.
A: Ich steh auf Kriegsfuß mit den Bescheißern! Wobei es da zwei Kategorien gibt: Die witzigen und eben die nervigen. Mit letzteren spiele ich in der Regel nur ein Mal, mit den witzigen aber gern immer wieder. Der Münchner Opa war bei uns schwer in Verdacht, die Buben beim Kniffeln und vor allem beim Boggeln zu bescheißen. Da gingen dann plötzlich bayerische Wörter wie „Oachkatzl“, „Gspusi“ und „überstandig“ durch.
Aber sie wussten sich zu wehren und konterten mit „Pölter“ und später mit „Nerd“ oder „Flatrate“. Überhaupt war der Opa ein leidenschaftlicher Spieler und knabberte sich dabei durch zahlreiche Packerl von Schokowaffeln, Breznstangerl, Nüssen und allem, was der Vorratsschrank so hergab. Sein Knabberzeugs teilte er großherzig, hätte aber niemals aus Mitleid mit seinen Mitspielern verloren, egal wie jung sie waren. Das war eine harte Schule, dafür konnten die Jungs immer hoch erhobenen Hauptes das Spielfeld verlassen – wohl wissend, dass ihnen nichts geschenkt wurde – denn ein Sieg gegen Opa München kam einer Heldentat gleich.
M: Dass man absichtlich verliert, um Kindern ein Erfolgserlebnis zu verschaffen, ist meiner Meinung nach eine weit verbreitete Unsitte. Ich erinnere mich an ein Fußballspiel an unserer Grundschule (damals noch auf dem Land), bei dem Erwachsene und Kinder zusammenspielten. Die Männer wurden dabei regelmäßig streng ermahnt, möglichst schlecht zu kicken, dafür aber auch noch die luschigsten Bälle der kleinen Jungs ins Tor zu lassen, damit die gewinnen konnten. Ich hatte schon damals den Verdacht, dass die Kinder dieses Manöver durchschauten und so um die echte Siegesfreude gebracht wurden. Und der erwachsene Torwart, der sich in Zeitlupe in die falsche Ecke werfen musste, um den Ball zu verpassen, tat mir leid.
Auch bei den Spielerunden in unserer Familie wurde kaum Pardon gegeben, ein Mitleidssieg war nicht drin. Natürlich gab es Gezeter und Tränen, wenn einer von uns beim Mensch-ärgere-dich-nicht kurz vor dem Sieg zum x-ten Mal rausgeschmissen wurde und von vorne anfangen musste, aber das gehörte irgendwie dazu.
Was das Bescheißen betrifft, so haben wir das als Kinder natürlich auch alle mal versucht, sind aber fast immer gescheitert. Erstens wachten unsere Mitspieler mit Argusaugen über jeden Spielzug, und zweitens konnten wir uns, wenn es dann doch mal geklappt hatte, ein triumphierendes Grinsen einfach nicht verkneifen. Und wurden prompt überführt.
A: Ich hab leider auch kein Pokerface, kann aber zumindest bluffen, ohne gleich hochrot anzulaufen. Einer meiner älteren Brüder ging als Jugendlicher heimlich zum Pokern und kam immer mit mehr Geld nach Hause, als er eingesteckt hatte. Ich war voller Bewunderung für ihn und stellte mir diese Pokerabende als konspirative Sitzungen mit eingeschworener Gemeinde vor. Wenn ich zu Wahlkampfzeiten an Sonntagen in aller Herrgottsfrühe die Werbemittel für den Wahlkreis meines Vaters in die Briefkästen werfen musste, kam ich regelmäßig an dem Haus vorbei, in dem ich diese Pokernächte im Keller vermutete und hab meinen Freunden dann voller Stolz erzählt, dass ich den Sitz der Lasterhöhle kannte. Diese etwas anrüchigen – und von den Eltern eigentlich verbotenen Spiele – zogen mich magisch an und waren natürlich cooler als Cluedo oder Sagaland. Von letzteren gibt es aber inzwischen zahlreiche Kopien, die diese Klassiker mit neuem Design wieder auflegen. Da bleib ich dann lieber bei den Originalen. Und beim Doppelkopf unbedingt beim französischen Blatt!
M: Da du so von Doppelkopf schwärmst, sollten wir das bei unserem nächsten Spieleabend mal ausprobieren! Ich fürchte allerdings, du wirst Geduld brauchen, uns die Regeln zu erklären – ganz unkompliziert scheint mir das nicht zu sein. Bei Google lese ich, es sei dem Schafkopfspiel ähnlich, das flößt mir schon mal Respekt ein, denn – so hat mir zumindest eine erfahrene Schafkopfspielerin erklärt – es käme dabei sehr darauf an, während des Spiels laufend die Punkte mitzuzählen, und das ist, glaube ich, nicht unbedingt meine Stärke. Aber probieren können wir es auf jeden Fall – neue Spiele lerne ich ja immer gern!