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Hilfe! Ich mach das auch so…

A: Manchmal trifft es mich wie ein Blitz. Ein anderes Mal schleicht sich dieses irgendwie vertraute Gefühl erst von hinten an. Das Ergebnis ist dasselbe: Ich ertappe mich dabei, etwas genauso zu machen wie meine Mutter. Dann rauscht eine Bilderflut durch meinen Kopf. Ab und zu ist es auch ein Standbild, das sich vor meinem inneren Auge aufbaut und einfach nicht von der Stelle weicht.
Gestern hing ich kopfüber über der Wanne. In der rechten Hand den Brausekopf, mit der ich den butterweichen Conditioner aus meinen Haaren spülte, die linke rubbelte über die Kopfhaut. Und exakt in dem Moment, in dem mir der Schmerz ob dieser wirklich saublöden Haltung in den unteren Rücken schoss, sah ich das Bild meiner Mutter, die über unserer alten Badewanne in der gleichen rückenschädigenden Haltung hing und ihre Haare wusch. Die Wanne im Erdgeschoss meines Elternhauses ist mittlerweile einer hochmodernen Dusche gewichen und meine Mama wäscht sich die Haare über dem Waschbecken. Da kann man zumindest die Beine tiefer beugen und die Haltung ist nicht ganz so desaströs. Aber warum waschen wir beide uns eigentlich die Haare über der Badewanne respektive dem Waschbecken, wenn alle anderen das aufrecht stehend unter der Dusche tun?

M: In meiner Kindheit haben wir uns die Haare auch über der Badewanne gewaschen, denn eine Dusche gab es nicht. Als eine verfügbar war, bin ich allerdings sofort umgestiegen, mir war das Knien vor der Wanne zu unbequem, außerdem hatte ich immer das Gefühl, in den Haaren, besonders in dem nach vorne hängenden Teil davon, bliebe ein Rest von Shampoo kleben.
Aber ich kenne das Gefühl natürlich auch, dieses plötzliche Innehalten und sogar Erschrecken, wenn ich merke, ich mache etwas genau so wie meine Mutter. Neulich sah ich ein Foto von mir am Klavier, und mir fiel auf, dass ich bei großer Konzentration die Augen zusammenkneife und die Unterlippe vorschiebe, so wie sie es getan hat. Sieht nicht schön aus, ganz nebenbei. Aber kann ich mir das noch abgewöhnen?
Überhaupt habe ich den Eindruck, ich werde ihr im Lauf der Jahre immer ähnlicher, nicht nur äußerlich (das allerdings auch!). Diese Ungeduld bei Alltagsdingen zum Beispiel, die habe ich eindeutig von ihr. Ich weiß noch, wie sie einmal versuchte, einen Faden durch ein Nadelöhr zu bringen und wütend fluchte, als es nach drei Versuchen nicht gelang – mache ich auch! Und als ich damals anbot, ihr zu helfen – meine Augen waren schließlich jünger und besser – die unwirsche Ansage: Ich krieg das schon hin, wär doch gelacht!

A: In der Lerntheorie von Bandura nennt sich das dann „Lernen am Modell“. Ich frage mich nur, warum sich diese abgeschauten Angewohnheiten so hartnäckig halten?
Meine Mutter könnte die Kopfüber-Haarwäsche nämlich vermutlich gut begründen: Sie mag kein Wasser im Gesicht, sie taucht auch nie mit dem Kopf unter beim Schwimmen. Ich krieg vom Kopf-Aus-Dem-Wasser-Halten furchtbar Nackenstarre und liebe es, wie ein Fisch durchs Wasser zu gleiten. Zumindest im See oder im Meer. In den städtischen Bädern denke ich schon manchmal darüber nach, wie viele Kinder da schon reingepinkelt haben und wie viel Chlor sich durch meine Mundhöhle spült. Der Grund, weswegen meine Mutter ihre Haare nicht unter der Dusche wäscht, greift bei mir also nicht und ist schon gar nicht zwingend. Trotzdem hab ich es mir abgeschaut, obwohl ich es LIEBE, wenn mir jemand warmes Wasser vom Haaransatz aus über den Kopf laufen lässt. Das ist bei mir mit diesem Bild von Meryl Streeps Kopf verknüpft, den sie voller Hingabe in den Nacken legt, als Robert Redford ihr in „Out of Africa“ mit einem Porzellankrug voller Wasser die Haare auswäscht. Und ich frage mich jetzt ernsthaft: Wie frei sind wir eigentlich in dem, was wir tun? Was macht uns zu dem, wer wir sind? Welche Muster hinterfragen wir nie und warum? Und bestimmen Gewohnheiten einen großen Teil von uns?

M: Wir lernen ja, vor allem als Babies und Kleinkinder, vor allem durch Nachahmung. Vielleicht rührt daher dein Festhalten am Haarewaschen an der Badewanne, du hast es halt gar nicht anders kennengelernt, zumindest als Kind nicht. Ist ja eigentlich auch kein Problem, außer für deinen Rücken. Schlimmer sind Angewohnheiten oder Verhaltensweisen, die wir uns abgucken von unseren Eltern, und die wir zwar als falsch erkannt haben, aber einfach nicht ablegen können. Ich vermute beispielsweise, dass ich meine Anfälle von Jähzorn von meinem Vater „geerbt“ habe, bei dem mich das übrigens schon sehr genervt hat. Mittlerweile habe ich, wenn auch mühsam, gelernt, mich zu beherrschen, aber es gibt immer wieder Momente, in denen ich kurz ausraste; meistens aus so total unwichtigen Gründen wie dem Buchen eines Bahntickets. Da kann ich mich über den unübersichtlichen Aufbau einer Website wirklich aufregen, obwohl ich gleichzeitig weiß, wie bescheuert und sinnlos das ist. Aber vielleicht habe ich mir diese nervige Eigenschaft gar nicht von meinem Vater abgeschaut, sondern sie ist in meiner DNA festgeschrieben?
Was bringt ein Mensch schon so alles mit bei seiner Geburt und was erwirbt er im Lauf seines Leben im sozialen Umgang, diese Frage finde ich total interessant. Auch und vielleicht gerade weil es darauf keine endgültige Antwort gibt.

A: Ich bilde mir ein, bei diversen auffälligen Parallelen mit meiner Mutter durch reine Selbstbeobachtung und Reflexion zumindest ansatzweise unterscheiden zu können, ob ich mir Verhaltensweisen abgeschaut habe oder ob sie ein genetisches Mitbringsel sind. In meiner DNA fest verankert ist mit Sicherheit mein Bedürfnis, warm um Hals und Dekolleté zu sein. Im Winter wirst du mich nicht ohne Halstücher und Schals sehen, von denen ich mehr als genug habe. Und ich verschenke sie an meine Mutter, die ich im Winter auch nicht ohne wärmenden Stoff um diese Region kenne.
Dagegen ist unsere abgöttische Liebe zu Hunden vermutlich nicht genetisch bedingt, sondern schlicht abgeschaut: Alle Frauen in unserer Familie sind hundeverrückt – selbst die in den USA. Wir reden auch ANDAUERND über Köter – über ihre unbändige Freude und das alberne Hintern-Wackeln, ihre Art zu laufen und immer wieder darüber, wie sie uns anschauen. Wir lachen über ihre Ticks, ihr wohliges Grunzen und ihre Lefzen, die schwabblig nach unten fallen, wenn sie auf dem Rücken liegen. Die Geburtstagskarten meiner Mutter (meine noch nicht!!!) haben IMMER ein Hundemotiv und bringen mich immer zum Lachen. Wahrscheinlich buchen wir uns irgendwann mal auf einer Hundefarm ein, was für uns gleichbedeutend mit einem Wellness-Wochenende ist, zu dem man uns beide in diesem Leben wiederum definitiv nicht mehr überreden kann.

M: Meine Mutter mochte Hunde auch, verweigerte aber die Anschaffung, weil sie – zur Recht! – vermutete und es bei ihren Freundinnen bestätigt sah, dass die Hauptarbeit mit so einem Tier an ihr hängenbleiben würde. Dafür erlaubte sie uns, alles mögliche andere Viechzeug zu halten, wir hatten als Kinder Katzen, Hamster, Mäuse, Kaninchen, Kanarienvögel, Wellensittiche und Schildkröten, nur, wie gesagt, keinen Hund. Ob es daran liegt, dass nur zwei von uns sich als Erwachsene einen angeschafft haben?
Was ich definitiv von ihr abgeschaut habe: Schnell zu reden (manchmal kam das Denken dabei etwas kurz!), schnell zu arbeiten (und vor lauter Hektik dabei leider auch Fehler zu machen), zu singen, ohne es zu merken, ein Gespräch mit wildfremden Leuten anzufangen (was mir als Kind bei ihr oft peinlich war – jetzt mach ich es selber!), schlecht stillsitzen zu können (so wie sie muss auch ich immerzu irgendwie und irgendwo herumwurschteln). Eine gewisse Sturheit hat sie mir vermutlich auch mitgegeben. Und ein generelles Interesse an Menschen und ihren Schicksalen. Wenn wir zusammen ins Kino wollten und gemeinsam einen Film aussuchten, waren wir uns immer schnell einig: Horror und Science Fiction fielen gleich aus, Krimis kamen nur bedingt infrage, ebenso wie Liebesfilme. Dafür liebten wir Dramen, vorzugsweise von der Sorte, die meine Kinder „artsy fartsy“ nennen. Sie mussten uns bewegen, aufwühlen, wütend machen oder auch traurig – Hauptsache, sie lösten etwas in uns aus und waren nicht nur pures Entertainment.

A: Andere Viecher – von fellig bis zu fedrig – gab es auch in meiner Kindheit. Bemerkenswert war aber vor allem, dass meine Mutter mit allen Tieren rund um Haus und Hof sprach und spricht. Dagobert, unser erster Wellensittich, gab die am häufigsten wiederholten Sätze von ihr dann irgendwann selbst zum Besten. Am beliebtesten war bei ihm „Haust du ab!“ – damit waren unter anderem die Nachbarrüden gemeint, die sich schon im Morgengrauen vor unserem Haus postierten, um schmachtend unserer läufigen Hündin Senta die Aufwartung zu machen. Ich erwische mich heutzutage mehrmals täglich dabei, mit unserem Hund zu reden (selbst, wenn er nicht da ist!); manchmal fürchte ich sogar, mehr mit ihm zu reden als mit den anderen Familienmitgliedern…
Zudem brennen bei mir fast ausschließlich Stand- oder Stehlampen, die jeden Raum zwar nicht voll ausleuchten, aber in ein warmes Licht tauchen. Wenn ich dann in diesem Schummerlicht etwas suche und natürlich nicht finde, muss ich unweigerlich an meine Mutter denken, die es genauso macht, was bei meinem Vater und den Männern um mich herum jedes Mal ein fassungsloses Kopfschütteln auslöst und ein demonstratives Anknipsen des Lichtschalters, der das ungemütliche grelle Deckenlicht aktiviert.
Und erst kürzlich fiel mir auf, dass ich das – mir jahrelang verhasste! – obligatorische Frühstück meiner Eltern seit 50 Jahren (warme Haferflocken mit Milch, Rosinen und etwas Zucker) unbewusst kopiert habe. Bei mir heißt es nur Porridge und ich nehme heißes Wasser und Joghurt statt Milch.

M: Was Essen betrifft, habe ich nicht sonderlich viel Ähnlichkeit mit meinen Eltern. Meine Mutter kochte nicht besonders gern, was vermutlich daran lag, dass sie wirklich jeden Tag Mahlzeiten für mindestens 8-10 Personen auf den Tisch bringen musste – und natürlich gab es immer einen oder eine, dem oder der es nicht schmeckte. Meine große Schwester mochte keine Eier, die andere keine Zwiebeln, für meinen Vater war ein Essen ohne Fleisch keine richtige Mahlzeit, es war also schwer für sie, es allen recht zu machen. Und sie hatte das Kochen in der Nachkriegszeit gelernt, wo es viele Dinge einfach nicht gab, Butter und Sahne waren zum Beispiel Mangelware. Deshalb kochte sie Gemüse meistens in der von mir verhassten Mehlschwitze; außerdem hatte es für meinen Geschmack viel zu wenig Biss.
Ich hingegen mag es zu kochen und ich probiere immer wieder neue Rezepte aus, gerne auch exotische. Als meine Mutter einmal im Herbst bei uns zu Besuch war, hab ich eine Kürbissuppe gemacht, die kam damals gerade in Mode, dass muss so Anfang der 90-er Jahre gewesen sein. Meine Mutter wollte nichts davon haben, Kürbis habe sie im Krieg mehr als genug gegessen, den könne sie nicht mehr sehen. Ich ließ sie wenigstens einen Löffel probieren, und es schmeckte ihr zu ihrem eigenen Erstaunen sehr! Nachkochen wollte sie die Suppe aber nicht, die Zutaten – u.a. Ingwer, Kokosmilch, Knoblauch und obendrauf noch Parmesan – waren ihr zu ungewohnt. Experimentierfreudig war sie in der Küche nicht, das hab ich definitiv nicht von ihr übernommen. Und wenn ich in das Buch mit meinen eigenen Rezepten schaue, finde ich kaum eins, das von ihr stammt – bis auf Kuchen und Weihnachtsplätzchen.

A: Plätzchen hat meine Mutter nie gebacken – dafür fehlte schlicht die Zeit mit drei Kindern, Hund, Haus, ihrer Berufstätigkeit, Kirchenchor und Kursen, die sie abends noch bei der Volkshochschule gab. Ihre Eierlikörtorte steht aber seit Jahrzehnten an Heiligabend auf dem Kaffeetisch (kein Weihnachten ohne diese Torte!) – und obwohl ICH die seit Jahren backe, ist und bleibt es ihre. Ähnlich geht es mir mit ihrem Nudelauflauf, der einen festen Platz als Geht-Immer-Rezept in meinem eigenen Leben und dem der Buben hat. Bei einem nostalgischen Rückblick der Jungs zu den Lieblingsgerichten ihrer Kindheit, ist es aber immer meine Mutter, bei der sie diesen köstlichen Nudelauflauf gegessen haben, dabei gibts den in den letzten zehn Jahren ausschließlich bei mir!
Die Glanzstücke meiner Mutter bleiben aber wohl auf ewig mit ihr verbunden – sie hat sozusagen das Urheberrecht. Bei den – sagen wir mal – skurrilen Angewohnheiten, die ich mir abgeschaut habe, sieht das schon anders aus. Da heißt es dann: Machst du das jetzt auch so wie Omma? Kosmetiktücher am Waschbecken liegen lassen? Kaffee mit der Hand aufgießen? Familienromane lesen? In der Wange dieses Schnalzgeräusch machen, um den Hund zu ärgern? Und immer wieder: Einfach so rumsummen? Echt jetzt?
Vermutlich werde ich eines Tages auch schlecht hören. Nicht, weil ich schwerhörig bin, sondern weil ich einfach nicht alles hören will. Das wird meiner Mutter nämlich auch nachgesagt…


Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Petra Bombeck

    Was fuer ein neuer schoener Blog/Article. Danke ihr beiden….wunderbar, kurzweilig und schoene Erinnerungen ausloesend. Und man ist immer so frei wie sich man fuehlt ♥️

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