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Summer in the city

M: In meinen jungen Jahren bin ich prinzipiell niemals im August in den Urlaub gefahren. Juni, Juli, September, alles okay, aber niemals im August, denn dieser Monat war für mich der schönste im ganzen Jahr. Mit dem Beginn der Sommerferien hat sich das Leben in der Stadt schlagartig entschleunigt und entspannt: Die Busse und Trambahnen waren plötzlich so angenehm leer wie die Straßen, in meinem Lieblingsbiergarten am Chinaturm konnte man sich die Sitzplätze aussuchen, im Schwimmbad am Morgen hatte ich die ganze Bahn für mich, es gab jede Menge Parkplätze, Einkaufen war relaxt wie nie. Die etwas längeren Wege hab ich dabei gern in Kauf genommen, denn besonders die kleinen Läden – Schuster, Drogerie, Obst und Gemüse – hatten fast allesamt geschlossen, „wir machen Urlaub!“ Ach, es war einfach herrlich! Zu keiner anderen Zeit hat es sich so angenehm gelebt wie im August, denn auch der Mail-Posteingang blieb weitgehend leer und berufliche Anrufe waren sehr selten – waren ja fast alle in der Ferien!
Als meine Kinder in die Schule kamen, war es dann leider vorbei mit dem Sommer in der Stadt, dann sind wir, wie alle anderen auch, Anfang August in den Süden aufgebrochen. Jetzt aber kann ich ihn wieder genießen, diesen einen wunderbaren Monat! Und dann ich dabei wieder wie früher bei meinen Lieblingsläden vor verschlossener Tür stehe, stört mich gar nicht.

A: Unser Schmuddelbäcker ums Eck hat drei Wochen zu! Eine Zumutung, sagt der Mann. Selbst zu akuten Corona-Zeiten haben die das durchgezogen – die systemrelevanten Läden mussten ja nix wiederreinarbeiten. Aber auch alteingesessene Traditions-Lokale, ein Familien-Grieche an der Nordendstraße und ein Uralt-Italiener (seit 1970!) an der Leopold sind im August komplett zu – die Inhaber und das gesamte Personal verbringen den Sommer in ihrer Heimat und das ist gut so. Wer durch Abwesenheit glänzt, macht sich interessant, sagt meine Mama immer.
Die Radwege werden nicht durch SUV-Lastenräder verstopft und an der Isar findet man sogar ein Schattenplätzchen. Da lag ich gestern mit einer Freundin. Wir haben herrlich kühle Mate-Tee-Mix-Getränke unsere Kehlen runtergluckern lassen und haben uns in der wilden Isar Richtung Reichenbachbrücke treiben lassen. Rausgeklettert sind wir auf allen Vieren, haben uns lachend auf die Handtücher plumpsen lassen und in den strahlend blauen Himmel geschaut. August in München. Großartig.

M: Was die Lastenräder betrifft, muss ich dir leider widersprechen; zumindest bei uns im Viertel sind die nicht weniger geworden seit Beginn der Ferien, eher mehr. Was wahrscheinlich daran liegt, dass die Besitzer derselben in ihren ausladenden Gefährten kleine Kinder transportieren, die noch nicht in die Schule müssen und die deshalb in der Vor-, Neben- oder Nachsaison verreisen, wenn alles leerer und vor allem günstiger ist. Ansonsten aber gebe ich dir komplett und in allem recht! Und ich gönne allen Ladenbesitzern diese Sommerpause.
Euer Schmuddelbäcker stellt übrigens mal wieder die Ausnahme dar, denn die Bäckereien in unserer Ecke – im Umkreis von 300 Metern ganze 9 an der Zahl! – haben alle tapfer geöffnet, ebenso der Supermarkt; wir können also nicht verhungern. Dass wir momentan keine Schuhe besohlen lassen oder Knöpfe kaufen oder den allernächsten Obststand ansteuern können, ist ja kein Weltuntergang.  Und schönen Gruß an den Mann: Vielleicht bietet der August mal die Möglichkeit, Wirtschaftswissenschaften zu betreiben und ein paar bis jetzt unbekannte Lokale auszuprobieren? Ganz nebenbei gefragt: Welchen Italiener auf der Leo gibt es seit 1970??? Der älteste mir bekannte in Schwabing existiert immerhin schon seit 1966…

A: Das kann nur „Bei Mario dal 1966“ sein! Der verkündet auf seiner Website: „…wir haben von 15.08. bis 06.09. Betriebsferien. Allen eine gute Zeit e a presto!“ In den Siebzigern war das dann vermutlich ein simpler Zettel an der Tür – so wie beim Bäcker. Im „Italy dal 1970“ waren wir letztens zum allerersten Mal, nachdem der Mann das Restaurant auf dem Schulweg jahrzehntelang links oder rechts liegen gelassen hat. In diesen alten italienischen Lokalen steckt immer noch der Geist der Siebziger, was die Gerichte, das Interieur und teilweise auch die Preise betrifft. Ich mag das sehr – es ist eine beruhigende Konstante im Meer der Veränderungen und des Hip-Sein-Wollens. Weil diese Lokale anscheinend keinen Trends hinterherlaufen müssen, immer schon vintage waren und sich einfach bräsig darauf ausruhen. Vermutlich weiß auch jeder, der schon mal da war, dass die im August einfach zu Hause in Bella Italia sind.

M: Die einzigen italienischen Läden, die zuverlässig im August geöffnet haben, sind die Eisdielen, die seit Wochen – oder besser gesagt: Monaten – super Umsätze machen. Bei unserem „Venezia“ hier um die Ecke herrscht jedenfalls von 10 Uhr morgens an Hochbetrieb bis spät in die Nacht. Sämtliche Tische sind besetzt, hinter der Theke wird in bewundernswertem Tempo gerödelt, trotzdem wird die Schlange davor lang und länger. Das liegt sicher auch daran, dass die Preise noch halbwegs zivil sind, ganz im Gegensatz zur edlen „Eis-Manufaktur“ ein paar Straßen weiter, die mittlerweile 2,50 Euro pro Kugel nimmt, was ich echt sportlich finde.
Wenn im September die italienischen Lokale alle wieder öffnen, haben die Leute aus unserer Eisdiele schon das Saisonende im Blick, denn ab November befindet sich in ihren Räumlichkeiten ein Lebkuchen-Verkauf. Sie verpassen also den Sommer daheim, können dafür aber Weihnachten mit der famiglia feiern.

A: Wir sind viel zu lang an der wunderbaren Eisdiele Yole Gelato vorbeigeradelt, die direkt bei uns ums Eck am Wedekindplatz liegt. Erst ein Artikel über die kulinarischen Vorlieben des jetzigen Inhabers der Kultkneipe „Schwabinger 7“ hat uns gestern die Türschwelle zu Yole (so heißt die Inhaberin) übertreten lassen. Hier wird gern viel zu schnell Italienisch gebabbelt, auf den Außenplätzen mit Brunnen und krummer Laterne fühlt man sich wie auf einer italienischen Piazza, es gibt guten Cappuccino, schlichtes Cornetto Crema, Cannolo Siciliano und mein geliebtes Affogato al caffè. Dazu ungewöhnliche Eissorten wie Traube, Sesam und Salted Caramel. Die Preise sind moderat und die Menschen hinter der Auslage unaufgeregt fröhlich.
Ich liebe diese lauen August-Sommerabende und lass mich gern mit dem Radl durch die Stadt treiben. Letztens haben wir am Bahnhof ein kühles Helles gekauft, mit dem wir weiter zur Hackerbrücke geradelt sind. Wenn man erstmal das Geländer der Bogenbrücke aus dem 19. Jahrhundert etwas halsbrecherisch hochgeklettert ist, sitzt man hier wie in einem privaten schmiedeeisernen Fensterrahmen über den 32 Bahngleisen, die sich aus dem Hauptbahnhof rein- & rausschlängeln und kann die Beine baumeln lassen. Der weite Blick über die Schienen zum Horizont in den Sonnenuntergang taucht alles rundherum in ein warm-oranges Licht. Es ist friedlich und sogar ein bisschen magisch an diesem sonst so rummeligen Platz.

M: Ein paar neue Läden habe ich in diesem August auch entdeckt, zum Beispiel ein kleines italienisches Lokal mit sehr nettem Besitzer, das versteckt in einem Hinterhof liegt und an dem ich bestimmt schon hundert Mal vorbeigelaufen bin. Oder ein französisches Bistro mit kleinen Gerichten, wo es Moules et frites gibt und so spezielle Sachen wie gebratene Blutwurst (wovor es allerdings meine Begleiter grauste). Leider war die Bedienung unfreundlich, das wird mich von einem zweiten Besuch für längere Zeit abhalten.
Inzwischen stelle ich fest: Die Stadt füllt sich wieder, man merkt deutlich, dass in 10 Tagen die Schule wieder anfängt. Das erkenne ich zum Beispiel daran, dass braun gebrannte, aber erschöpfte Mütter und Väter Berge von Gepäck aus versandelten Autos laden und ins Haus schleppen, und an den nur noch wenigen freien Parkplätzen;  vor drei, vier Wochen sah das noch ganz anders aus.  Der Sommer geht definitiv auf sein Ende zu…

A: Die Yogastudios füllen sich auch langsam wieder. Und im Kaufhof am Rotkreuzplatz traf ich auf erste Mutter-Kind-Geschwader, die in der Schreibwarenabteilung wild diskutierend nach neuen Heften suchten. Ich brauchte nur ein simples Vokabelheft für meinen bald beginnenden Italienischkurs und war völlig verloren in der Angebots-Flut. Der Zauber eines neuen Schuljahres steckt für mich in diesen Heften – er verflog nur leider immer viel zu schnell. Vom Sommer Abschied zu nehmen, fällt mir schwer. Weil er bei mir gern länger dauern darf, auch wenn ich allen Jahreszeiten etwas abgewinnen kann. Dieses Sich-Treiben-Lassen, weil der Tag beinah endlos ist und dabei das zu entdecken, was man mit hochgeschlagenem Mantelkragen bei Regen und Wind nicht wahrnimmt, macht den Sommer seit meiner Kindheit aus. Die geschäftigen Bienen auf jeder Blüte, die geheimen Verstecke im Unterholz, der Saft von einem reifen Pfirsich, der mir das Kinn runterläuft, weil ich unbedingt mit diesem flaumigen Etwas im Mund Seilchen springen musste. Heute sind es spontane Verabredungen auf einen Drink im Biergarten oder an der Isar, das Herumlungern auf einer Picknickdecke im Englischen Garten mit Blick in das endlose Blau des Himmels oder freihändig Radl fahren.

M: So sehr ich den Sommer auch liebe, jetzt freu ich mich auch auf den (hoffentlich schönen und langen!) Herbst! Den mag ich nämlich auch sehr: Die herrlichen Farben der Bäume im Englischen Garten, von gelb bis dunkelrot, die wunderbar frische Luft, die Kastanien, die einem vor die Füße ploppen, die unter den Schuhen raschelnden Blätter, die satte goldene Färbung des Lichts morgens und abends, an der ich mich nicht sattsehen kann…  Ich liebe eigentlich alle Jahreszeiten, aber Herbst und auch Frühling schon noch mal ganz besonders!
Ein bisschen Mitleid hab ich aber mit den Kindern, die ab kommende Woche wieder die Schulbank drücken müssen. Ich hab mich früher immer auf den ersten Schultag gefreut, weil ich da endlich alle meine Freunde und Freundinnen wiedersehen konnte, aber nach spätestens zwei, drei Tagen hab ich mich schon wieder heftig in die Ferien mit all ihren Freiheiten zurückgesehnt. Aber der Horror vor der Schule ist wieder ein anderes Kapitel…

 

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