Dieses Jahr fallen die Wünsche zum neuen Jahr recht bescheiden aus. Die Erwartungen sind nach den letzten drei Jahren deutlich runtergeschraubt und viele meiner Freund*innen scheinen froh zu sein, dass das Leben einfach weiter geht. Kleine Ziele werden allerhöchstens angedeutet, die großen Visionen und Zukunftspläne sind im Nirwana verschwunden. Auf Social Media bedanken sich die Menschen für die guten Tage in 2022, aber auch für alle schlechten und traurigen Erfahrungen, die sie machen durften, um irgendwas für die Zukunft davon mitzunehmen. Diese alles umfassende Dankbarkeit verhindert jedes Aufkeimen einer Enttäuschung schon im Vorfeld, tiefe Stimmungstäler werden so gar nicht durchlebt und es macht sich eine Art Zweckoptimismus breit. Als Yogapraktizierende suche und finde ich ja schon mal diese goldene Mitte, diese innere Balance zwischen den großen Emotionen, die mich immer wieder durchwirbeln, aber wenn jetzt alle immer so drauf sind, empfinde ich das doch als recht bedrückend, wenn ich ehrlich bin.
M: Deine Beobachtungen kann ich diesmal so gar nicht teilen. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis kann ich die von dir zitierte Bescheidenheit nicht entdecken, im Gegenteil, ich höre von jeder Menge toller und auch großer Pläne für die nächste Zeit: Umzüge ins Ausland, neue Geschäftsideen, Wechsel aus ungeliebten Jobs, kreative Projekte… Mit dem Jahreswechsel haben all diese Ideen und Projekte allerdings nichts zu tun, sie schwelen meiner Beobachtung nach schon länger.
Und was die „alles umfassende Dankbarkeit“ betrifft: Auch die kann ich nicht feststellen, was vielleicht daran liegt, dass ich auf Social Media wenig unterwegs bin. Klar nehmen alle in meinem Umfeld wahr, wie gut es uns hier trotz aller Widrigkeiten geht, aber diese Dankbarkeit hindert meiner Beobachtung nach niemanden daran, seine Pläne und Wünsche herunterzuschrauben. Auch mich nicht, ganz nebenbei. Und für schlechte und traurige Erfahrungen bin ich auch nicht dankbar, das ist mir zu esoterisch. Ich nehme sie halt hin, weil sie zum Leben dazu gehören, und fertig.
A: Na das klingt ja ganz anders! Vielleicht sollte ich mich öfter in deinen Bekanntenkreis einladen! Oder das Jahr einfach mal ein paar Tage älter werden lassen.
Auf der anderen Seite kann ich aber auch nachvollziehen, dass einige Menschen im Moment den Ball etwas flacher halten, weil Umstände wie Corona, der Krieg in Europa oder die Inflation sie in irgendeiner Form in Bedrängnis gebracht haben. Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir, dass ich häufig dann über meinen Schatten springe, wenn es die Komfortzone, in der ich mich propper eingerichtet habe, nicht mehr gibt. Und so gingen rückblickend meine größeren persönlichen Entwicklungsschritte auch eher mit einer Krise einher und nicht mit einem Erfolg nach dem anderen. Vielleicht weil ich dann unter einem gewissen Druck klarere Entscheidungen treffen musste. Und dafür bin ich auf jeden Fall dankbar – allerdings auch erst im Nachhinein.
M: Ich habe gerade einen Artikel gelesen über die Wünsche der Menschen für das gerade angefangene Jahr. Nicht überraschend: Vor den immer wieder auftauchenden Hoffnungen auf Glück und Gesundheit für Familie und Freunde steht auf Platz eins „Frieden“. Auch das nicht überraschend, wer von uns würde das nicht unterschreiben? Mich beschleicht aber immer wieder der Verdacht, dass hinter diesem Begehren etwas anderes steckt, nämlich der Wunsch, unser Leben möge wieder so werden wie es 2019 war, vor Corona und vor allem vor dem Beginn des russischen Krieges und mit all seinen Auswirkungen. Dabei ist uns vermutlich insgeheim bewusst, dass es nie wieder so sein wird. Dass dieser Gedanke verunsichert, versteh ich total, geht mir auch so. Auf der anderen Seite bin ich schon auch neugierig darauf, was kommt, wie sich unser Leben verändern wird. Ich hoffe weißgott nicht auf paradiesische Zustände in der Zukunft, aber dass wir den politischen, gesellschaftlichen und in gewisser Weise auch emotionalen Stillstand der Vergangenheit loswerden, das stimmt mich hoffnungsvoll. Und so ist mein Wunsch für 2023: Es soll sich was bewegen!!!
A: Die letzten Jahre haben vom Grundtenor eher das Gefühl von „Durchhalten“ etabliert. Dabei hat sich in der Zeit bei mir persönlich so vieles verändert! Ich habe einen ganz neuen Job, der mir viel Freude macht, wir haben diesen Blog ins Leben gerufen und ich unterrichte überraschenderweise in keinem der Yogastudios mehr, in denen ich 2019 noch war. Überhaupt ist das Thema Jobwechsel in meinem Familien- und Freundeskreis rückblickend auffallend. Der Stillstand, den du politisch und gesellschaftlich beschreibst, hat die Menschen um mich herum interessanterweise also schon längst in Bewegung gebracht. Auch weil der letzte Anstoß zu einer Veränderung natürlich immer aus einem selbst kommt. Ich persönlich hasse nur die Zeit VOR der alles verändernden Entscheidung, weil ich die als anstrengend, quälend und im Nachhinein überflüssig empfinde (was sie vermutlich nicht ist). Es geht also schlicht um unsere eigene Verantwortung, wenn wir etwas in Bewegung bringen wollen und die hat Mahatma Gandhi meines Erachtens auf den Punkt gebracht: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünscht für diese Welt.“ Gibt es etwas, das du ganz speziell in Bewegung bringen möchtest?
M: Etwas ganz Spezielles nicht, aber ich wünsche mir generell mehr geistige und emotionale Beweglichkeit im Kopf, natürlich auch in meinem! Nicht immer jede noch so kleine Mücke zu einem gigantischen Elefanten aufzublasen, nicht jede Anforderung der Gegenwart nach Veränderung als unverschämte Zumutung zu begreifen, nicht immer alles so entsetzlich ernst zu nehmen, nicht rückwärts gewandt all dem nachzutrauern, was es nicht mehr gibt (und was vielleicht eh nicht so toll war), sondern offen zu werden für neue Perspektiven… du weißt schon, was ich meine, gell? Ich nehme oft eine allgemeine Muffigkeit wahr, die im schlimmsten Fall in heftige Intoleranz und Aggression mündet, da muss man sich nur in den sozialen Netzwerken rumtreiben (das deutlich weniger zu tun, hab ich mir übrigens ernsthaft vorgenommen – es tut mir nicht gut!). Ich wünsche mir mehr (nicht nur gedankliche) Leichtigkeit, mehr Freude, ich will öfter staunen und mich begeistern und lachen und Pläne schmieden, gerne auch mal absurde oder „abwegige“. Und ihr habt natürlich Recht, Gandhi und du, das liegt erstmal in meiner eigenen Verantwortung, ich muss mir selbst einen Schubs geben. Wohin mich das innerlich führt? Ich bin selber gespannt!
A: Oh, da lass ich mich gleich mitreissen! Aus den breitgetrampelten Pfaden, die die Gedanken immer in der gleichen Spurrinne festhalten, rausklettern. Um die Ecke oder gleich das Gegenteil denken, Unmögliches nicht automatisch als albern und unrealisierbar abtun. Und: Fühlen! Alle Sinne befeuern! Ich hab jeden Mittwoch den herrlichen Duft von der Brantner-Bio-Bäckerei an der Nordendstraße in der Nase. Da radle ich in aller Herrgottsfrühe zu meinem Early-Bird-Kurs um 7.00 Uhr vorbei und spätestens, wenn mir dieser Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase steigt, weiß ich, warum ich mich um 5.15. Uhr im Stockfinsteren aus dem Bett quäle und mir bei -2 Grad die Finger abfriere – egal in welchem Handschuh.
Und letzte Woche habe ich einen 3-Jahre-alten Gutschein im Blue Spa vom Bayerischen Hof eingelöst und war erstaunt, wie gut mir das Handyverbot im gesamten Spa-Bereich getan hat, an das sich ausnahmslos ALLE gehalten haben. Zu hören war nur das leichte Plätschern vom Schwimmbad, das schon fast altmodische Rascheln einer Zeitung beim Umblättern und hier und da ein gedämpftes Murmeln von Menschen in weißen Bademänteln.