A: Es gibt Themen, bei denen die Meinungen sehr klar auseinandergehen. Pro und Contra und sehr wenig dazwischen. Das Thema „Zoo“ gehört meiner Beobachtung nach nicht dazu. Es gibt Menschen, die – wie ich – zwiegespalten sind. Sie mögen zum Beispiel Tiere, studieren ihr Verhalten, beobachten sie, halten sie oder verbringen einfach schrecklich gern Zeit mit ihnen. Dafür gehen sie dann alle Jubeljahre auch mal in den Zoo. Während des Besuches schwanken sie zwischen Faszination und Mitleid, weil die Tiere natürlich nicht so gehalten werden, wie es ihrem Wesen entspricht. Das glauben sie zumindest, konkreter gesprochen: Ich glaube, dass das so ist. Die Argumente dagegen erstrecken sich von der Tatsache, dass manche Tiere in Zoos aufwachsen bis zur wissenschaftlich untermauerten These der Arterhaltung und der Wiederansiedlung nach erfolgreicher Erhaltungszucht in Zoos weltweit. All das schwirrte mir nach unserem gemeinsamen Zoobesuch letzte Woche durch den Kopf. Auch, weil wir mit drei Erwachsenen im Zoo waren und eben nicht mit unseren kleinen Kindern, was dem Zoobesuch an sich natürlich eine ganz andere Ausgangssituation und Motivation gegeben hat.
M: Mir geht es ähnlich wie dir, ich bin sehr gespalten, was Zoos angeht. Deswegen war ich vermutlich auch schon Jahrzehnte nicht mehr dort – ich glaube, das letzte Mal ist mindestens 20 Jahre her.
Als die Kinder klein waren, sind wir, auch auf ihren Wunsch hin, öfter gegangen. Sie wollten, wie vermutlich die meisten Kinder, die üblichen Verdächtigen sehen: Affen, Raubkatzen, Elefanten – und natürlich ihre Lieblingstiere, die Pinguine! Die hab auch ich am liebsten, sie rühren mich mit ihrer Munterkeit und ihrem unbeholfenen Gang, der in so krassem Kontrast steht zu ihrer Eleganz beim Schwimmen. Wir haben uns bei jedem Besuch mit großer Begeisterung die Pinguin-Fütterung angeschaut, zu der sie ein kleines Stück des Weges watscheln mussten, was sie vorfreudig und schön in Reih und Glied taten.
Ansonsten war bei den Kindern die Aufmerksamkeitsspanne für die Tiere nicht allzu lang, nach einer Weile zog es sie in den Streichelzoo und auf den wirklich schönen Spielplatz, den es damals gab (gibt es den heute in der Form noch?) und zu den kleinen Autos, mit denen man dort herumkurven konnte. Dafür hätten wir eigentlich nicht in den Zoo gehen müssen…
A: Als die Jungs noch klein waren und wir mehr auf dem Lande lebten, waren wir häufiger in Wildparks. Da gab es freilaufendes Rotwild, stinkende Ziegen und Schafe, Watschelenten, Gänse und bockige Esel, die ich am spannendsten fand und die auch die besten Laute von sich gaben. Bei Eseln denke ich unweigerlich an I-Aah aus „Winnie-the-Pooh“ von A.A. Milne, eines meiner Lieblingskinderbücher. In diesen Wildparks kauften wir Futter aus Automaten (das die Jungs immer selbst probiert haben, obwohl es fies roch), tätschelten den muffigen Ziegen den Kopf und staunten darüber, dass die Tiere irgendwie immerzu fressen konnten und ständig kleine Köttel kackten. Oben rein, unten raus. Das Leben dieser Tiere schien in geregelten Bahnen zu laufen und es gab niemanden, der das hinterfragte. Im Zoo war es dagegen komplizierter. Wenn ich dort die Frage beantworten musste, warum die Elefanten in einem deutschen Zoo lebten, obwohl sie auf anderen Kontinenten beheimatet sind, kam ich ins Straucheln. Und ins Grübeln obendrein. So richtig unbeschwerte Zoo-Besuche gab es also auch mit kleinen Kindern nicht, weil hinter jedem Gehege-Zaun die Fragen lauerten: Ist das Tier hier richtig? Fühlt es sich wohl? Ist das artgerecht? Diese Fragen erspart man sich, wenn man mit quengelnden Babys im Kinderwagen in den Zoo geht, die noch nicht richtig sprechen können. Bei Kindern in dem Alter frage ich mich dann aber, ob die überhaupt einen Mehrwert von einem Zoobesuch haben…
M: Mit einem Baby bin ich nie in den Zoo gegangen – wozu auch? Mit den Tieren kann das Kind in dem Alter noch gar nichts anfangen, das Gedränge im Tierpark ist, vor allem am Wochenende und an Feiertagen, anstrengend, und entspannt spazierengehen geht anderswo besser, an der Isar zum Beispiel. Drei oder vier sollten Kinder schon sein bei ihrem ersten Zoo-Besuch, denke ich. Und selbst dann wird das Interesse an den Tieren recht schnell erlahmen, zumindest war das bei meinen so; die Aufmerksamkeitsspanne ist noch recht kurz.
Was mir bei unseren Besuchen immer auffiel und leid tat: Für viele Tiere interessieren sich sehr wenige Besucher. Känguruhs und Elefanten, Affen und Eisbären, Tiger, Löwen und Giraffen werden viel und gern bestaunt, aber wer bleibt mal länger beim Wasserschwein stehen, oder dem Hornraben, beim Riesenflughund oder dem Nacktmull? Nicht mal bei den doch wirklich schönen Flamingos, die ja gleich an einem der Eingänge ihr Gehege haben, bleibt oft jemand stehen, fast alle streben in Richtung der populäreren Arten.
Für die Tiere ist es ja vielleicht sogar besser, wenn nicht ganze Schulklassen in ihrer Nähe herumlärmen, aber ich habe es immer als sehr ungerecht empfunden, dass an ihnen so desinteressiert vorbeigeschlendert wird, weil sie als langweilig und zum Teil auch als hässlich gelten, siehe Nacktmull. Wobei sich gleich die Frage stellt: Was genau empfinden wir eigentlich als schön bei Tieren und was nicht?
A: Da fällt mir zunächst mal das sogenannte „Kindchenschema“ ein, eine der wenigen Dinge, die ich noch aus meinem Bio-Leistungskurs erinnere. Auf große Augen, runde Wangen, eine kleine Nase und einige andere Merkmale reagieren erwachsene Tiere und Menschen nach Konrad Lorenz wohl mit einer Art „Fürsorgeverhalten“. Demnach finden wir nicht nur Menschenbabys, sondern auch Tierbabys niedlich und solche, die einige dieser Merkmale auch als ausgewachsene Tiere haben. Bestes Beispiel ist da wohl der Hund mit seinem „Dackelblick“, bei dem das Heben der inneren Augenbraue anscheinend entscheidend ist. Dazu kommt das Fellige, Flauschige und Weiche, das dem Nacktmull ja nun mal komplett abgeht. Fell oder Haare lösen bei mir Assoziationen wie Wärme, Geborgenheit und Reinkuscheln aus.
Und dann sind da noch die wilden und exotischen Tiere, die mich persönlich durch ihren Mut, ihre Kraft, ihre Eleganz und ihre Schnelligkeit beeindrucken. Rennende Hunde, galoppierende Pferde, sprintende Gazellen oder Löwen lösen Glücksgefühle in mir aus, vermutlich, weil sie frei und ungebunden scheinen oder es tatsächlich sind.
Last but not least: Tiere, die lustig aussehen, sich komisch verhalten UND witzige Geräusche machen! Bei mir können sich Tiere ja so ziemlich alles erlauben: Das Grunzen eines Hundes entspannt mich, leises Schnorcheln beruhigt mich, Jaulen lässt mein Herz erweichen, Vogelgezwitscher und Affengebrüll hebt meine Stimmung stante pede. Delfingesänge und Elefantentrompeterei berühren mich sogar so tief, dass mir gern mal Tränen in die Augen schießen. Würgen und Pupsen finde ich nicht ganz so prickelnd, aber immer noch bedeutend lustiger, als bei Menschen.
M: Je mehr ich mich mit Tieren befasse, umso schöner erscheinen sie mir, auch die, die ich früher hässlich oder gar eklig fand. Ich hatte früher zum Beispiel gar nichts für Fledermäuse übrig – bis wir das Haus in Italien bezogen. Da habe ich dann stundenlang im Wohnzimmer auf dem Sofa gelegen und mit einem Fernglas die Fledermäuse beobachtet, die tagsüber schlafend an der fast fünf Meter hohen Decke hingen; erst mit dem Beginn der Dämmerung machten sie sich davon zur Futtersuche. Wenn man sie genau betrachtet, sind es wirklich schöne Tiere, finde ich inzwischen, obwohl sie weder flauschig noch zutraulich sind und dem Kindchen-Schema gar nicht entsprechen. Ich glaube, meine Faszination rührte auch daher, dass wir als Kinder Schauergeschichten über Fledermäuse anhören mussten; sie würden, so hieß es, wie Vampire Blut trinken und sich, so erzählte eine Klassenkameradin mit schreckgeweiteten Augen, in die Haare setzen und dort festklammern; man könne sie dann nur noch durch radikales Abrasieren der Haare wieder loswerden. Wir haben das natürlich geglaubt. Dabei, so habe ich später gelernt, verfügen Fledermäuse, die als einzige Säugetiere fliegen können, über ein ausgeklügeltes Echo-Ortungssystem, ähnlich wie ein Radar – ein richtiges Wunderwerk der Natur.
A: Ich hatte bis vor Kurzem eher dunkle Assoziationen mit Krähen und Raben, die ja allgemein gern als düster wahrgenommen werden oder sogar als Unglücksboten gelten. Bei mir lag es zum einen an Otfried Preußlers Jugendbuch „Krabat“, in dem der Meister der Mühle am Koselbruch die Gesellen ja mithilfe schwarzer Magie in Raben verwandelt, die mich dann nachts verfolgt haben, und zum anderen an Hitchcocks „Die Vögel“, in dem ein ganzer Schwarm schwarzer Vögel eine Gruppe von Kindern attackiert.
Letztens traf ich aber eine Nachbarin im kleinen Biedersteiner Park und sah, wie sie nach den dort anscheinend ansässigen Krähen pfiff. In kürzester Zeit versammelte sich eine schwarze gefiederte Truppe vor ihr und sie begann, ihnen Erdnüsse – diese doppelten in der rubbeligen Schale – zuzuwerfen. Manche von ihnen ließen sich sogar eigenhändig füttern. Sie macht das mehrmals in der Woche und ich war ganz fasziniert von dieser Vertrautheit zwischen ihr und den Vögeln. Inzwischen habe ich recherchiert, dass die Gattung „Corvus“, also Rabe und Krähe, verkannte Genies sind und es sogar mit der Intelligenz von Menschenaffen aufnehmen können. Und: Sie können Menschengesichter wiedererkennen.
M: Sind Raben und Krähen auch in der Lage, Töne nachzumachen? Vor ein paar Jahren war das doch ein größeres Thema, dass Vögel das Klingeln von Handys simulieren können, erinnerst du dich?
Jedenfalls hat mich dein Bericht von den Erdnussfressern gleich dazu inspiriert, mich den Krähen im Luitpoldpark anzunähern. Erdnüsse hatte ich keine parat, aber kleine Apfelstücke nahmen sie auch sehr gern, allerdings in meinem Fall nur aus der Entfernung. Wenn ich das aber regelmäßig machen würde – wer weiß?
Meine Freundin C. bekommt auf dem Balkon in ihrer neuen Wohnung jeden Tag Besuch von einem Eichhörnchen, das dann eine kleine Portion Nüsse kriegt. Wenn C. länger als ein Wochenende verreist, macht sie sich Gedanken, ob das Tier die Geduld aufbringt, auf ihre Rückkehr zu warten oder ob es vielleicht nicht mehr kommt, weil es einen zuverlässigeren Spender gefunden hat; das wäre für sie wirklich schlimm. Bisher aber ist der kleine Racker ihr treu geblieben.
Schon Wahnsinn, was Tiere, ob groß oder klein, mit den Gefühlen von Menschen anstellen können. Ich verfolge zum Beispiel jeden Tag die Nachrichten über die Bärin JJ4, auch Gaia genannt, die gefangen wurde, nachdem sie einen Jogger im Trentino getötet hat. Sie sollte ja erst abgeschossen werden, jetzt aber ist ihr Schicksal noch ungewiss. Bei der Fangaktion wurde sie von ihren drei Jungen getrennt – was wird jetzt aus denen?
A: Sind die Jungtiere nicht zunächst mal wieder auf freiem Fuß?
Ich empfinde eine merkwürdig entspannte Freude, wenn ich höre, dass Wölfe und andere Tiere in alte Territorien zurückkehren, aus denen der Mensch sie vertrieben hat. Vielleicht, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass es eine Art Gleichgewicht auf der Erde gibt, das sich immer wieder versucht einzustellen. In manchen Fällen wird das ja sogar vom Menschen initiiert und gewollt, aber eben nur bis zu einer gewissen Grenze, die der Mensch setzt. Da die Verhandlungsbasis zwischen Mensch und Tier aber sehr diverser Natur ist, prallen die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Interessen aufeinander. Und dabei sind Tiere natürlich auch nicht selbstlos, sondern kämpfen um ihren Lebensraum und haben gewisse Besitzansprüche. Selbst der Familien-Hund pinkelt ja ständig an Bäume, Kantsteine und stumme Zeitungsverkäufer, um sein Revier zu markieren. Und die Stadtvögel singen inzwischen früher, lauter und höher, um sich gegen den urbanen Lärmpegel zu behaupten, was ja auch eine enorme Anpassungsleistung ist.
Vielleicht wünsche ich mir auch nur insgeheim, dass es diese Art von Balance gibt, die sich nach schweren Entgleisungen jedweder Art und Gattung dann doch immer wieder ihren Weg bahnt. Im Moment finde ich, dass der Mensch an der Reihe ist, sich in Verzicht zu üben, was ja mitunter auch sehr heilsam sein kann. Und Respekt und Achtung vor Tier und Natur sowieso.
M: Da stimme ich dir natürlich zu, auch wenn ich nicht sehr optimistisch bin, was Respekt und Achtung vor Tier und Natur betrifft. Und ich kann mich da selber auch gar nicht ausnehmen, denn auch ich esse zum Beispiel, wenn auch selten, immer noch Fleisch und Milchprodukte. Und an der Tatsache, dass wir den Lebensraum aller Tiere und generell die Biodiversität immer mehr einschränken, ist niemand von uns ganz unschuldig, mit unserem Bedürfnis nach Autobahnen, geräumigen Häusern, Viehweiden, schnellen Autos, Fernreisen…
Im Moment sind die Nachrichten ja wieder voll von Wölfen, die angeblich ganze Schaf-Herden reißen (bei genauer Betrachtung sind es dann nur einzelne Tiere). Natürlich hat sich bei uns in Bayern sofort – schließlich ist Wahlkampf – die Politik dieses Themas angenommen; die Staatsregierung kündigt zur Zufriedenheit der Bauern und der Jäger an, dass die Viecher gejagt werden dürfen, wenn sie Weidetiere anfallen – kurzer Prozess also. Dass sie damit deutsches und europäisches Naturschutzrecht brechen würden, scheint unserem Ministerpräsidenten und seinen Spießgesellen egal zu sein.
Bei allem Verständnis für die Schaf-Halter: Ich finde das Verlangen nach einem schnellen Abschuss unverhältnismäßig, zumal es andere Möglichkeiten gäbe, Wölfe aufzuhalten, Schutzzäune etwa oder Herdenschutz-Hunde. Aber der Wolf hat nun mal generell bei uns ein schlechtes Image, dank Rotkäppchen und der Gebrüder Grimm. Dabei ist, so viel ich weiß, noch nie ein Fall bekannt geworden, in dem ein Wolf einen Menschen angefallen hätte…
A: Ich lese auch immer wieder, dass gesunde, freilebende Wölfe sehr vorsichtig sind und im Grunde kein Interesse am Menschen haben. Umso erstaunlicher, dass ein über 200 Jahre altes Märchen durch eine verhängnisvolle Verurteilung den Ruf des Wolfes so nachhaltig versaut hat. Er muss ja paradoxerweise sinnbildlich auch für die menschlichen Raubtiere seinen Charakterkopf hinhalten – das wäre zumindest meine Interpretation des Märchens. Und brandaktuell wird der Wolf von den von Wählerstimmen abhängigen Politikern gleich ein weiteres Mal zur Schlachtbank geführt. So ein Bauernopfer ist ähnlich bequem wie die Empörung über was-auch-immer, die zunehmend salonfähiger wird, weil es in jedem Fall leichter ist, sich über irgendwas mitaufzuregen, als Fakten und Details zu recherchieren.
Unser Zoo verzeichnet übrigens einen Neuzugang. „Wadras“, das struppige Wasserschwein ist in die Damen-WG eingezogen. Er schaut ein bisschen aus wie ein Riesenmeerschweinderl und hatte wohl einen freundlichen Empfang bei den Bewohnern der Südamerika-Anlage. Da die Wasserschweine durch Umweltzerstörung und Bejagung aus ihren natürlichen Lebensräumen vertrieben werden, hofft der Zoo auf baldigen Nachwuchs, um dem Thema Arterhaltung, das er sich ja auf seine Fahnen geschrieben hat, gerecht zu werden. Hoffentlich kann Wadras seine wasserschweintypische soziale Ader eines Tages auch wieder in freier Wildbahn ausleben.