A: Mein Lieblingsplatz mit Hund im Sommer ist der Englische Garten. Ok, nicht nur im Sommer, aber da ganz besonders. Entlang des Oberstjägermeisterbachs gibt es eine Hundemeile und die lauschigsten Plätze im Schatten einer alten Buche, Pappel oder Trauerweide. Auf der großen Picknickdecke ist Platz für den Hund, eine Zeitung, ein Buch und einen proppevollen Rucksack mit frisch belegten Laugensemmeln, veganen Gummibärchen und einer großen Thermoskanne Filterkaffee. Das Unterhaltungsprogramm für Carlos ist vielfältig, weil hier alle 10 Minuten ein Vierbeiner in Begleitung vorbeiläuft oder am Ufer gegenüber die Zelte aufgeschlagen hat. Die Hunde heißen Django, Lola oder Romeo, dem Frauchen neulich alle sechs Strophen des Kinderliedes „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt“ mit dem unvergessenen Refrain „Gloria, Viktoria, widewidewitt, juchheirassa…“ vorsang, das mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht.
Zwei Bäume weiter saß eine sehr alte Dame in ihrem Ultraleichtcampingstuhl mit weit ausgebreiteten Händen, in denen sie die „Süddeutsche“ hielt. Sie war oben ohne, hatte dafür aber einen großen Strohhut auf dem Kopf und ein Handtuch über die nackten Schultern geworfen. Nachdem sie sich drei Stunden lang nicht bewegt hatte, hatte ich Sorge, dass sie vielleicht einem Hitzschlag erlegen war. Unbegründet, wie sich später herausstellte. Sie gehört einfach offensichtlich zu den inzwischen sehr seltenen Menschen, die sich noch hingebungsvoll einer analogen Beschäftigung widmen können.
M: Wir sind im Sommer fast jeden Tag im Englischen Garten, immer morgens bzw. vormittags, später wird es uns zu voll. Bei großer Hitze ziehen der Hund und ich auch schon mal um sechs Uhr früh los, diese Tageszeit liebe ich als „Lerche“ ja besonders, wie du weißt. Im Nordteil des Parks sind dann nur ein paar vereinzelte Hunde samt Besitzer*innen und eine Handvoll Jogger*innen unterwegs, es ist herrlich kühl und still, die Luft ganz frisch, der perfekte Tagesbeginn für mich.
Wir gehen auch zum Oberstjägermeisterbach, allerdings nicht zur Hundemeile und auch nicht mit Decke oder Verpflegung – auf der Erde liegen mag ich nur am Strand im Sand, ansonsten finde ich es schrecklich unbequem, besonders zum Lesen.
Wir überqueren den Bach und gehen jenseits der Hundemeile am Wasser entlang, bis wir eine schöne flache Stelle finden, wo die Strömung nicht stark ist und der Hund seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann: Seinen grünen Ball aus dem Bach holen! Anfangs musste ich ihn immer werfen, mittlerweile hat er den Trick raus, ihn selbst die kleine Böschung runterrollen zu lassen und dann hinterherzuspringen. Das könnte er stundenlang tun, mit wachsender Begeisterung. Und ich stehe am Ufer und schaue ihm einfach zu. Das ist meine Morgenmeditation, eine schönere kenne ich nicht.
A: Interessant, wie simple Wiederholungen – egal welcher Art – den Geist entspannen. Und diese ganz frühen Morgenstunden im Englischen Garten haben einen eigenen Zauber, oh ja. Mich rührt dieser Frieden, der dort allgegenwärtig ist. Und der verschwindet ja im Verlauf des Tages – wenn sich Menschen, Hunde, Pferde und Schafe ratschend, bellend, galoppierend und blökend da rumtreiben und Musik aus den Biergärten schallt – nicht einfach, es legt sich nur für ein paar Stunden eine andere Spur, eine andere Geräuschkulisse über das Plätschern der Bäche, das Rauschen der Isar, den Wind in den Bäumen, die Vogelstimmen… SO schiebe ich mir das im Kopf zurecht, um den Englischen Garten zu allen Zeiten genießen zu können.
Und diese kühle Frische, die direkt spürbar ist, sobald man ihn – von wo auch immer kommend – betritt, erstaunt mich immer wieder. Letztens habe ich gelesen, dass eine Gruppe Bäume in einer asphaltierten und bebauten Straße die Temperaturen im Hochsommer um bis zu 30 Prozent senken kann. Das finde ich erstaunlich viel. Und es ist für mich ein kleiner Hoffnungsschimmer in der doch eher düsteren Klimaperspektive.
M: An schönen Sommertagen, besonders in diesem so schön ruhigen und entspannten Monat, muss für mich der Tag einfach im Englischen Garten beginnen, der für uns etwas näher liegende Luitpoldpark ist da kein Ersatz. Den Südteil meide ich generell, für mich fängt der Park erst jenseits des Mittleren Rings an. Wenn ich mir einen ganz bestimmten Platz zum Wohnen in München wünschen dürfte, dann wäre er in einem der Häuser entlang des nördlichen Teils, mit dem Park also quasi direkt vor der Tür. Leider für gewöhnliche Sterbliche unbezahlbar, wie du weißt.
Heute morgen sind wir auf unserem Spaziergang ganzen sieben Menschen begegnet, allesamt Hundebesitzer; für die Jogger und Radler war es offenbar noch zu früh. Die, an denen wir grüßend vorbeiliefen, waren ausnahmslos Frauen und etwas ältere Semester, so wie ich auch. Senile Bettflucht? Die müsste ja eigentlich auch für Männer gelten, oder? Jedenfalls waren sie allesamt heiter und entspannt und schlenderten mit ihrem vierbeinigen Anhang über die Wiesen, die noch feucht waren vom Tau und vom gestrigen Unwetter. Dass wir in einer Großstadt leben, merke ich in solchen Momenten überhaupt nicht, höchstens der entfernte Verkehrslärm vom Ring erinnert mich daran. Vor mir Natur, so weit das Auge reicht, zwei Eichhörnchen flitzen über den Weg, in den Bäumen über uns zankt sich eine Vogelschar, der Hund stromert durchs Gebüsch, rechts und links plätchern zwei Bäche…. was wäre diese Stadt ohne den Englischen Garten! Würde ich überhaupt noch hier leben wollen? Oder doch über die Flucht aufs Land nachdenken?
A: Hmm…gute Frage! Und was machen die Münchner, für die der Englische Garten mit einer mittellangen Anreise mit Radl, Auto oder Bahn verbunden ist? Die haben den Olympiapark, den Westpark, die Isarauen, den Perlacher/Grünwalder Forst… Alles anders und eben nicht der Englische Garten, ja, ABER ein Drittel des Bayerischen Staatsgebietes wird angeblich von Wald bedeckt! Und das finde ich grad mal großartig.
Nach einem Ausflug an den Schliersee am Samstag, war ich gestern wieder an meiner Hundemeile ohne Hund, weil der ja im westfälischen Sommercamp ist. Es war herrlich augustleer, freie Platzwahl. Aus reiner Neugier, was an der Baumgruppe nebenan passiert, habe ich mich dann aber doch recht nah an eine interessante Menschenansammlung gelegt, die zwei lange Tischreihen mit einer strahlend weißen und vermutlich frisch gemangelten Tischdeckengarnitur dekorierten. Drumherum Hängematten, Gartenstühle, Decken, Sitzsäcke. Das Ganze erinnerte mich ein bisschen an die Briten, die ja auch schon mal ihr Mobiliar in ihre Grünanlagen schleppen für ein Open-Air-Kino oder ein Dinner im Freien, um dann den teuersten Schampus aus den Picknickkörben zu fischen.
Gestern gab es nur Prosecco, man konnte aber auch einen Bellini oder Spritz bestellen. Und das alles mit Eis, vom Barkeeper höchstpersönlich gemixt. Die Geburtstagsgäste standen später hüfttief ratschend im Oberstjägermeisterbach (wie die Italiener!) oder fläzten sich in eine Hängematte. Zu allem Überfluss und wie bestellt, gab sich dann noch ein Rudel Corgis die Ehre und adelte unseren, wohl im Stil eines Englischen Landschaftsparks angelegten Garten mit seiner Anwesenheit. Mit ihren Stummel-Beinen flogen mindestens sechs von diesen fröhlich-selbstverliebten Kötern pfeilschnell über das gemähte Gras wie Laufkönig*innen. Vielleicht waren sie deshalb Queen Mum’s Besties? Am späten Nachmittag verließ ich dann das Idyll, weil der Alkoholpegel von nebenan sichtlich stieg. Es wurde laut und albern und dafür war ich einfach zu nüchtern.
M: Hach, so ein Essen unter freiem Himmel hört sich großartig an! Aber wie haben die Leute das ganze Zeug – Stühle, Tische, Hängematten, Bar etc. – denn bloß da hintransportiert? Das Schöne im Englischen Garten ist ja, dass er, bis auf die eine Querstraße im Süd-Teil, ganz und gar auto-frei ist, sogar die Polizisten durchqueren den Park auf Pferden!
Wir waren gestern Abend kurz vor Dämmerung auch noch mal für ein Stündchen da, damit der Hund und die halb-kranke Tochter noch ein bisschen Frischluft und Auslauf bekamen. Es war eine wunderbare Stimmung: Alle paar Meter sah man Freundes- bzw. Familiengruppen auf Picknickdecken ihr Abendessen verzehren, sanfte Gitarrenklänge wehten durch die Luft, Kinder plantschten im Bach, ganz friedlich neben den wassersüchtigen Hunden, die sich abkühlten, ein leichter Wind machte die Hitze erträglich, die Vorübergehenden grüßten freundlich und entspannt… so ähnlich stelle ich es mir im Paradies vor, Harmonie und Frieden.
Und ich denke immer wieder, dass dies der einzige Ort ist, den ich in dieser großen Stadt kenne, an dem es kaum Begrenzungen und strikte Regeln gibt, weil man sie einfach nicht BRAUCHT! Jede*r kann tun und lassen, was ihm bzw. ihr gefällt, solange andere sich nicht belästigt fühlen: Campen, Nacktbaden, Essen und Trinken, Spielen, Musikmachen… das verstehe ICH unter liberalitas Bavariae! Und die Tiere sind überall gerne gesehen, besonders natürlich in dem von uns beiden so geliebten Mini-Hofbräuhaus, wo sie ohne Stress herumstromern können. Erstmaligen oder auswärtigen Besuchern wird das manchmal ein bisschen viel; auf entsprechende Beschwerden reagiert die nette und lustige kleine Bedienung aber ganz eindeutig: „Wenn S‘ koane Viecher megts, miassts woanders higeh!“
A: Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die mit dieser bayerischen Toleranz nicht umgehen wollen oder können. Manche von ihnen gehen gar nicht (mehr) in den Englischen Garten, weil ihnen mal ein döspaddeliger oder auch aggressiv wirkender Hund vors Radl gelaufen ist, die Fahrradfahrer ihnen zu schnell sind, die Leute zu geschwätzig oder die Musik zu laut. Da ist die Sehnsucht nach einem Regelwerk vermutlich groß. Ich finde ja, dass weniger offizielle Regeln den Menschen viel mehr in die Pflicht nehmen, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen. Zusammenstöße, unangenehme Begegnungen, Missverständnisse und Erwartungen an andere kann man wunderbar höchstpersönlich an Ort und Stelle selbst regeln und die eigenen Ansprüche regulieren sich so meist von ganz allein.
Letzte Woche schrie am gegenüberliegenden Baum ein Baby ganz erbärmlich. Der Vater hatte es auf dem Arm und versuchte, es in den Schlaf zu wiegen. Ich sah seine liebevollen Bemühungen und diese verhinderten, dass ich und vermutlich auch die Umliegenden – nach gefühlt unendlich langer Zeit – nicht völlig entnervt waren. Wir verfolgten das Geschehen also aufmerksam hoffend und entschieden uns alle, nicht rumzumoppern. Irgendwann ist der Schreihals dann tatsächlich eingeschlafen und irgendwo aus dem hohen Gras vernahm ich ein brummeliges “Jetzat is a Ruah”.
M: Ich bin mit meinen kleinen Kindern früher auch oft in den Englischen Garten gegangen, viel lieber als auf einen der Spielplätze, von denen es in Schwabing tatsächlich viele gibt. Wir haben uns meistens an einen der Bäche gesetzt, die nackten Füße reingehalten, unser mitgebrachtes Essen verzehrt und uns angeschaut, was da so kreuchte und fleuchte. Frösche haben wir gesehen, Libellen, flinke kleine Fischchen und natürlich Hunde, die bei großer Hitze ein erfrischendes Bad nahmen oder nach Bällen tauchten. Das war wesentlich entspannter als ein Aufenthalt am Kleinhesseloher See im Südteil, wo aggressive Schwäne den Kindern das mitgebrachte Brot aus der Hand schnappten und zum Teil auch ordentlich zwickten – da blieben bittere Tränen nicht aus und mussten durch ein Eis am nahegelegenen Kiosk gestillt werden! Überhaupt meide ich die Gegend dort inzwischen auch ohne Kinder, denn die Unmengen an Enten, die es dort gibt, tummeln sich nicht nur auf dem See, sondern auch auf den Wiesen; ihre Hinterlassenschaften, weiß-dunkelgrün gestreift, verleiden einem den Aufenthalt im Gras, man tritt von einem stinkenden Haufen in den nächsten. Da überquere ich doch lieber den Mittleren Ring, von dem ich immer noch hoffe, dass er irgendwann unterirdisch geführt wird – dann gäbe es diese scheußliche und laute Schneise durch den Park nicht mehr. Eigentlich sollte das Projekt schon längst gestartet sein, ist aber angeblich jetzt auf unbestimmte Zeit verschoben – es mangelt mal wieder am lieben Geld!
A: Auch wenn die Wiedervereinigung der Nord- & Südhälfte politisch erstmal vom Tisch ist, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Und radle derweil weiter gen Norden zum Stauwehr Oberföhrung und von da aus entlang der Isar bis zum Poschinger Weiher. Hier kann man herrlich baden, genauso wie an den zahlreichen Ufern und auf den Inseln der wilden Isar.
Und im Frühjahr bin ich gern im Tivoli-Biergarten, in dem sich meist ein bunter Haufen aus größtenteils Altschwabingern, Leftovers, Oköfamilien und Münchner Senioren mit Lederhose, Filzhut und Dackel trifft. Samstags geben sich hier gern ein paar Musiker die Ehre und jammen dort ein bis zwei Stunden. Am meisten beeindruckt mich der Mann mit dem Kontrabass, der dieses Monsterinstrument ja auch erstmal dahintransportieren muss. Und er fehlt mir akustisch sofort, wenn er sich mal ein Helles holt oder mal austreten muss.
Und weißt du noch, wie wir mit den Hunden einfach Richtung Norden gelaufen sind und plötzlich an einem See standen, an dem wir noch nie waren? Das wird uns auch in 10 Jahren noch so gehen, da bin ich sicher, weil der Englische Garten immer für eine Überraschung gut ist!