A: Pfingstmontag auf dem Rückweg von der Münchner Freiheit nach Hause. Auf dem Gehsteig kommt mir eine ältere Frau um die 70 entgegen, die mit ihrem Wuschelhund spricht. Der weiß-braune Wischmop schwänzelt freudig neben ihr und kurz bevor wir auf einer Höhe sind, verstehe ich, was sie sagt: “Na, des is net der Rocky!” Mein Hund Carlos hupft neugierig und erfreut vor dem Wischmop hin und her. Die Hunde umkreisen sich, beschnuppern sich. Carlos mag den Wuschel. Und Gottseidank sind die Gehsteige in München ja großzügig, so dass sie etwas Raum haben für ihre Begegnung, ohne direkt mit dem Hinterteil auf der Straße zu stehen. Der Wischmop ist nett, aber Frauchen stellt noch mal kompromisslos fest: “Na, is net der Rocky.” Der Mann, der offenbar dazu gehört, bestätigt: “Is net der Rocky, na.” Und mein Mann, ebenfalls Schwabinger, konstatiert: “Na, is net der Rocky.” Dabei kennt der Rocky doch gar nicht! Er ist es also nicht. Also Carlos ist nicht Rocky. Die Begegnung war ebenso einsilbig wie unspektakulär. Aber ausgesprochen nett. Und das alles ohne Leine! Mitten in der Stadt. Wie kann das sein?
Der Altschwabinger Zamperlhalter ist in der Regel gelassen. Er bleibt einfach bei sich. Passt scho. Das hab ich in Laim schon anders erlebt. Und erst im Rheinland! Und dann noch auf dem Lande! Und du?
M: Auch bei uns im Viertel, ziemlich genau 2 Kilometer südwestlich von Euch, herrscht eine gewisse Maulfaulheit unter den Hundebesitzern. Die Vierbeiner streben zueinander, Herrchen und/oder Frauchen grüßen einander knapp mit „Morgen“, „Servus“ oder „Hallo“, beobachten stoisch das Getümmel zu ihren Füßen, fragen höchstens mal „Rüde?“ und „kastriert?“ und gehen dann nach erneutem Nicken oder kurzem Gruß weiter. Längere Unterhaltungen finden nicht statt, was auch an der Uhrzeit liegen mag: Meist begegnet man sich morgens oder abends, da ist man noch nicht oder nicht mehr zu langem Palaver aufgelegt.
Anders im Luitpoldpark. Hier werde ich des Öfteren in Gespräche verwickelt, vorzugsweise von älteren Herren, alle schon in Rente, die gemächlichen Schrittes ihre fast durchweg schon steinalten und fußlahmen Hunde ausführen. Die Themen der Unterhaltungen (oder eher: Monologe) sind eigentlich immer die gleichen: Das Wetter (Schon arg zapfig für die Jahreszeit), die Vierbeiner und deren Leiden), der unter den zu Mülleimern befindliche Unrat (die Herren haben die unerzogene „Jugend“ in Verdacht, ich tippe auf Vögel und Eichhörnchen, die den Abfall durchforsten), die Radfahrer, die viel zu schnell über die Parkwege brettern und Herr und Hund des Öfteren zu waghalsigen Ausweichmanövern zwingen. Generell werden all diese Gespräche aber mit einer gewissen Leidenschaftslosigkeit geführt, so richtig ärgern oder aufregen mag man sich eigentlich nicht, das Motto am ehesten: Eigentlich doch wurscht, kommt eh, wie’s kommt. Eine sehr typische Münchner Eigenschaft, finde ich, die ich meist positiv, manchmal aber auch negativ wahrnehme, dann nämlich, wenn ich sie als Ignoranz oder gar Arroganz empfinde.
A: Für mich ist die Münchner Maulfaulheit grad die pure Erholung! Mehr noch: Ich amüsiere mich prächtig. Weil so viele Hundebegegnungen in der Eifel komplett unentspannt waren und die Hundebesitzer dort bisweilen mit einem völlig irrationalen Sendungsbewusstsein ausgestattet sind. Sie belehren, drohen, beschimpfen, im besten Fall geben sie ungefragte Tipps. Ich erinnere mich an Begegnungen auf endlos freiem Feld, auf dem einsam am Horizont Hund und Herrchen auftauchen und Letzterer bei einem Kilometer Entfernung brüllt: „Ist der an der Leine?“ Selbstverständlich ist der andere Hund auch angeleint und legt sich mit dem Kampfgeschrei bedrohlich ins Geschirr. Da ist der Frieden auf einsamem Feld dahin…
Und dann die Jäger! Die Flinte, der breitbeinige Jagdhund mit Monsterklöten und die Fasanenfeder am grünen Filzhut erwecken anscheinend Allmachtsphantasien und möbeln das eigene Selbstbewusstsein gehörig auf. Die Hunde sind gern mal von Keiler-Angriffen gezeichnet und nehmen nur Befehle ab 85 Dezibel in Empfang. Vielleicht sind sie aber auch taub vom vielen Geballer?
Es gab gute und böse Hunde in diesem 1000-Seelen-Dorf, in dem wir gelebt haben. Und meist war man auch den Besitzern der bösen Hunde nicht grün und spazierte besser nicht durch deren Straße. Wie der Herr, so’s Gescherr, heißt es ja. Wir hatten dort auf dem Lande Platz, Häuser und Latifundien, aber paradoxerweise fühlte ich mich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkter als in der Großstadt. Hier in München ist es eher wie auf einem Segelboot: Man hockt enger beieinander, und damit keiner über Bord geht, wahrt jeder hübsch die Grenze des anderen. Und wie bei langen Segeltörns werden die Gespräche dann auch mal einsilbiger. Kostprobe? „Ne, ist nicht der Dreimaster auf zwei Uhr“. „Ist nicht der Dreimaster, ne“ usw.
M: Wie das ist mit Hunden auf dem Land ist kann ich nicht sagen, ich hatte noch keinen, als ich auf die Idee kam, auch mal ein paar Jahre aus der Stadt rauszuziehen. Aber über das Zusammenleben in so einem Dorf und über die Nachbarn kann ich so einiges berichten, wenn ich mal wieder abschweifen darf!
Ich bin damals ganz naiv dahin gezogen und hab gedacht, dass sich da keiner groß Gedanken macht über die Frau mit zwei Kindern, die ein Haus gekauft hat und die man jetzt öfter im Ort sieht. Aber von wegen! Wie mir später von wohlmeinenden Menschen berichtet wurde, hat man sich hinter meinem Rücken sehr wohl ausgetauscht über mich: Was macht die eigentlich – arbeitet die überhaupt?!? Die ist ja den ganzen Tag zuhause! Und wieso hat sie diesen schönen Baum im Vorgarten rausgeschmissen? Und dann kamen auch noch in kurzen Abständen drei Männer zu Besuch – und die übernachteten auch noch allesamt bei mir! Das war schon ziemlich verdächtig!
Von dem Moment an, in dem ich das wusste, fühlte ich mich schon ziemlich beobachtet. Und auch nicht so richtig zugehörig. Dafür hätte ich wahrscheinlich in Vereine eintreten müssen, „mich einbringen“, wie es so schön heißt.
Hier in der Stadt hingegen interessiert es keinen, was ich so tue und lasse. Manche Leute finden das traurig – soziale Kälte und so weiter – , mir wiederum gefällt eine gewisse Anonymität, sie befreit mich.
A: Nach 20 Jahren Land bin ich da ganz bei dir! Für die Kinder fand ich es spannend, dort aufzuwachsen. Zu Fuß zum Kindergarten zu gehen und 15 Jahre später auf dem Traktor die Schule mit dem Abi und einem Kaltgetränk in der Hand zu stürmen, hat so eine Bullerbü-Romantik. In Bäche zu fallen und auf Bäume zu klettern, gehört für mich auch zu einer gelungenen Kindheit. Da ist weniger mehr. In die Oper kann man ja auch noch mit 60 gehen. Und Chinesisch lernen erst recht.
Nach dem Abi des Zweiten waren wir dann aber ganz schnell hier in München. Weil es in unserem kleinen Dorf halt auch den Blockwart gab, der uns bei der Stadt verpfiffen hat, weil wir als Hundebesitzer unser Grundstück nicht eingezäunt hatten. Mich langweilt diese Gehege-Mentalität, überhaupt diese Reviermarkierung und generationenübergreifende Zwistigkeiten um Wegerechte und dergleichen mehr. Da sitz ich lieber in einem Café an der Münchner Freiheit und schau in den Himmel, der keinem gehört. Und Hunde schalten hinter Zäunen halt auch in den Großgrundbesitzer-Modus, um Haus und Hof zu verteidigen. Außer in meiner Kindheit! Da liefen am Rande unserer ostwestfälischen Kleinstadt die Hunde einfach frei rum. Und Pussi Steiling aus den Bauern stand jeden Morgen um 10 Uhr vor unserer Haustür, um unsere Senta (die auf Wunsch meines Vaters nach Senta Berger benannt war) abzuholen. Und dann ging es ab in den Hambusch, um nach den Rehen und den Karnickeln zu schauen. Erstaunlicherweise hat der Jäger sie nie erwischt. Das waren noch Zeiten!
Es lebe die Hunde! Freudespender, Weggefaehrten, Zuhoerer in einem, die dem Ausdruck „unconditional love“ eine tiefe Bedeuting geben. All die Senta’s, Pussi’s, Emma’s, Rohwolt’s, Carlos’s und Duscha’s, Dax’s und Archie’s unvergessen und fuer immer ins Herz gebrannt. Und der Zamperhalter hat’s raus, entspannt sein und bei sich bleiben….auch wenn’s net der Rocky ist, na!….oder doch? Vielleicht im vorherigen Hundeleben….