M: Ich versuche ja schon seit längerer Zeit, nur noch sehr wenig Fleisch zu essen – jetzt bin ich endgültig auf dem Weg in die Vegetarier-Fraktion. So sehr ich ab und zu mal einen Schweinsbraten mag oder ein Gickerl oder Fleischpflanzl, es graust mich einfach mittlerweile zu sehr. Die Bilder von Tönnies sind einfach abstoßend, und nicht nur die aus dem Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb, sondern auch die aus den Unterkünften der Arbeiter dort. Und es hilft ja auch nichts, zu sagen, ach, NRW… im Rest des Landes sieht es garantiert nicht besser aus, da sollten wir uns nix vormachen.
Seit ein paar Tagen versuchen wir bewusst, ganz ohne Fleisch auszukommen (nur der Hund kriegt noch welches) – und siehe da: Es geht gut! Ich hab ja eine instinktive Abneigung gegen Tofu, hab aber beim Zubereiten einer Lasagne mit „vegetarischem Hackfleisch“, also Tofu, festgestellt: Kann man gut essen! Nur der Geruch hat mich ein bisschen gestört… Vielleicht ist es aber sowieso Schmarrn, Fleisch-Ersatzprodukte zu verwerten? Wie macht Ihr das? Wenn ich mich recht erinnere, sind Deine Männer Karnivoren, oder?
A: Das sind sie, ja. Beim Mann kommt aber nur das in die Pfanne, was glücklich auf der Wiese stand. Das ist dann natürlich deutlich teurer, kommt dafür aber seltener auf die Teller der Männer.
Ich finde es unfassbar, dass eine Fleischfabrik einer ganzen Region einen erneuten Lockdown beschert und meine ehemalige ostwestfälische Heimat jetzt auch noch ein Brandzeichen von diesem Tünnes trägt. Bekannte berichten, dass ihre Buchungen storniert wurden, weil die Geächteten in Bayern und woanders nicht erwünscht sind. Und meine Mama hat am Telefon erzählt, dass der Fleischbaron aus meiner Heimatstadt schon in ihrer Jugend einen gewissen Hautgout hatte. Wenn sie in Rheda zum Metzger geschickt wurde, rief ihr regelmäßig jemand hinterher: „Und geh nicht zum Tünnes!“ Die Mutter der Schlachthofbrüder trug wohl immer eine dreckige Schürze und auch sonst war es eher schmuddlig, was ja bei Metzgern doppelt schwer wiegt, finde ich. In Bezug auf die miserable Unterkunftssituation hat sich da aber anscheinend nicht viel verändert, wenn man die Bilder im Fernsehen sieht. Das ist dann wohl nicht nur ein Versagen des Konzerns und der Subunternehmen, sondern auch derjenigen, die das prüfen müssen. Oder wird bei systemrelevanter Industrie nur dünn drüber geschaut? Das systemrelevante Toilettenpapier ist auf jeden Fall schon wieder Mangelware im Kreis Gütersloh! Mich erreichen Bilder meiner alten Schulfreunde mit leeren Regalen…
M: Im Durchschnitt verzehrt der Deutsche im Jahr rund 60 Kilo Fleisch, hab ich heute in der Zeitung gelesen. Diesen „Bedarf“ kann man natürlich mit der Produktion von Bio-Fleisch nicht decken. Abgesehen davon, dass es für sehr viele Leute keine Option ist, das teure Schwein, Rind, Kalb oder Huhn aus artgerechter Haltung zu kaufen, selbst wenn sie es wollten.
Weniger Fleisch essen? Kommt für die meisten auch nicht infrage (obwohl der Konsum zugegebenermaßen in den letzten Jahren etwas zurückgegangen ist). In der Firma, in der ich mehrere Jahr gearbeitet habe, wollten wir mal in der Kantine einen fleischlosen Tag pro Woche einführen, à la „Meatfree Monday“. Als das durchgesickert ist, war der Protest so groß, dass die Sache noch vor dem ersten Versuch abgeblasen wurde. Der Tenor: „Ich lass mir doch nicht vorschreiben, was ich zu essen habe!“
Hab ich damals nicht kapiert und tu es heute auch nicht – EIN Tag!!!! Von SIEBEN! Aber da kommt die vielbeschworene Freiheit ins Spiel, die ist ja im Ernstfall ein Totschlagargument. Ebenso wie die Arbeitsplätze.
A: Na, die Anti-Meatfree-Fraktion hätte sich ja auch einen Fleischsalat am Veggie-Tag mitbringen können…
Ich glaube, da wird Freiheit mit Verzicht oder „weniger haben“ verwechselt. Die Speisekarte soll doch bittschön ALLES im Angebot haben, sonst kann man nicht aus dem vermeintlich Vollen schöpfen. Erst mal haben können, das beruhigt ungemein. Und dann kann man irgendwann vielleicht auch mal sein! Wie beim Fleischkönig, dessen Familie ja anscheinend mit Fleiß und Schweinchenschläue immer weiter gemacht und dabei das Maß verloren hat. Da bleiben dann so unwichtige Dinge wie Ethik und ökologisches Denken auf der Strecke, weil die einfach im Weg sind bei der schnellen Umsetzung des MEHR.
Nicht der Weg ist das Ziel. Aber auch das Ziel ist nicht das Ziel, weil das ja immer weiter nach oben verschoben wird, sobald erreicht. Weil man die Freiheit von Verzicht leben will. Und diese Freiheit von Mangel und Beschränkung hält das Rad am Laufen, bis einem der Tod dann irgendwann dazwischen kommt. Denn am Ende muss man ja dummerweise auf das Leben verzichten, und da sitzt natürlich die größte Panik, die all die kleinen Ängste stetig nährt.
Im Yoga gibt es ja diese schlichte Haltung in der Rückenlage, meist am Ende der Stunde, die als die schwierigste gilt und bei der man – wie später in der Kiste – die Totenstellung einnimmt. Da hat man dann auf dieser dünnen, ungemütlichen Matte doch tatsächlich die große Freiheit, sich schon mal im Loslassen zu üben! Oder meint die Anti-Meatfree-Fraktion eine andere Freiheit? Die wollen sich, glaub ich, immer VON etwas befreien und meinen nicht die Freiheit ZU etwas…
M: Ich denke, viele Menschen haben das Gefühl, durch eine Idee wie etwa den „Meat Free Day“ bevormundet und eingeschränkt zu werden, und dagegen wehren sie sich. Es geht ja auch bei den Anti-Corona-Demos vornehmlich darum, dass die Leute sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen durch die Maßnahmen – was sie ja auch sind. Nur haben sie offenbar nicht auf dem Schirm, dass es keine Ordre du Mufti ist, die ihnen irgendein autokratischer Herrscher überstülpt, sondern dass es um Maßnahmen geht, die für uns alle wichtig sind und für die wir für eine hoffentlich begrenzte Zeit auf einiges verzichten müssen, der Allgemeinheit zuliebe.
Was ich jedenfalls nicht mehr hören kann, ist der Vergleich mit der DDR oder anderen autoritären Systemen, der immer wieder gezogen wird.
Und schon wieder sind wir bei Corona… dabei wollten wir doch eigentlich über Fleischkonsum reden. Aber es hängt ja auch alles miteinander zusammen. Hätten wir ohne die Covid 19-Tests erfahren, wie es zugeht in Rheda-Wiedenbrück und anderswo? Bestimmt nicht so schnell, oder? Andererseits hätten wir es wissen KÖNNEN, wenn wir wirklich gewollt hätten. Oder gekonnt. Denn immer schafft man es ja auch nicht, sich mit allen Problemen und dem ganzen Elend auf dieser Welt zu konfrontieren.
A: Mir reicht der tägliche Informationsschwall, dem ich mich über das Abrufen von Nachrichtenmagazinen aussetze, auch zur Genüge. Da ist immer was dabei, was mir nahe geht und verdaut werden muss. Corona ist grad ein Beschleuniger, auch für den Fleischfabrikanten. Früher oder später spült aber meiner Meinung nach alles nach oben. In Ostwestfalen sagt man dann: Wenn aus nem Scheisspott nen Bratpott wird. Der stinkt immer!
Und strikte oder auch wohlmeinende Dos und Don’ts sind leider oft unwirksam. Letzten Endes greift für mich nur ein Runterbrechen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, also mich oder dich, oder Herrn T. persönlich: Komm ich wirklich damit klar? Auch nachts?
Die Schwägerin bemerkte gestern, dass man früher viel mehr Geld für gute Lebensmittel ausgegeben hat, statt für schicke Autos und das, was man obendrüber zieht, wenn man mal ausgeht. Und meine bayerische Schwiegermutter, die sauguad gekocht hat und in einem dieser leider nicht mehr existierenden Münchner Traditionsgeschäfte am Viktualienmarkt beschäftigt war, sagte wohl gern: „Des, was in di nei kimmt, muass a Qualität ham, und des, was’d auf der Haut hast, aa.“ Bei ihr gabs natürlich auch den berühmten Sonntagsbraten. Aber eben nur sonntags…
Danke. Super Gespräch!
Und Tünnes ist eben auch nur ein trauriges Symptom unserer Gesellschaft. Kennt man in Rheda schon lange. Kann man sich mal kurz drüber empören über die Praktiken und dann wieder gut sein lassen. Aber vielleicht ändert sich ja doch langsam etwas in den Körpern und Köpfen..wird schon..
namasteee
c