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Das hat aber meiner Oma gehört!

A: Ich war grad auf dem Speicher. Seit unserem großen Umzug im letzten Jahr, stehen da noch Kisten, in die ich gar nicht mehr reingeschaut habe und von denen ich keine Vorstellung habe, was da drin sein könnte! Wir haben mehr, als wir brauchen, und nach dem großen Aussortieren vor einem Jahr fühle ich mich viel leichter. Für diesen herrlichen Zustand gibt es ja unzählige Bücher, die alle den gleichen Tenor haben: Ausmisten befreit von Altlasten und bringt Freiraum für Neues. Immer das gleiche Thema in neuer Verpackung. Für so was ist in meinem Bücherregal definitiv kein Platz, weil ich da nämlich gleich die olle, abgerissene, zweibändige Ausgabe von Wilhelm Busch reinstelle, erschienen im Bertelsmann Lesering mit einem Vorwort von Rolf Hochhuth aus dem Jahre 1959. Die hab ich grad in einer Umzugskiste gefunden und bin direkt in Oma Rhedas (es gab auch noch Oma Soest) Wohnzimmer katapultiert worden, in der die zwei Bände in der abschließbaren Vitrine aus dunkler Eiche ganz vorn links standen. Sie riechen immer noch ein bisschen nach diesem alten Haus und nach Bäckerei, bilde ich mir beim tiefen Inhalieren in die vergilbten Seiten ein. Meine Oma war komplett verkalkt (so nannte man das damals!) in ihren letzten Jahren. Sie hielt mich für meine Mutter, versteckte Geldscheine in Blumenpötten und geschälte Kartoffeln in Eisentöpfen unter ihrem Bett. Was sie aber niemals vergaß, war „Die fromme Helene“, „Max und Moritz“ und „Plisch und Plum“. Die konnte sie alle auswendig – von der ersten bis zur letzten Zeile. Und immer, wenn es ihr nicht gut ging, gab ich ihr die erste Zeile als Steilvorlage. „Eine Pfeife in dem Munde, unterm Arm zwei junge Hunde…“ und schon ging’s los.
Diese alten Schinken werde ich also auf jeden Fall behalten! Und was mache ich mit der Goldrand-Terrine auf drei verschnörkelten Füßen?

M: Oh ja, Erbstücke – davon kann ich auch ein Lied pfeifen! Ganz aktuell: Gerade habe ich 500 Euro abgedrückt, 3 Jahre Lagergebühr für ein altes Biedermeier-Sofa, aufgearbeitet, perfekt und neu bezogen und einfach wunderschön – so ein Teil, auf dem Loriot immer in seinen Fernsehsendungen saß. Alldieweil: Wir können das gute Stück nicht stellen! Meine Eltern lebten ja immer in großen (Pfarr-)Häusern, da war jede Menge Platz für riesige Schränke und Tische und eben auch Sofas. Wir hingegen wohnen in einer Stadt mit exorbitant hohen Mieten und können uns keine Wohnungen mit Zimmerfluchten leisten. Weil wir uns aber von dem Erbstück auch nicht trennen können, lagert das gute Stück seit 5 Jahren für nicht eben wenig Geld am Staffelsee. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, doch noch mal Platz dafür zu finden. Schmarrn vermutlich. Aber diese Sentimentalität leisten wir uns, solange es geht.
Die uralte Ausgabe von Wilhelm Busch habe ich übrigens leider nicht geerbt, die war auch schon ganz zerfleddert und „abgeliebt“, ich musste mir
eine eigene kaufen. Als Kind war ich ein besonderer Fan von „Hans Huckebein“, dem Unglücksraben, der sich mit Likör betrank und sich im Suff selbst erhängte. Schaurig-schön! Was Kinder eben so fasziniert… Falls mich die Geschichte allerdings vom Alkohol abschrecken sollte, so hat sie nicht gewirkt.

A: In meiner Familie setzt sich der Hang zum nostalgischen Sammeln bis in die amerikanische Verwandtenlinie fort. Meine Cousine zweiten Grades hat das alte Eichenbett ihrer Grandma, das jahrzehntelang bei meiner Oma in Soest auf der Mansarde stand, über den großen Teich bis nach Cape Cod/Massachusetts schiffen lassen! Bei meinen Besuchen dort im Sommer, liege ich in den heißen und schwülen Ostküste-Nächten im Bett von Tante Mariechen und wünsche mir die bitterkalten Nächte in der ungeheizten Mansarde in Soest zurück.
Da wird die Welt dann plötzlich ganz klein, weil alles irgendwie verbunden ist durch dieses alte, unfassbar schwere und noch nicht mal schöne Bett in dunkler Eiche massiv. Und keiner, wirklich keiner aus unserer Familie hat diese eigentlich völlig verrückte und sündhaft teure Überführung in Frage gestellt! Weil sie alle kleine Hoarder sind, wie man im Amerikanischen so schön sagt. Meine Tante in New York sammelt im ehemaligen Kinderzimmer ihres Sohnes Samen von Blumen, Kräutern und Gemüse. Das ganze Zimmer ist voll mit alten, vertrockneten Pflanzen, Stengeln, Blüten, Aufbewahrungsschachteln und Terrakottatöpfen vom Möhnesee, von Tante Gerda aus New Jersey, dem Garten der Reeds in Maine und und und… Die New-York-Tante ist übrigens über 90! Wann soll sie die bitte noch alle in die Erde bringen?

M: In die Kategorie Jäger und Sammler gehöre ich definitiv nicht, eher das Gegenteil: Ich schmeiße schnell und furchtlos Massen an Zeug weg – und gräme mich dann manchmal hinterher, dass ich etwas voreilig war. Die Artikel zum Beispiel, die ich in meinen Anfängen als Journalistin geschrieben habe, die würde ich heute gern noch mal lesen. Und wieso hab ich zwei Drittel meiner Schallplatten verschenkt? Die ich jetzt schmerzlich vermisse?
Ich hab eigentlich recht wenig Erbstücke aus meiner Familie, außer dem bewussten Sofa an großen Stücken nur einen Truhenschrank (bei einem Freund geparkt) und eine wirklich schöne Kommode. Ansonsten ein paar Kleinigkeiten, eine alte Wasserkaraffe, ein paar Vasen, eine bemalte Porzellanschale. Und dann ist da noch das Geschirr, weiß mit Goldrand: In meinem Elternhaus war es das „gute“ Geschirr, das nur an besonderen Festtagen aufgedeckt wurde (vermutlich auch, weil es nicht in die Spülmaschine darf). Als ich es bekommen habe vor bestimmt schon 25 Jahren, habe ich es auch kaum benutzt, aber beim Ausmisten vor meinem letzten Umzug fand ich plötzlich: Zwei Garnituren Geschirr sind zu viel! Also hieß es: Entweder ich nehme es in Betrieb oder ich gebe es weg, denn wie oft deckt man große Festtafeln ein? Kurzentschlossen habe ich mein „Alltagsgeschirr“ verschenkt und benutze seither nur das „gute“. Ein, zwei Teller sind schon zu Bruch gegangen, und der Goldrand verblasst langsam auch, aber egal. Ich glaube kaum, dass meine Kinder schon darauf spechten.

A: Die Terrine mit drei verschnörkelten Füßen stammt auch aus dem 12-teiligen Goldrandservice meiner Oma. Der große Rest steht in einer Kiste im Keller meines Elternhauses, aus dem gleichen Grund wie anfangs bei dir: Das Porzellan darf nicht in die Spülmaschine. Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, es als Alltagsgeschirr herzunehmen! Weil bei uns das gute Hutschenreuther Geschirr mit Zwiebelmuster eben auch nur zu festlichen Anlässen auf die fein gedeckte Tafel kommt. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie streng die Etikette da erst in einer Pfarrfamilie ist! Wurde vor den Mahlzeiten ein Gebet gesprochen? Hingen Kreuze über jedem Türrahmen? War Jungsbesuch erlaubt? Musste dann die Zimmertür offenstehen?

M: Um gleich deine Fragen zu beantworten: Gebet vor den Mahlzeiten ja, allerdings nur vor dem Mittagessen und recht kurz. Kreuze nein, jedenfalls nicht in den Privaträumen. Besuche aller Art immer – also auch die von Jungs. Und die Türen mussten nicht offenstehen. Allerdings haben wir uns „zu meiner Zeit“ (jetzt benutze ich diesen verstaubten Ausdruck auch schon!) lieber woanders getroffen als in den jeweiligen Familien, wo doch meistens die Mütter herumschwirrten. Im Sommer boten sich viele Plätze im Freien an, vor allem an der Isar, im Winter haben wir in Kneipen gehockt und bei den wenigen (durchweg männlichen) Freunden, die schon eine eigene Wohnung hatten – ja, die gab es durchaus! Und gar nicht mal so wenige! Super waren natürlich auch die Jungs, die nicht nur einen Führerschein, sondern sogar ein eigenes Auto hatten (oder einen Zugang zu dem vom Papa oder Bruder), da waren wir dann in der niederbayrischen Provinz unterwegs. Ich erinnere mich an diverse legendäre Nächte…
Bei meiner Familie gewohnt habe ich allerdings nur, bis ich 17 war, dann bin ich nach München abgezwitschert. In meine erste WG. In die ich außer meinen Klamotten nichts von daheim mitgenommen habe, schon gar keine Erbstücke. Womit ich zurück zum Thema mäandert wäre…

A: Dann ging es in unserem westfälischen Lehrerhaushalt ja fast strenger zu als in der bayerischen Pfarrfamilie.
Ich bin direkt nach dem Abi zum Studium nach Köln und hab das erste Jahr bei meiner Tante in Bonn Bad Godesberg gewohnt, bei der alles antik möbliert war. An den Barock-Tapeten hingen alte Kupferstiche, Radierungen und Wandteller aus aller Welt. In geschwungenen Vasen standen kunstvoll gewirkte Seiden-Blumen und über allem lag ein leichter Geruch von Zigarillos, die abends zu einem guten Glas Rotwein verdampft wurden. Von beidem war mir morgens immer ganz koddrig. Weil ich die Zigarillos auch noch auf Lunge geraucht habe.
Heute sieht das übrigens alles noch so aus wie damals! Und wenn ich mir da etwas aussuchen dürfte, würde ich eines der Bücher über die Hohenzollern wählen, die immer auf dem goldumrahmten Glastisch neben dem geschwungenen Sessel mit passenden Deckchen auf den Armlehnen lagen. Das würde doch ganz wunderbar neben die Wilhelm-Busch-Gesamtausgabe passen!

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