M: Dialog beim Essen mit meinem Sohn:
Ich: Wollen wir morgen ins Kino? Jetzt können wir ja endlich wieder.
Er: Kommt drauf an, was läuft.
Ich: Der neue Film von… Mann, wie heißt der noch gleich… der alte Amerikaner, Du weißt schon, der schon 80 ist.
Er: Weiß ich nicht. Gibt ja jede Menge davon.
Ich: Der mit den Waffen. Der auch den Film gemacht hat mit der Dings… der mit den vielen Zähnen.
Er: Julia Roberts?
Ich: NEIN! Die spielt da eine Boxerin…
Er: Wer?
Ich: Na, die Schauspielerin! Mir fällt der Name grad nicht ein… und er selber spielt auch mit.
Er: Ach, Du meinst Clint Eastwood? Sag das doch gleich! Außerdem ist der 90.
Ich konnte mir früher wirklich ALLES merken: Telefonnummern, Postleitzahlen, Filmtitel, Namen… Ich wurde dafür beneidet und bewundert und war auch ziemlich stolz darauf.
Wie der Volksmund schon sagt: Hochmut kommt vor dem Fall. Jetzt tun sich große Lücken auf in meinem Hirn: Wie heißt das Buch, das ich erst letzte Woche gelesen habe? Das Restaurant, in dem wir früher fast jede Woche waren? Der Apple-Gründer? Unser Postbote? Ich komm und komm nicht drauf! Und bin schon ein bisschen beunruhigt deswegen. Ich bilde mir ja ein, dass ich meine kleinen grauen Zellen schon auf Trab halte, aber Namen..? Schall und Rauch. Woran liegt das? Zu wenig im Kopf? Zu viel? Zu unkonzentriert? Beginnende Demenz? Oder einfach mal wieder – das Alter?!?
A: Herrje, ich steh auch oft meterbreit auf der Leitung! Und Zahlen sind in meinen Synapsen noch nie wirklich präsent gewesen. Außer vielleicht Telefonnummern. Bei mir war es aber schon immer das Kurzzeitgedächtnis, das ganz gut funktioniert. Wenn etwas lang her ist, dann muss es schon emotional verknüpft sein, damit ich es erinnere. Oder eine Melodie haben! Ich kann heute noch alle Strophen vom „Veilchen“ (Goethe/Mozart) und der „Forelle“ (Schubart/Schubert) auswendig. Allerdings nur singend! Wenn ich die wie ein Gedicht aufsagen muss, summe ich leise mit und rufe so den Text ab.
Und mein Namensgedächtnis funktioniert immer dann gut, wenn die Person irgendetwas Außergewöhnliches im Aussehen, der Stimme oder der Mimik hat: So wie Lauren Hutton mit dieser sexy Zahnlücke, Meryl Streep, die bei uns oft „Die Nase“ heißt, Jack Nicholson mit diesem leicht irren Blick oder auch Ellen Barkin in Schießer-Feinripp- Unterwäsche und mit schiefem Lächeln in „The Big Easy“. Bei der Flut an Informationen, die täglich auf uns einprasseln, ist es vermutlich auch völlig normal, wenn die, die uns nicht nachhaltig beeindruckt haben, einfach ins Nichts fallen…
Der Mann hat ja für alle Menschen, deren Namen er nicht sofort parat hat, immer die gleiche Umschreibung: „Na, der oder die Scheißinskraut! Du weißt schon!“ Meistens weiß ich, ja. Und wenn nicht, wurschteln wir uns über Nasen, Augen, Zähne, Filmszenen, peinliche oder grandiose Reden und Auftritte dann irgendwann zu einer Person durch. So wie du mit deinem Sohn!
M: Ich kann mir am besten die Leute merken, deren Name so gar nicht zu ihrem Aussehen passt. Sobald ich einen Namen höre, stelle ich mir nämlich sofort ein Gesicht dazu vor, ich kann nicht anders. Ein Quirin Huber zum Beispiel ist für mich gleich ein kerniger Vollbartträger mit anständig Muskeln, während ein Alexander von Sylvenstein eher in die Abteilung durchgeistigt, großgewachsen, aber unsportlich gehört. Und wenn das dann so gar nicht stimmt – was meist der Fall ist – , dann prägen sich mir Mensch und Name gleichermaßen ein. Mein Bruder hatte mal einen Klassenkameraden namens Romeo Pichelmeier, und obwohl ich den Jungen nie kennengelernt habe, habe ich seinen Namen nie vergessen.
Ich war mal vor Jahrzehnten zu Besuch bei einer Freundin, die hatte einen dänischen Schreiner. Und als wir eines Tages vor dem Haus saßen, kam der unangemeldet vorbei, wir sahen sein Auto schon von weitem. Und meine Freundin geriet in Panik, weil ihr sein Name nicht mehr einfiel – sie wusste nur noch, dass er hieß wie eine Käsesorte. Und während er langsam auf das Haus zufuhr, brainstormten wir wie die Wilden: Edamer, Mozzarella, Brie, Camembert, Limburger, Romadur, Gouda… Nein, nein und nochma nein!
Als er dann parkte, ausstieg und zu uns kam, ging ich einfach auf ihn zu, hielt ihm die Hand hin und sagte meinen Namen. Er freute sich, schüttelte meine Hand und sagte: „Ich bin Jens Esrom, aber das weißt du ja wahrscheinlich schon.“ Und dann freute er sich noch mehr, weil ihn zwei Frauen so anstrahlten….
A: In Ostwestfalen gibt es ja Nachnamen, die man gar nicht vergessen kann: Strullkötter, Piepenbrink, Hemkentokrax, Schnakenwinkel und Krumpipe. Die Liste ist endlos… Aber auch den dicken Petermann, der ein Musikgeschäft hatte, werde ich niemals aus meinem Gedächtnis löschen können, weil ich mit diesem Fleischberg jedes Jahr zur großen Advents-Feier des mindestens 80 Mann starken Männergesangvereins die „Petersburger Schlittenfahrt“ vierhändig auf dem Flügel – in einem riesigen Saal voller Menschen – vorspielen musste. Der dicke Petermann hatte solche Wurstfinger, dass er immer zwei Tasten gleichzeitig anschlug und zum Ende hin schneller und schneller wurde. Dabei hatte ich die obere Stimme und hätte das Tempo vorgeben müssen! Mein Vater hatte aber kein Erbarmen und bürdete mir gern zusätzlich noch ein Gedicht auf, dass ich vorne am Mikro auswendig hersagen musste. Meist hatte er so elend lange rausgesucht wie „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm. Diese Sonntagnachmittage waren ein Albtraum und ich werde sie NIEMALS vergessen. Vor allem, weil in meiner Nikolaustüte, trotz dieser Tortur, genau das Gleiche drin war wie bei meinem Bruder und allen anderen. Viel zu viel Knickebein, Blätterkrokant und Marzipanbrot!
M: Ja, solche Kindheitserinnerungen bleiben für immer, und mit ihnen auch die Namen. Ich wiederum werde niemals den Namen meiner Lehrerin im Orff-Kurs vergessen, die mich ans verhasste Xylophon zwang, ebenso wenig wie den Geschichtslehrer im Gymnasium, mit dem ich mich leidenschaftlich und unnachgiebig gezofft habe (warum, weiß ich allerdings nicht mehr). Oder den unserer Haushaltshilfe, die mich regelmäßig bei meiner Mutter verpetzte, wenn sie Zigaretten und Aschenbecher in meinem Zimmer fand, obwohl ich ausdrücklich sagte, dass dort NICHT geputzt werden soll. Ich denke, man merkt sich einfach am leichtesten die Namen der Menschen, die man ganz wenig mochte. UND die, die man besonders liebte. Die Extreme halt.
Ich habe übrigens begonnen, mein nachlassendes Gedächtnis zu trainieren. Heute morgen habe ich mir den 11 Posten umfassenden Einkaufszettel konzentriert eingeprägt und bin dann ohne los in den Supermarkt. Immerhin hab ich 10 von den benötigten Dingen mitgebracht.. gar nicht so schlecht, finde ich. Was ich vergessen hab? Zitronen. Aber erstens brauche ich die gar nicht SOOO dringend, und zweitens übe ich ja noch.
Kurz vor 17.30: wer kommt denn heute Abend ? Das Gesicht klar und deutlich vor mir, der „ …“ weg einfach weg, dabei weiß ich ihn doch… L…,L…, Mein Kollege: „ah Leopold kommt?“, Ne, und in dem Moment kommt mein Hirn zurück und Ludwig rein und ich freu mich weil ich es ja eigentlich doch wusste…
Das einfach nicht mehr erinnern können, das macht mir auch immer wieder Sorgen, vielen Dank, macht Lust auf mehr…